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6. Ziele der Stadtentwicklungspolitik in den Großstädten des Landes Nordrhein-Westfalen

Das nordrhein-westfälischen Ministeriums für Stadtentwicklung, Kultur und Sport (im folgenden: MSKS) sieht die eingangs geschilderten Globalisierungsprozesse als grundlegende Rahmenbedingungen für die heutige Stadtentwicklungspolitik v.a. der Großstädte in Deutschland. Das MSKS betont dabei das Spannungsfeld von europäischen bzw. globalen Prozessen und lokalen bzw. regionalen Entwicklungen. Dieses äußere sich u.a. in der zunehmenden Globalisierung des Konsum- und Freizeitverhaltens, der Weltbilder, Lebensstile und der Kultur, während gleichzeitig eine verstärkte Redefinition regionaler und lokaler Identitäten stattfinde. Daher ist aus Sicht des MSKS die zukünftige Gestaltung der Städte nur im Spannungsverhältnis von Globalität und Lokalität sinnvoll zu diskutieren. Als Vermittler zwischen diesen scheinbar gegenläufigen Bewegungen werde die Ressource „Kultur" als identifikationsstiftendes Element eine entscheidende Rolle spielen, was sich letztendlich auch in der Zusammensetzung der Aufgabenbereiche des MSKS widerspiegele.

Die Ausgangslage gegenwärtiger Stadtentwicklungspolitik sei in Deutschland aber nicht nur durch „Herausforderungen der Globalisierung" geprägt, sondern auch durch das Zusammentreffen deutlich verengter fiskalischer Handlungsspielräume von Staat und Kommunen mit einschneidenden ökonomisch-sozialen Veränderungen. Das MSKS sieht in diesen Entwicklungen sowohl Gefahren und Risiken für die Städte als auch Chancen für technische, soziale, administrative und kulturelle Innovationen. Die Aufgabe der Stadtentwicklung liege daher in der verantwortungsbewußten Mitentscheidung über den zukünftigen ökonomischen, sozialen und kulturellen Stellenwert deutscher Städte in einer sich neu formierenden weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung vor dem Hintergrund tiefgreifender wirtschaftlicher Umstrukturierungsprozesse.

Aus Sicht des MSKS haben die deutschen Städte gegenüber denen vieler anderer Industrienationen eine ökonomisch, städtebaulich und sozial bessere Ausgangslage, da Deutschland trotz relativ hoher Bevölkerungsdichte eine dezentrale Siedlungsstruktur aufweist. Damit blieben die erheblichen Entwicklungsprobleme, die Länder mit einer dominanten Metropole aufweisen, in Deutschland weitestgehend aus, was als entscheidender Standortfaktor gewertet werden könne. In diesem Zusammenhang wurde die nordrhein-westfälische Siedlungsstruktur als beispielhafte Wachstumsregionen auf der „Habitat II"-Konferenz in Istanbul herausgestellt.

Damit stehen die deutschen Städte laut MSKS weniger in einer Krisensituation als vielmehr vor der Notwendigkeit einer Neuorientierung, die in Nordrhein-Westfalen in

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der Zielformulierung einer auf die neuen Herausforderungen reagierenden Stadtentwicklungspolitik ihren Niederschlag gefunden hat.

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6.1 Stärkung des Wirtschaftsstandortes Nordrhein-Westfalen

Die Stadtentwicklungspolitik und die Städtebauförderung sind seit einigen Jahren zu wichtigen strukturpolitischen Instrumenten umgebaut worden. Die wichtigste Aufgabe der Städtebauförderung ist die Stärkung des Wirtschafts- und Industriestandortes Nordrhein-Westfalen durch die Verbesserung der sog. „weichen Standortfaktoren". In vielen industriell geprägten Großstädten übernimmt die Städtebauförderung zusätzliche Aufgaben der unmittelbaren Wirtschaftsförderung.

Auch die nordrhein-westfälische Initiative „Standorte mit Zukunft" zielt in die gleiche Richtung. Mit Hilfe eines neuen Standort- und Flächenmanagements, das alle mit Förderaufgaben befaßten Ressorts der Landesregierung einbindet, sollen auf strategisch wichtigen und regionalwirtschaftlich bedeutsamen Flächen nachfragegerechte, integrierte und hochleistungsfähige Angebote für Dienstleistungen, Hochtechnologie, Gewerbe, Handwerk und Handel geschaffen werden. Die Verbindung von Baukultur, urbaner Einbindung und Nutzungsvielfalt soll Kristallisationspunkte für neue, erfolgreiche Wirtschaftsstandorte schaffen.

