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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 12 (Fortsetzung)]



3. Was weiß die rechte von der linken Hand?
Probleme der Koordination und Kooperation




3.1 Reserven in der Abstimmung

Geradewegs einen Skandal wollte es ein Teilnehmer nennen, daß etwa die Stadt Leipzig Stadtwerke aufbaue, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, den zu erwartenden Bedarf an Arbeitskräften den zuständigen Akteuren der Arbeitsmarktpolitik mitzuteilen. Offenbar, so der Tenor vieler Klagen beim "Wirtschaftspolitischen Diskurs", klappt die Planung von Fortbildungsmaßnahmen am tatsächlichen Bedarf auch dann nicht, wenn dafür weder Strukturpolitik noch prognostische Fähigkeiten erforderlich sind, sondern schlicht und einfach die Koordination von Verantwortlichen, die Information über bevorstehende Ansiedlungen bzw. Möglichkeiten einer dazu passenden Fortbildung. Das gelte durchaus auch da, wo öffentliche Arbeitgeber in Aktion träten. Wo Vertreter von Fortbildungsträgern von Beispielen gelungener Koordination berichteten, war ausschließlich von eigener Initiative und von Zufällen die Rede. Einzig ein Arbeitsamtsdirektor berichtete davon, daß die Institutionalisierung von Zusammenarbeit in seinem Bereich so weit gediehen sei, daß sein Amt sich etwa auf die bevorstehende Errichtung eines Kaufhauses schon einstellen könne, bevor der erste Spatenstich getan sei.

Je nach Initiative des zuständigen Arbeitsamts kann die Koordination von Entscheidungsträgern aus den verschiedenen Bereichen offenbar auch gelingen. Eine Bündelung solcher Koordinationsleistungen auf Landesebene deutet sich in Sachsen schon an. Wo eine Strukturpolitik stattfindet, die ihren Namen verdient, wird die Qualifikation der Beschäftigten als Standortfaktor gesehen, eingeplant, sorgsam gepflegt und in der Werbung deutlich herausgestellt. Fehlende Koordination zwischen Investoren und den Verantwortlichen in der Arbeitsverwaltung ist entsprechend ein Indikator für fehlende oder mangelhafte Strukturpolitik.

Zur Überwindung dieses Mißstandes wurde die Errichtung eines festen Beauftragten für die Koordination von Arbeitsmarkt- und Strukturmaßnahmen angeregt, der als eine Art "Bedarfsermittler" tätig werden solle.

Engagiert vorgetragen und im einzelnen auch begründet wurde die Anregung des Vertreters einer Industrie- und Handelskammer, die notwendige Koordination der Einfachheit halber gleich dort erledigen zu lassen.

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3.2 Funktion der Industrie- und Handelskammern

Die Industrie- und Handelskammern (IHKs) haben mit Fortbildung gleich in dreierlei Hinsicht zu tun: Zum einen nehmen sie die Prüfungen ab, zum zweiten haben sie die Beratung zu gewährleisten und zum dritten bieten sie selber Lehrgänge und Seminare an. Das eigene Angebot der Kammern kommt dabei so gut wie ausschließlich auf Nachfrage aus der regionalen Wirtschaft zustande, ist also per se wirtschaftsnah. Häufig ergänzt sie sogar einfach thematisch oder nur quantitativ die internen Bildungsangebote von Arbeitgebern. Aus der Arbeitsverwaltung war zu hören, daß allenfalls ein Fünftel der Fortbildungsmaßnahmen berufsbegleitend sei; die Quote bei den Kammern dürfte deutlich höher liegen. Die IHK Dresden sieht sich auch als wichtige Schaltstelle für Informationen über Strukturpolitik: Ihre Instrumentarien Konjunkturanalyse, Zusammenarbeit mit Verbänden, Beurteilung vorhandener Konzepte, Kontakte auf Messen, die "Außenwirtschaftstage" etwa der Dresdner Kammer, die Entwicklung eines Gewerbeflächenatlas für potentielle Investoren führten zu wichtigen Erkenntnissen für Weiterbildungsmaßnahmen und könnten für die Bestimmung des Inhalts, der Zielgruppen, der Lernorte, Lehr- und Lernmethoden von Vorteil sein. Gestützt auf das Weiterbildungs-Informationssystem WIS ist die Kammer seit Jahresbeginn überdies in der günstigen Lage, einen weiten Überblick über die Angebote herstellen zu können.

