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[Seite der Druckausgabe: 1]

Vorbemerkung

Die Euphorie und Aufbruchstimmung der ersten Zeit nach der Wiedervereinigung Deutschlands sind verflogen, Ernüchterung prägt schon seit mehr als zwei Jahren das Bild. Die Ernüchterung trat allerdings erst wesentlich später auf dem Feld des Tourismus in ländlichen Regionen Ostdeutschlands auf: Nach einer anfänglichen völligen Fehleinschätzung des touristischen Marktes (sowohl des Angebotes, das man in der Lage war anzubieten, als auch der Nachfrage - "saubere Umwelt", schöne Wanderwege, unzählige Gewässer etc. genügten den Ansprüchen der neuen Touristen bei weitem nicht) mußte man erkennen, daß ein beträchtliches Potential an "unverfälschter, intakter Natur" ohne die entsprechende Infrastruktur nicht zu verkaufen war. Man mußte auch erkennen, daß "unverfälschte, intakte Natur" mindestens in zweifacher Hinsicht als Marketingargument ein Problem war:

  1. "Natur" ist in der Vorstellung der Touristen nicht gleich "Natur" bei Naturschützern und Naturliebhabern, aber auch nicht gleich der Vorstellung der Bewohner dieser Region,
  2. das schlechte Image von der zerstörten Umwelt in der ehemaligen DDR wirkt noch immer kontraproduktiv.

Und man hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Die Natur als Verkaufsargument ließ sehr schnell den Verdacht auf der Seite der Naturschützer aufkommen, daß hier ein breit angelegter Ausverkauf der Natur zugunsten der wirtschaftlichen - sprich: touristischen - Entwicklung stattfinden sollte.

Konfrontation statt Kooperation war angesagt - viele Tagungen und Symposien zum Thema Tourismusentwicklung wurden einseitig boykottiert oder gerieten zu Podien harten, oft nicht fairen oder nur emotional geführten Schlagabtausches. Auch hier ist langsam ein Umdenken feststellbar.

Naturschutz/Umweltschutz auf der einen Seite und Fremdenverkehrswirtschaft im weitesten Sinne auf der anderen Seite haben erkannt, daß Tourismus nur gemeinsam betrieben werden kann, wobei jede Seite zu Zugeständnissen bereit sein muß. Die Situation eines quasi Neuanfangs nach der Auflösung der Strukturen der ehemaligen DDR bietet die große Chance, manche Fehlentwicklung im Tourismus zu vermeiden. Nur wenn die Fremdenverkehrswirtschaft bereit ist, auf eine langsame, umwelt- und sozialverträgliche Entwicklung zu setzen und auf gewisse Nutzungsformen ganz zu verzichten, wird das wichtigste Potential der Region, eine reizvolle Kulturlandschaft mit großen naturnahen oder naturbelassenen Arealen, wie sie im übrigen Mitteleuropa selten geworden sind, erhalten werden können.

[Seite der Druckausgabe: 2]

Sehr schnell könnte sonst nämlich Hans Magnus Enzensberger dramatische Betrachtung des Tourismus "Touristen zerstören, was sie suchen, in dem sie es finden" wahr werden.

Und Natur- und Umweltschützer erkennen, daß Tourismus nicht nur die Gefahr der unmäßigen Belastung und Zerstörung bedeutet, sondern zugleich auch Chancen bietet; die nämlich, daß Touristen durch eine verträgliche Nutzung der Natur durchaus zu deren Erhalt beitragen können, indem durch finanzielle Erlöse aus dem Tourismus Landschaftspflegemaßnahmen durchgeführt und durch Schutzmaßnahmen Rückzugsgebiete für Flora und Fauna einer anderweitigen Nutzung entzogen werden.

Allerdings wurde während der Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung "Tourismus in ländlichen Regionen Brandenburgs - Konzepte und Perspektiven zwischen regionaler Wirtschaftsentwicklung, Umwelt- und Sozialverträglichkeit" auch klar, daß die Bereitschaft zum konstruktiven Dialog allein nicht ausreicht: Nach wie vor gilt es, erhebliche Probleme zu bewältigen. So muß vor allem der Informationsfluß zwischen politischen Entscheidungsträgern, Vertretern der Ministerien, des Landesfremdenverkehrsverbandes einerseits und den "Machern" vor Ort, also den Vertretern der Fremdenverkehrsämter, der Hotellerie, Gastronomie sowie anderen touristischen Anbietern wesentlich verbessert werden. Der Umstrukturierung der Landwirtschaft und der zukünftigen Bedeutung der Bauern als. Landschaftspfleger sowie als touristische Anbieter gilt es ebenso Rechnung zu tragen wie der Tatsache, daß ein erheblicher Ausbau der touristischen Infrastruktur notwendig ist, um Brandenburg im nationalen und internationalen touristischen Wettbewerb konkurrenzfähig zu machen. Nur so wird eine nachhaltige Tourismusentwicklung möglich sein. Eine Entwicklung allerdings auch, die nicht monostrukturiert nur auf einen einzigen Wirtschaftszweig setzt; gleichzeitige Förderung und Aufbau von Handwerk, Gewerbe, klein- und mittelständischer Produktion sowie von Land- und Forstwirtschaft sichern das Bestehen einer Kulturlandschaft, die einmalig in Deutschland, wenn nicht in Europa ist.

Die vorliegende Broschüre baut auf den Referaten und Diskussionsbeiträgen einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 9.Juni 1993 in Chossewitz/ Brandenburg auf und ergänzt deren Ergebnisse. Für die Konzeption und Durchführung der Tagung war Udo Scholten vom Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung verantwortlich, mit der Organisation war Doris Faßbender betraut. Verfasser des Tagungsberichts ist Dr. Helmer Vogel von der Universität Würzburg.

Bonn, November 1993Dr. Jochem Langkau


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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