Die Initiative „Standorte mit Zukunft" setzt bei ihrer Flächenmobilisierung drei Schwerpunkte:

  1. In allen Regionen des Landes sollen leistungsfähige innerstädtische Dienstleistungsstandorte mit regionaler Bedeutung entwickelt werden.

  2. Standorte für flächenintensive industrielle/gewerbliche Großprojekte sollen vorbereitet werden, so daß entsprechende Investitionen bei konkreter Nachfrage kurzfristig umgesetzt werden können.

  3. Für die gewerbliche Wirtschaft und das Handwerk soll ein dem regionalen Bedarf entsprechendes differenziertes Flächenangebot geschaffen werden.

Die Flächenmobilisierung schließt die Nutzung freiwerdender Liegenschaften wie brachfallende innerstädtische Flächen oder ehemalige Militärflächen ein. Optimale Nutzungslösungen im Sinne der Qualitätssicherung werden durch die Landesforderung, entsprechende Planungen, Untersuchungen, Machbarkeitsstudien und Gefährdungsabschätzungen unterstützt.

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Als weitere Aufgaben der Städtebauförderung zur Stärkung der Wirtschaftsstruktur und Verbesserung der Arbeitsmarktlage nennt das MSKS

  • die Standortsicherung von Betrieben,

  • die Umnutzung von Gebäuden als Gewerbe- und Handwerkerhöfe

  • sowie die Aufwertung vorhandener Gewerbegebiete.

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6.2 Stärkung und Belebung der gefährdeten Innenstadt, Steigerung der Standortqualität in den Innenstädten

Als Hauptbedrohung für Innenstädte und Stadtteilzentren, die durch Urbanität, Nutzungsvielfalt und die damit verbundene Lebensqualität gekennzeichnet sind, sieht das MSKS das Wachstum flächenintensiver, nicht-integrierter und verkehrserzeugender Einzelhandelseinrichtungen „auf der grünen Wiese". Der Umsatz dieses Betriebstyps verzwanzigfachte sich in Nordrhein-Westfalen während der Jahre 1970 bis 1994 und erzeugte auf der anderen Seite Leerstände und das Verschwinden ganzer Angebotsstrukturen in den Zentren.

Die Entwicklung innerhalb der Zentren ist durch eine zunehmende „Uniformierung" der Angebote gekennzeichnet. Kettenläden, Fast-Food-Anbieter, Spielhallen und Videotheken etc. haben Konjunktur und mindern die Attraktivität der Zentren. Die Optimierung der ökonomischen Verwertung innerstädtischer Flächen hat hier die Funktion Wohnen nahezu unbezahlbar werden lassen. Dadurch kommt es in den Innenstädten aus Sicht des MSKS zur Verarmung der Straßenräume und Plätze, dem Verlust sozialer Kontrolle sowie einer Zunahme von Kriminalität und Vandalismus.

Zur Stärkung von Innenstädten und Stadtteilzentren hat das MSKS eine Reihe von Ansatzpunkten formuliert:

1) Verbesserung der Wohnsituation in der Stadt

Die Städtebauförderung muß aus Sicht des MSKS auf den steigenden Wohnungsbedarf einer wachsenden Bevölkerung reagieren und entsprechende Flächen mobilisieren, erschließen und damit den Wohnungsbau vorbereiten und unterstützen.

Die Aktivierung von Bauland für den Wohnungsbau kann mit dem heutigen Instrumentarium der Stadterneuerung - vor allem der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme - vorangetrieben werden. Zur Unterstützung der Innenentwicklung der Städte besteht zur Mobilisierung von Brachflächen und Erschließung von Baulücken ein breites Förderangebot des Landes Nordrhein-Westfalen. Zunehmende Bedeutung ge-

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winnt die Standortaufbereitung für den Wohnungsbau, wofür u.a. Baulückenprogramme vorbereitet und umgesetzt werden. Mit pauschalierten Landeszuschüssen wird die Entwicklung von Wohngebieten speziell an Haltepunkten des ÖPNV unterstützt.