Die großen Kooperationsanforderungen, die sowohl die Bildungsträger und das Arbeitsamt als auch die Firmen und die Arbeitnehmer stellen, sind damit jedoch noch nicht befriedigt. Die Industrie- und Handelskammer mit ihrem Schwerpunkt auf berufsbegleitenden Maßnahmen empfiehlt sich damit eher als ein Teilnehmer an der andernorts geforderten "Konzertierten Aktion".

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4. Bildung ist keine Ware
Anforderungen an die Qualität




4.1 Notwendigkeit von Qualitätskontrolle

Gegen die Vorstellung, bei entwickeltem Angebot und entwickelter Nachfrage nach Qualifizierungsmaßnahmen werde auf die Dauer schon der Markt die Spreu vom Weizen trennen, wandte eine Referentin dürr und schlüssig ein, solche Evaluierung durch den Markt sei "zynisch", weil die "Ware" stets nur durch zusätzlichen Einsatz von Lebenszeit des "Abnehmers" nachzubessern sei. Zudem widerspreche eine solche Auffassung dem Gebot der Chancengleichheit, das an Bildungsangebote zu richten sei, weil, wenn Bildung eine Ware sei, derjenige am meisten davon und die beste kaufen könne, der ihrer am wenigsten bedürfe. Diese allgemeine, am Teilnehmer orientierte Begründung für eine gewissenhafte Qualitätskontrolle traf auf keinen Widerspruch. Mögliche andere Motive für Qualitätskontrolle, etwa die Forderung nach einem adäquaten Einsatz hoher öffentlicher Mittel, traten entsprechend in den Hintergrund, mit dem Effekt, daß im weiteren die Interessen der Teilnehmer eine weit größere Rolle spielten, als man es gemeinhin von einer Debatte unter Bildungs- und Sozialtechnikern erwarten dürfte.

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4.2 Dimension des Problems

Zusätzlich zu den schon erwähnten Dimensionen der Qualifizierung, die die Ämter ohnehin vor erhebliche Probleme stellen, verschärfen noch etliche Besonderheiten die Schwierigkeit, nicht nur Quantität, sondern Qualität zu bieten. Setzt man die Trias aus Fortbildung, Umschulung und Einarbeitung, die die Förderungsmöglichkeiten des AFG umfaßt, gleich hundert, so liegt der Fortbildungsanteil im Westen bei 80, im Osten nur bei 60 Prozent. Dafür liegt der Anteil der aufwendigeren Umschulung im Osten bei 16,7, im Westen dagegen bei nur 11 Prozent. Höher ist im Osten auch der Anteil der Einarbeitungen – 17,1 gegenüber 7,9 Prozent –, bei denen die Leistung des Arbeitsamtes in der Gewährung eines Lohnzuschusses liegt. Im Land Sachsen sind mehr als 1000 Träger der beruflichen Weiterbildung aktiv, allein in der Hauptstadt Dresden 400. Im Arbeitsamt der Kleinstadt Pirna mußten im Jahre 1991 18 000 Eintritte in die berufliche Weiterbildung von zehn Mitarbeitern bewältigt werden.

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4.3 Die Ausgangssituation

Von Mißständen, die sich aus einem so hohen Anfall von kontrollbedürftigen Aufträgen ergeben, wurde allerdings nur sehr vereinzelt berichtet. So erzählte ein Arbeitsamtsdirektor von Trägern, die grundsätzlich nur Studenten als Lehrkräfte beschäftigten, von einem EDV-Kursus, bei dem die erforderlichen Computer erst nach zwei Monaten zur Verfügung standen, und von einem Kursus für Bürokräfte, dessen Teilnehmer erst einmal die Unterrichtsräume hätten tapezieren müssen. Ein anderer Teilnehmer monierte vor allem die Zusammensetzung der Kurse. In Kursen zur Umschulung auf den Beruf des Reisebürokaufmanns seien dann und wann Teilnehmer mit eigenem Reisebüro neben solchen gesehen worden, die noch nie einen Flug gebucht hätten, und es sei geradezu die Regel, daß von "Oma bis Enkel" alle Altersgruppen gemeinsam unterrichtet würden. Von anwesenden Vertretern privater Träger kam gegen diese Darstellung heftiger Widerspruch. Im Bereich Weiterbildung würden allerdings, so eine Vertreterin des Bundesinstituts für Berufsbildung in Berlin, sowohl "hochwertige Güter" als auch "billige Massenartikel" angeboten.

