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Vor- und Nachbemerkungen

Die Fülle der in Berlin vorliegenden Probleme ist mittlerweile klar dargestellt: Sie reicht von der noch immer anhaltenden Auflösung industrieller Arbeitsplätze im Osten und Westen der Stadt über das nicht mehr erträgliche Ausmaß der Arbeitslosigkeit bis zur Misere der städtischen Finanzen. Es sind aber auch „banale Dinge", etwa das als nicht wirtschaftsfreundlich angesehene Klima, fehlende Stetigkeit beim politischen Handeln, die als Dschungel empfundene Verwaltung oder die mangelnde Wahrnehmung der bereits erfolgten Unternehmensgründungen. Noch nicht abgeschlossen ist die Diskussion über Themen wie die Kapitalbeschaffung für den Ausbau der Infrastruktur, die städtische Finanznot in den kommenden Jahren oder die „Organisation" der erforderlichen Gründungswelle - die nicht nur „High-Tech", sondern auch „Low-Tech", Gewerbe und Handwerk sowie wirtschafts- und bevölkerungsorientierte Dienstleistungen einschließen sollte.

Die Diskussion über die nüchterne Entwicklungsprognose des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und das fast emphatische Bekenntnis des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung zu einem Leitbild im Sinn eines großen Gründerzentrums Berlin (Venture Capital City) war durchaus nützlich - die so verschieden anmutenden Projektionen und Vorstellungen schließen einander nicht aus.

Der anscheinend gegebene Widerspruch läßt sich auflösen. Das ist eine Frage des Zeithorizonts, des tatkräftigen und umsichtigen Handelns oder der Beseitigung allgegenwärtiger Friktionen. Wenn in einer so schwierigen Lage, wie sie jetzt in Berlin gegeben ist, Erfolge erzielt werden sollen, müssen tragfähige, miteinander verknüpfte Ziele vorhanden sein. Ein Konsens, der alle Gruppen und Schichten so weit wie möglich umfaßt, ist anzustreben. Unter diesen Bedingungen ist wirtschaftliche, politische, gesellschaftliche und geistige Führung möglich, eine Überwindung der vielfältigen Krisenerscheinungen, ein „Aufbruch zu neuen Ufern" wird vorstellbar bzw. realisierbar.

Das Potential für eine günstige Entwicklung ist vorhanden, weil sich zahlreiche einzelne Entwicklungspotentiale erschließen lassen. Bei den Menschen mögen das Ideen, Beweglichkeit oder Erfindergeist sein. In Industrie und Technologie sind das Kompetenzfelder, die schon sogenannte Cluster oder Agglomerationen in der Wirtschaft ausgebildet haben. In der Stadt sind „harte" Standortfaktoren, wie Häfen und Kanäle oder Knoten und Ringe von Autobahnen, vor allem aber die modernen „weichen" Standortfaktoren, wie Kultur, Bildung oder differenzierte Dienstleistungen, zu finden. Günstig ist auch die Siedlungsstruktur einer innerstädtischen „dezentralen Konzentration", verbunden mit einem entwicklungsfähigen Schie-

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nenverkehr und begleitet von lösbaren Aufgaben im Straßenverkehr. Reizvolle Landschaft zieht sich bis in die Stadt, alte und neue Architektur kann eine interessante Symbiose eingehen, Verbesserungen der Infrastruktur sind ohne weiteres möglich. Attraktivität ist eine Wohltat für die Bewohner, sie wirkt sich aber auch als Besuchs- und Zuwanderungsmotiv aus. Die Möglichkeiten des Stadt- und Umlandtourismus sind noch lange nicht ausgeschöpft. Die natürlichen, räumlichen und städtischen Strukturen bieten mit dem Entwicklungspotential in vielen Bereichen die Basis für eine Metropole, ja es wäre nicht vermessen zu sagen, daß hier die europäische Stadt gewissermaßen neu erbaut, zumindest aber weiter entwickelt werden kann.

Ansiedlungen bedeutender Industriebetriebe und Unternehmenszentralen sind vorläufig nicht zu erwarten. Aber Gründungen vom High-Tech- bishin zum Low-Tech-Bereich sind in einem bemerkenswerten Maß möglich. Ebenso wie bei wirtschafts- und bevölkerungsorientierten Dienstleistungen gibt es auch in neuen und klassischen Sparten des Handwerks günstige Perspektiven für Arbeitsplätze. Das differenzierte Gefüge der kleinen und großen städtischen Zentren bietet vorzügliche Standorte und damit Anknüpfungen und Verflechtungen. Bei allen Gründungen sind die Möglichkeiten des Transfers aus der Wissens- und Forschungslandschaft Berlin - Brandenburg zu berücksichtigen.

Bezüglich der Ost-West-Drehscheibe ist jüngst vorgebracht worden, daß man Kontakte auch von Düsseldorf und Frankfurt aus direkt betreiben kann. Das ist sicher richtig, selbst von Paris und New York läßt sich ein „Sprungbrett" in Richtung Warschau oder Moskau legen. Aber das in Berlin bzw. in der Region vorhandene spezifische Entwicklungspotential kann und muß genutzt werden. Außerdem ist mit der Funktion der Bundeshauptstadt ohnehin eine Interna-tionalisierung verbunden, die allein aus geografischen Gründen besondere Aktivitäten mit dem Osten fordert. Eine Alternative zu diesen Gegebenheiten und zu dieser Ausrichtung ist nicht zu erkennen. Daher sollten hier, wie in anderen Bereichen auch, statt einschränkender Befürchtungen und Bedenken die jetzt gegebenen Chancen rasch genutzt werden - denn sie könnten alsbald verfliegen.

Einzelheiten zu den zahlreichen behandelten und diskutierten Punkten sind dem Tagungsbericht zu entnehmen. Dieser Bericht wurde von Detleff Jäger vom Institut für Ökonomische Analyse politischer Systeme an der Freien Universität Berlin verfaßt. Die Tagungsreihe zum Thema „Berlin auf dem Weg zur
Metropole ?" soll fortgeführt werden.

Bonn, im Februar 1997Dr. Hannes Tank


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