2) Revitalisierung des Handelsstandortes Innenstadt

Die Lebendigkeit und Vielfältigkeit von Städten wird als wichtiger Standortfaktor für den Handel gesehen. Ziel des MSKS ist es daher, diese Standortqualitäten zu verbessern und dabei das Gleichgewicht zwischen Stadt und Land sowie zwischen den Einzelhandelsstandorten in der Stadt und in Suburbia zu gewährleisten.

Im Mittelpunkt diesbezüglicher Aktivitäten steht der „Einzelhandelserlaß" als Fortschreibung des ehemaligen „Verbrauchermarkterlasses". Da die Wirksamkeit dieses Erlasses allein nicht ausreicht, wird er durch ein Bündel unterschiedlicher Maßnahmen und Aktivitäten sowie durch Fördermaßnahmen der Stadterneuerung verstärkt. Generell merkte der Vertreter des MSKS an, die Landesplanung müsse zukünftig „griffiger" werden. Wie bereits im nordrhein-westfälischen LEP-Gesetz verankert, müsse sich die Förderpolitik mehr auf die Innenstädte konzentrieren. „Grüne Wiese"-Standorte, zu denen laut BauGB keine § 34 1-Gebiete gehören, seien rentierlich und benötigten daher keine Förderung. Städte und Gemeinden sollten aufgefordert werden, zur Stärkung ihrer Innenstädte ihre alten Bebauungspläne zu überarbeiten.

Das Land NRW entwickelt gegenwärtig in Zusammenarbeit mit den Verbänden der Wirtschaft und der Kommunen ein Anforderungsprofil für vorhabenbezogene Gutachten bzw. gesamtstädtische Handlungskonzepte beispielsweise für die Bereiche Stadtmarketing, City-Management und Stadtlogistik. Aus Sicht des MSKS können in guter Zusammenarbeit von Kommunen und Privatwirtschaft (public private partnerships) entsprechende Innenstadt-Marketing-Maßnahmen die Qualität des „Standortes Stadt" und damit seine Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Derartige Konzepte könnten beispielsweise die Beeinflussung des Branchenmixes, die Aufwertung der Innenstadt als Wohn- und Einkaufsstandort, die Gestaltung des Stadtbildes, die Erhöhung des Freizeitwertes der Innenstadt etc. beinhalten.

Parallel dazu ist aus Sicht des MSKS eine Neuorganisation des in der Vergangenheit vernachlässigten Wirtschaftsverkehrs im städtischen Bereich notwendig. Dieser macht etwa ein Drittel des Verkehrsaufkommens aus. Verkehrsstaus, Wartezeiten an Be- und Entladestationen, unzureichende bzw. zugeparkte Lieferzonen etc. mindern die Attraktivität der Städte als Wohn - und Einkaufsort und wirken sich nachteilig auf die Produktivität der betroffenen Transportunternehmen aus. Das nordrhein-westfälische Modellprojekt „City Logistik", an dem zur Zeit rund 20 Städte beteiligt sind, soll in Zu-

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sammenarbeit von Einzelhandel und Transportunternehmen intelligente, innovative und übertragbare Ansätze für den Wirtschaftsverkehr entwickeln.

3) Neuordnung des Verkehrs in der Stadt

Mehr noch als der Wirtschaftsverkehr stellt der kontinuierlich zunehmende motorisierte Individualverkehr ein großes Problem v.a. für die Großstädte der Verdichtungsräume dar. Das MSKS nennt daher als zentrale Ziele der Stadtverkehrspolitik

  • Verbesserung der Umweltverträglichkeit, der Wohn- und Aufenthaltsqualität,

  • Verbesserung der Verkehrssicherheit und Ausbau der Verkehrsberuhigung,

  • Sicherung der Lebensbedürfnisse der Stadtbewohner und

  • Gewährleistung der Erreichbarkeit, Mobilität und wirtschaftlichen Funktionsfähigkeit der Städte und Gemeinden. Der ÖPNV soll dabei einen höheren Stellenwert erhalten.

Für ganzheitliche Problemlösungskonzepte müsse Stadtverkehrspolitik als Teil der Stadtentwicklungspolitik verstanden werden.