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4.4 Träger der Qualitätskontrolle und deren Instrumente

Über die Maßstäbe, die an Qualifizierungsmaßnahmen anzulegen seien, wurden kaum Differenzen deutlich.

Steuerung, Beurteilung und Kontrolle der Qualität von Weiterbildungsmaßnahmen obliegen dem Gesetzgeber in Bund und Land, der Bundesanstalt für Arbeit, den Anbietern selber und schließlich den Abnehmern, Interessierten also und schließlich den Teilnehmern. Alle vier verfügen über verschiedene Instrumentarien, die allerdings auch zusammengenommen kaum ausreichen, diese Qualität auch wirklich zu gewährleisten.

4.4.1 Der Gesetzgeber

Auf gesetzgeberischer Ebene existieren die Weiterbildungs- bzw. Erwachsenenbildungsgesetze der Länder, die Anerkennungskriterien für Bildungsträger und Einrichtungen festlegen, Landesgesetze, Verordnungen und Erlasse zu den Curricula in schulischen Weiterbildungsgängen etwa an Fachschulen, bundesweite oder auf Kammerbezirke begrenzte Ausbildungs- und Fortbildungsordnungen nach dem Berufsbildungsgesetz zur Regelung der außerschulischen Umschulung und Fortbil-

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dung, Vorschriften nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz, Zulassungen von Unterrichtsgängen im Fernunterricht und die Qualitätsstandards nach dem Arbeitsförderungsgesetz.

Qualität über die staatliche Anerkennung von Bildungsgängen und Abschlüssen läßt sich nur in relativ wenigen Fällen sichern, zumal die Anzahl dieser Abschlüsse gering ist, die meisten Fortbildungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern dagegen nicht zu solchen anerkannten Abschlüssen führen. Überdies sagt die Fortbildungsordnung nach dem Berufsbildungsgesetz über die Qualität einer Maßnahme selber direkt nichts aus: Die Durchführungsbedingungen bleiben den Trägern weitgehend freigestellt.

Das Fernunterrrichtsschutzgesetz sieht sehr differenzierte Zulassungskriterien für jede einzelne Bildungsmaßnahme vor und enthält auch Vorgaben zur Qualifikation des Lehrpersonals und Rahmenbedingungen wie Vertragsgestaltung, Werbung und Vertrieb. Entsprechend sind auch nur knapp 1000 Lehrgänge zugelassen; das Verfahren der Anerkennung erfordert hohen bürokratischen Aufwand.

Vorwiegend pädagogisch orientierte Qualitätskriterien gelten für die Anerkennung einer Qualifizierungsmaßnahme nach dem AFG und sind dort im Paragraphen 34 festgelegt. Die Gesetzeskriterien sind allgemein und werden in Runderlassen der Bundesanstalt für Arbeit konkretisiert.

4.4.1.1 Kontrollprobleme

Es mangelt allerdings den Ämtern an der Möglichkeit, die Einhaltung dieser Qualitätsstandards auch wirklich zu prüfen – eine Behauptung, deren Gültigkeit von den anwesenden Praktikern anschaulich dargelegt wurde. Zwar bietet das Arbeitsförderungsgesetz zahlreiche Eingriffsmöglichkeiten bis hin zum unangemeldeten Kontrollbesuch, vor allem nach dem letzten Runderlaß der Bundesanstalt vom Herbst 1991. Aber der hohe Abstraktionsgrad der Anforderungen an die Qualitätssicherung erfordert von den prüfenden Mitarbeitern pädagogische Kenntnisse, über die sie in der Regel nicht verfügen. Erst in jüngster Zeit wurde durch die Einrichtung regionaler Kontrollgruppen eine gewisse Entlastung erreicht. Allgemein wurde Klage über einen erheblichen Mangel an Personal geführt, der sich sowohl qualitativ als auch quantitativ bemerkbar mache. Geprüft werde durch die Ämter allerdings die Bonität des Trägers, es werde darauf geachtet, daß er eine saubere Rechtsform habe und daß er nicht ausschließlich mit nebenberuflichen Kräften arbeite. Geachtet

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werde ferner auf eine vernünftige Teilnehmerauswahl, auf die Seriosität der Werbung und auf die Kosten. Bei der Kontrolle des Ablaufs gab es widersprüchliche Aussagen, ob denn eine Teilnehmerbefragung wohl die Regel oder doch eher die Ausnahme sei. Von den neuen Prüfgruppen war zu erfahren, daß sie zwar nicht aus ausgesprochenen Spezialisten, aber doch aus hinreichend erfahrenen und qualifizierten Mitarbeitern bestünden. Es würden, so der Präsident des Landesarbeitsamtes Sachsen, immer wieder Mängel festgestellt, die in erster Linie die Technik und die Qualität der Lehrkräfte beträfen. Zum Teil seien an der Kontrolle auch fliegende Arbeitsgruppen aus dem Westen beteiligt. Würden Mängel festgestellt, so werde auf die Abstellung gedrängt. Es komme aber auch vor, daß eine Maßnahme einfach abgebrochen worden sei.

4.4.1.2 Anforderungen der Bildungsträger

Die anwesenden Vertreter von Trägern bestätigten, daß die vorgegebenen Standards eingehalten und daß sie weiterentwickelt werden müßten und reklamierten jeweils für ihre eigene Einrichtung, daß dies auch geschehe. Qualitätsstandards dürften allerdings, so gab einer von ihnen zu bedenken, nicht "für andere Zwecke instrumentalisiert" werden und müßten in der Fachöffentlichkeit diskutierbar sein. Probleme haben die Träger vor allem mit dem Auffinden finanzierbarer Räume für die Maßnahmen, wobei sie ein hohes Risiko eingehen, weil sie die Räume schon anmieten müssen, bevor sie wissen können, ob ihre Maßnahme überhaupt nach dem AFG gefördert wird. Ferner haben sie Schwierigkeiten bei der Gewinnung und Auswahl geeigneter Teilnehmer, mit deren Motivation, wenn externe Entscheidungen sie in die Maßnahme geführt haben, und schließlich mit dem vielfältig relativierten Erfolgskriterium Nr. 1 für alle Maßnahmen der Fortbildung und Umschulung: der Vermittelbarkeit in ein normales Arbeitsverhältnis. So ist der Öffentliche Dienst in den neuen Bundesländern ein großer Nachfrager, und es ist verhältnismäßig leicht, über Anpassungsqualifikationen Arbeitnehmer mit anderen Berufen dorthin zu integrieren. Einer erfolgreichen Vermittlung steht aber häufig das Besoldungssystem des öffentlichen Dienstes im Wege, das Berufsfremde arg benachteilige. Hier wurde, wie an anderen Stellen auch, an alle appelliert, die bestehenden Vorschriften nicht allzu eng zu nehmen; auch Personalräte und Tarifparteien müßten über ihren Schatten springen. Die Anforderung, sich noch um die Vermittlung zu kümmern, überfordere manchen Bildungsträger. In der Praxis gelte dem Arbeitsamt eine Arbeitsmarktanalyse zum Ausweis der Vermittelbarkeit der Fortgebildeten schon als stimmig, wenn der

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Träger genügend Praktikumsplätze nachweise. Dies sei, wie allgemein beklagt wurde, schon schwierig genug, denn es gebe kaum geeignete Betriebe, die solche Praktikumsplätze zur Verfügung stellen könnten.

4.4.2 Die Bundesanstalt für Arbeit

Das Qualitätssicherheitskonzept nach dem Arbeitsförderungsgesetz, wie es auf dem Diskurs in Rede stand, ist von der Bundesanstalt für Arbeit und dem Bundesinstitut für Berufsbildung Berlin gemeinsam entwickelt worden. Es erlaubt den Ämtern weitgehende Kontrolle, läßt aber auch nach Auffassung seiner Urheber noch deutliche Schwächen erkennen. Solche Schwächen in den AFG-Richtlinien, die beide Einrichtungen als nächstes überwinden wollen, sind die teilweise Veraltung der Vorgaben im Begutachtungskatalog von 1975 und die zum Teil zu geringe Ausdifferenzierung der Qualitätsstandards.