4) Verbesserung der Aufenthalts- und Einkaufsqualität in der Stadt

Nach dem MSKS müssen Innenstädte und Stadtteilzentren fußgänger-, fahrrad- und einkaufsfreundlicher gestaltet werden. Dazu seien

  • Fußgängerzonen zu erweitern bzw. neu einzurichten,

  • bedeutsame Plätze als urbane, identifikationsstiftende Orte umzugestalten bzw. einzurichten,

  • Radwegenetze auf der Grundlage von Gesamtkonzepten auszubauen,

  • Individualverkehr zurückzudrängen und

  • der ÖPNV zu stärken bzw. attraktiver zu gestalten.

In diesem Zusammenhang seien auch städtebauliche Begleitmaßnahmen zur Funktionsverbesserung des Bahnhofsumfeldes, zur besseren Erreichbarkeit von Haltepunkten und zur Aufwertung von Bahnhofsgebäuden im Rahmen der Regionalisierung des Bahnverkehrs von großer Bedeutung. Das negative Image der Bahnhofsviertel soll bekämpft werden.

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5) Stabilisierung des sozialen Gleichgewichts in den Städten, Förderung von Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf

Das MSKS betrachtet die Entwicklung sozialer Spannungsfelder in den Verdichtungsräumen in erster Linie als Gefährdung des Wirtschaftsstandortes Nordrhein-Westfalen durch die Abwanderung des Einzelhandels. Es müsse daher vermieden werden daß

  • bestimmte Bevölkerungsgruppen sozial ausgegrenzt werden,

  • sich die Sicherheitsprobleme in den Städten verschärfen,

  • infolgedessen Angebotsstrukturen des Handels aufgelöst und

  • städtische Verödungserscheinungen entstehen können.

Die Stadtentwicklungs- und Stadterneuerungspolitik der 80er Jahre konnte aus Sicht des MSKS soziale Spannungen bzw. Brüche in den Städten und Gemeinden trotz tiefgreifenden strukturellen Wandels weitgehend vermeiden. Die aktuellen wirtschaftsstrukturellen Veränderungen stellen dagegen einzelne Stadtteile und ihre Bewohner vor erhebliche wirtschaftliche und soziale Probleme. In anderen Stadtteilen ist diese Entwicklung abzusehen.

Ziel des nordrhein-westfälischen Programms „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf ist es daher, gefährdete Stadtteile zu stabilisieren, bevor sie sich zu „sozialen Brennpunkten" entwickeln können. Die in das Programm involvierten Stadtteile sind durch

  • Instabilität ihrer Sozialstruktur,

  • ein schlechtes Wohnumfeld,

  • mangelnde Instandhaltung der Wohnungen

  • sowie ein hohes Arbeitsplatzdefizit gekennzeichnet.

In den meisten Fällen handelt es sich um hochverdichtete Innenstadtlagen oder hochverdichtete Wohnsiedlungen der 60er und 70er Jahre.

Die Hauptakteure dieses integrierten Programms sind die entsprechenden Städte selbst, die mit kommunalem Engagement, weitläufigen Partizipationsangeboten, der Kombination von Qualifikations- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit Sanierungskonzepten etc. ganzheitliche und auf das jeweilige Problemgebiet zugeschnittene Lösungen (integrierte Konzepte) im Zusammenwirken mit allen Ressorts der Landesregierung entwickeln und umsetzen.

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6) Bewahrung und Sicherung des historischen Erbes in der Stadt

Schließlich trägt die Erhaltung von Baudenkmälern und stadtbildprägenden Gebäuden zur Attraktivität von Innenstädten und Stadtteilzentren bei. Erhaltungsmaßnahmen können laut MSKS durch zeitgemäße Nutzungen der entsprechenden Gebäude dauerhaft und zu vertretbaren Kosten gewährleistet werden, wie u.a. das nordrhein-westfälische Programm „Kindergärten in Denkmälern" zeigt. Auch die zahlreichen Umnutzungen ehemaliger Fabrikgebäude für Kultur- und Veranstaltungszentren sind gute Beispiele. Dabei sind rentierliche oder teil-rentierliche Lösungen - auch für Wohn- und Gewerbezwecke - zu prüfen, wobei allerdings die jeweiligen Standorte und der Zustand der Gebäudesubstanz über die Nachfrage solcher Umnutzungsmodelle mit entscheiden. Generell wird die Reaktivierung der Bedeutung historischer Gebäude für die Stadt vom MSKS positiv bewertet.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001

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