4.4.3 Selbstregulierung der Träger

Neben der staatlichen Kontrolle hat die Initiative der Träger selber entscheidende Bedeutung für die Qualität der Weiterbildung. Tatsächlich haben etliche Träger Anstrengungen unternommen, sich von den schwarzen Schafen abzugrenzen, und eigene Qualitätsstandards entwickelt. Nach Darstellung einer Forscherin des Berufsbildungsinstituts sind diese verschiedenen Selbstkontrollstandards jedoch schon heute so unübersichtlich, daß sie in ihrer Relevanz für die Qualität sehr begrenzt sind. Viele Weiterbildungseinrichtungen, hieß es, seien von AFG-geförderten Teilnehmern abhängig und hätten sich oft erst aufgrund des riesigen Förderungsvolumens in den neuen Bundesländern entschlossen, Weiterbildung anzubieten. Viele wollten trotz beklagter niedriger Fördersätze auch noch Gewinn machen und betrieben die Weiterbildung als Geschäft wie jedes andere, was Auswirkungen auf die Qualität habe. Gegenüber fachlich oder regional sektorierten "Qualitätszirkeln" wurde erhebliche Reserve deutlich. Diese Zirkel verpflichteten ihre Teilnehmer auf bestimmte Standards und verleihen ihnen ein Gütesiegel. Die Grenzen solcher Selbstregulierung sind allerdings nicht zu weit gesteckt: Sie zielen auf die Abwehr öffentlicher Kritik und haben damit die Tendenz zur Kartellbildung und Interessenwahrung. Mit großer Wahrscheinlichkeit führen sie dazu, daß letztlich jedes Mitglied des Kartells auch das Gütesiegel bekommt, wenn nicht neutrale Stellen die Kontrolle vornehmen. Überdies, so eine Formulierung, bürge die Inflationierung des Qualitätsbegriffs nicht für Qualität, sondern die Verschiedenheit der Qualitätsstandards und Gü-

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tesiegel verwirre eher. Die Funktion der Gütesiegel könne im übrigen auch von staatlichen Prüfungsinstanzen wahrgenommen werde. So zeige die Entwicklung im Fernschulwesen Westdeutschlands vor 1977, daß entsprechende Kontrolle bei den Anbietern als Qualitätskriterium auch begehrt sein könne.

In der Diskussion mit den Trägern wurde aber rasch Einigkeit darüber hergestellt, daß alle Initiativen zur Qualitätssicherung, auch die von Trägerverbänden, genutzt werden sollten.

4.4.4 Kontrolle durch die Betroffenen

Qualitätskontrolle schließlich durch die eigentlich Betroffenen, die Teilnehmer, steht unter dem Vorbehalt, daß sie nicht als Abstimmung mit den Füßen, weg von den schwarzen Schafen der Branche, erfolgen kann, da eine solche Evaluierung durch den Markt auf Kosten der Betroffenen ginge. Dennoch, so die einhellige Meinung, seien die Teilnehmer bei der bisherigen Qualitätsdiskussion vernachlässigt worden. Um zu verhindern, daß Bildungsangebote nur denen zugänglich sind, die über Geld und einen Grundfundus an Informationen verfügen, also leichter an die besseren Bildungsangebote herankommen, daß so die Weiterbildung segmentiert und sie so zu einer Vertiefung der Gegensätze statt zur Chancengleichheit führt, hat das Bundesinstitut für berufliche Bildung Hilfen und Ratgeber, unter anderem eine "Checkliste" für die Beurteilung von Qualifizierungsmaßnahmen zusammengestellt, von der innerhalb von drei Monaten 40 000 Exemplare abgesetzt worden seien; 20 000 Anfragen stünden auf einer Warteliste. Das Land Brandenburg ist dabei, Informations- und Beratungsstellen für Teilnehmer einzurichten.

Die Arbeitsämter sind angewiesen, an die Teilnehmer aller Qualifizierungsmaßnahmen von mehr als drei Monaten Dauer Erfahrungsbögen auszugeben und sie auch auszuwerten. In der Praxis scheint dieses Instrument keine große Rolle zu spielen, wie die schwache Resonanz auf diese Information ahnen ließ.

Mit allgemeiner Zustimmung wurde die Aussage bedacht, daß Information und Transparenz dringend erforderlich seien und durch Beratung ergänzt werden müßten. Damit die Informationen vergleichbar seien, müsse man sich auch auf gemeinsame Informationsmerkmale verständigen, Beratung müsse kostenlos und neutral sein. Vergegenwärtigt man sich die Schwierigkeiten der Träger, geeignete Teilneh-

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mer auszuwählen, und den Umstand, daß in einigen städtischen Gegenden schon Überkapazitäten entstanden sind, muß die Neutralität zum Schutz vor Akquisitionsinteressen der Träger sehr hoch veranschlagt werden.

4.4.5 Der Zustand der Beratung

Wie es um die Beratungskapazität etwa der Arbeitsberater bestellt ist, macht die hier noch einmal wiederholte Zahl aus Pirna deutlich: Zehn Arbeitsberater haben in einem Jahr 18 000 Menschen in Weiterbildung geschickt. Ein leitender Mitarbeiter eines Arbeitsamtes regte sogar an, von der Vorstellung Abstand zu nehmen, das Amt müsse jeden gesehen haben, der in eine solche Maßnahme gehe.

Der Vertreter einer von der ÖTV und der Stadt Dresden gemeinsam getragenen Qualifizierungsgesellschaft machte eindringlich klar, welchen Umfang der Beratungsbedarf in der Konkretion erreicht. Zum einen befänden sich viele potentielle Teilnehmer in dem schwer lösbaren Konflikt, ob sie ihre alte Arbeitsstelle, die sie eigentlich behalten wollen und um die sie möglicherweise sogar mit Unterstützung ihrer Gewerkschaft kämpfen, einfach preisgeben sollen. Für die Zukunft würden ihnen dagegen häufig undurchsichtige Anpassungsqualifikationen in Aussicht gestellt, deren Wert sie gar nicht ermessen könnten und die zudem häufig mit völligem Berufswechsel und mit Herunterstufung verbunden seien. Schon bei 35- bis 40jährigen müsse man sorgfältig mit der Frage umgehen, ob ihnen denn eine ein- oder zweijährige Weiterbildung zu empfehlen sei. Manche, die ihre Zukunft im Hotel- und Gaststättengewerbe sähen, machten sich auch nicht recht klar, welche Folgen die Entscheidung für das Familienleben hätte. Für eine Reduzierung der Fehlerquote sei es unbedingt nötig, auch das persönliche Umfeld einzubeziehen. Die Gefahr, daß unklare Vorstellungen zu späterer Frustration führten, sei groß, und eine zweijährige Umschulung für einen vierzigjährigen Menschen keine Bagatelle. Oft wisse niemand recht über den Charakter und damit die Eignung einer bestimmten Qualifizierungsmaßnahme Bescheid. Es sei etwa für die Qualifizierungsgesellschaft in Dresden oft gar nicht opportun, Interessenten zwecks genauerer Information gleich zum Träger zu schicken, weil dieser an den Beratungswilligen zunächst einmal seine Akquisitionsinteressen exerziere: "Die werden gleich gekrallt."

Zur Verbesserung der Entscheidungsfähigkeit, so die Essenz der Diskussion, ist eine qualifizierte und neutrale Beratung und vor allem mehr Bedenkzeit nötig. Alle Betei-

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ligten wie Träger, Arbeitsamt, Stadtverwaltung, Qualifizierungsgesellschaften müßten ein Netzwerk schaffen und einander ehrlich Rechenschaft vor allem über die Grenzen des eigenen Vermögens geben.

4.4.6 Weitere Qualitätsstandards

Von selten der Behörden und der Wissenschaft als auch von Trägern wurde in Ergänzung zum oben Beschriebenen eine Fülle von Qualitätsstandards genannt.

Zu ihnen gehörte an erster Stelle die aus dem Bundesinstitut für Berufsbildung erhobene Forderung nach Gemeinnützigkeit der Träger, eine Forderung, die die anwesenden Vertreter kommerziell arbeitender Träger merkwürdig unbeeindruckt ließ. Es waren gerade Vertreter privater Bildungseinrichtungen, die bereitwillig und umfassend riesige Kataloge von Qualitätskriterien aufblätterten, ohne wegen der kommerziellen Ausrichtung des eigenen Hauses irgendwelche Minderwertigkeitsgefühle zu spüren, und so zu widerlegen trachteten, daß Gewinnorientierung und Qualität einander ins Gehege kommen müssen. Sofern dieser Umstand zu einer Relativierung des harten Kriteriums Gemeinnützigkeit zwang, wurde die neue Scheidelinie zwischen reinvestierenden und nur gewinnkonsumierenden Firmen gezogen. Als Finanzierungsmodell für eine – nun wieder gemeinnützige – Einrichtung wurde empfohlen, eine Stiftung zu gründen, aus deren Zinsertrag Investitionen finanziert werden könnten.

Als Anforderungen an Qualifizierungsmaßnahmen wurden genannt die Chancengleichheit, die Vermittlung des Denkens in Zusammenhängen, solidarisches Lernen, ökologisches Lernen und die Teilhabe an der aktiven Gestaltung von Arbeit und Technik, alles Merkmale, die für die neuen Länder besonders wichtig seien.

Für eine gute Maßnahme sei ein Lehrplan nötig, der auf der Grundlage des Berufsbildungsgesetzes stehe, aus diesem aber nicht abgeschrieben werden dürfe – schließlich gelte es, bei der kürzeren Zeit Vorschriften einzudampfen. Vielfach sei es nötig, Gegebenheiten vor Ort zu berücksichtigen, etwa alte Techniken, die in den westdeutschen Lehrplänen gar nicht mehr vorkämen. Lehrpläne müßten allgemein, etwa per Aushang, zugänglich sein, damit jeder wisse, wann welcher Lehrstoff an der Reihe sei. Die zum Teil sehr umfangreichen Lernerfahrungen der Teilnehmer – manche erlernten den dritten oder gar vierten Beruf – seien zu berücksichtigen, unvermeidliche heterogene Gruppen seien mit individuellem Stützunterricht auszudifferenzieren. Es sei mit möglichst modernen Werkstätten zu arbeiten, wobei die Re-

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novierung der eigenen Räume bei entsprechendem Umschulungsziel durchaus in das Lernprogramm integriert werden könne. Einmal jedoch, das wurde als Problem benannt, seien diese Räume nun einmal fertig, und den Möglichkeiten eines Weiterbildungskurses, nun andere Aufträge zu akquirieren, seien gesetzlich enge Grenzen gesetzt. Für die Praktika müsse es genaue Pläne geben, die in Rahmenvereinbarungen zwischen dem Bildungsträger und der Praktikumsfirma festgehalten werden müßten.

Als optimal wurde die Beschäftigung ausschließlich festangestellter Mitarbeiter angesehen, die unbefristete Arbeitsverträge erhielten, selbst weitergebildet würden, mit Grund- und Prämiensystem entlohnt. Nebenberufliche Dozenten müßten in jedem Fall auch für Vorbereitung und Fortbildung und nicht allein für die gegebenen Unterrichtsstunden bezahlt werden; Fortbildung der Dozenten jedoch, beklagte die Vertreterin eines besonders engagierten Trägers, sei in jedem Falle "Privatvergnügen" der Firma und sei durch die Sätze für Qualifizierungsmaßnahmen nicht gedeckt. Große Sorgfalt sei auf die Teilnehmerauswahl zu legen. Der Vertreter eines Trägers ging sogar so weit, alle Schwierigkeiten in Kursen durch entsprechende Auswahl vermeiden zu wollen – möglicherweise ein probates Mittel, sich Ärger vom Hals zu schaffen, nicht unbedingt aber ein volkswirtschaftlich sinnvolles, um das allgemeine Qualifizierungsniveau zu heben. Aus einer als vorbildlich dargestellten Schule wurde erzählt, daß dort pro Kursus maximal 32 Teilnehmer aufgenommen würden, die sich dann in kleinere Lerngruppen von fünf oder sechs aufteilten.

Um die Teilnehmer über den Wert der ihnen angebotenen Qualifikation zu informieren, ist es sinnvoll, zahlreiche Praktika anzubieten oder auch einmal Betriebsräte in den Unterricht zu holen. Vereinzelt klang an, daß manche Träger schon Schwierigkeiten haben, genügend geeignete Teilnehmer zu bekommen. Kritisiert wurde in diesem Zusammenhang der Franke-Erlaß vom Herbst 1991, der die Zugangsvoraussetzungen für Weiterbildungsmaßnahmen erschwert habe.

Die vorgeschriebenen Leistungskontrollen wurden für nicht ausreichend gehalten. Es sei nötig, pro Leistungseinheit von sechs bis acht Wochen eine Selbsteinschätzung vornehmen zu lassen. Als effizient etwa bei der Fortbildung einer Stadtverwaltung habe es sich erwiesen, die Teilnehmer für jeweils drei Tage en bloc in die Einrichtung zu holen und sie dann acht Tage lang mit dem Gelernten – und versehen mit Lern- (nicht Lehr-)Material – arbeiten zu lassen – eine Empfehlung freilich, die nur bei den noch relativ seltenen berufsbegleitenden Maßnahmen zu realisieren ist.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2002

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