FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausgabe: 38]

VI. Nachbesserungen



1. Zurück zur Krönungstheorie

Nachdem die Befürworter einer stärkeren politischen Union in Europa sich in Maastricht nicht durchsetzen konnten, wird nun die Wirtschafts- und Währungspolitik dazu benutzt, für eine Vertiefung der Europäischen Gemeinschaft zu sorgen. Es sprechen jedoch viele Argumente dafür, daß die Währungsunion der ihr zugedachten Lokomotivfunktion nicht gerecht werden kann. Die Wirtschafts- und Währungspolitik allein kann realwirtschaftliche Verhältnisse nicht ändern. Das haben uns nicht zuletzt die schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen der deutsch-deutschen Währungsunion gezeigt. Ähnlich könnte es sich mit Europa verhalten. Bei einer Überforderung der nationalen Volkswirtschaften durch die Währungsunion könnten regionale Arbeitslosigkeit, massive Transferleistungen von den "reicheren" in die "ärmeren" EG-Staaten sowie größere Wanderungsbewegungen in Europa die Folge sein. Geringere Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstandsverluste wären die Konsequenz. Sie könnten die Europamüdigkeit in der Bevölkerung stärken, nationalistische oder regionalistische Bewegungen wären die Folge.

Angesichts der geringen Vorteile und der großen Risiken einer europäischen Währungsunion im Eilverfahren ist es noch nicht zu spät zu überlegen, ob die Umsetzung der Krönungstheorie den wirtschaftlichen und auch den politischen Zielen der Gemeinschaft nicht eher dienen würde. Auch auf diesem Wege könnten Maßnahmen zur Beschleunigung eingeschlagen werden, allerdings mit einem geringerem Risiko. Zu denken wäre dabei an folgende Schritte:

  1. Die wirtschaftliche Konvergenz der EG-Mitgliedstaaten müßte weiterhin gefördert werden. Dazu hätten die Einzelstaaten durch eine entsprechende Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik ihren Beitrag zu leisten. Zu denken wäre aber auch an finanzielle Hilfen der Gemeinschaft, die sich jedoch in einem Rahmen bewegen sollten, der auch noch die Unterstützung Ost- und Mitteleuropas zuläßt.

  2. Innerhalb der Europäischen Währungsunion könnten der realwirtschaftlichen Lage der Einzelstaaten entsprechend die Bandbreiten für Wechselkursschwankungen verengt werden. Dies könnte auch die endgültige Wechselkursfixierung zwischen einzelnen Ländern beinhalten. Dieses Verfahren hätte den Vorteil, daß es schon vor 1999 greifen könnte. Außerdem ließe sich auf diese Weise eine Währungsunion zwischen wenigen Einzelstaaten auf ihre Funktionsfähigkeit "erproben".

  3. Die Übergangszeit könnte dazu genutzt werden, die nationalen Zentralbanken unabhängig zu machen und die Stabilitätskultur in Europa zu vertiefen bzw. das Stabilitätsbewußtsein vor allem in den südlichen Mitgliedsländern zu stärken. Eine stärkere intergouvernementale Kooperation in der Geldpolitik sowie die Intensivierung der Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik würden darüber hinaus die Voraussetzungen für das Funktionieren einer späteren Währungsunion schaffen. Die politische Union sollte zumindest zeitgleich mit der Währungsunion realisiert werden.

  4. Ein den wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechendes Vorgehen hätte zudem den Vorteil, daß die institutionellen Voraussetzungen für eine demokratisch legitimierte Wirtschafts- und Währungsunion geschaffen werden könnten. Dabei wäre vor allem die Frage zu klären, wie die Aufgabenverteilung zwischen der regionalen, der nationalen und der Gemeinschaftsebene in Zukunft aussehen soll, und wie die Kompetenzen der Parlamente, insbesondere des Europaparlaments erweitert werden können.

Die Förderung der wirtschaftlichen Konvergenz der Mitgliederstaaten und die Weiterentwicklung des mit großem Erfolg arbeitenden Europäischen Währungssystems könnten automatisch zur Vollendung der Währungsunion mit der Einführung einer gemeinsamen Währung - die dann nur noch eine technische Frage ist - führen. Vorteil des "Krönungsweges" wäre nur, daß die ökonomischen und politischen Risiken für die Gemeinschaft minimiert wären.

Page Top

2. Beseitigung der wichtigsten Defizite von Maastricht

Nach den Römischen Verträgen müssen alle EG-Mitgliedstaaten den Maastrichter Beschlüssen zustimmen. Mit der Ablehnung durch Dänemark ist das weitere Verfahren deshalb wieder offen. Zwar wollen die anderen Mitgliedsländer an den Beschlüssen festhalten, jedoch ist noch ungeklärt, ob und wie das machbar ist. Sollte der Rat selbst sich nicht zu einem Zurück zur Krönungstheorie entscheiden (wofür es derzeit keine Hinweise gibt) und dazu von der Bevölkerung der Mitgliedstaaten auch nicht gezwungen werden (immerhin finden bis 1999 noch viele nationale Wahlen statt), könnten immerhin die größten Mängel der Maastrichter Verträge beseitigt werden. Dabei wäre zu fordern:

  1. Aufhebung des Automatismus und der Unumkehrbarkeit.

  2. Die Politische Union stärken und vertiefen, die Koordination der Wirtschafts- und Finanzpolitik intensivieren, Nachbesserungen bei der Sozialunion - unter Einbeziehung von Großbritannien - durchsetzen.

  3. Sofortige Ausrichtung der Währungspolitik aller EG-Länder an die Stabilitätsanforderungen der Währungsunion. In diesem Zusammenhang die Unabhängigkeit der nationalen Notenbanken herstellen.

  4. Die Konvergenzbedingungen für den Eintritt neu definieren. Zum einen sollten realwirtschaftliche Kriterien wie Produktivität, Mobilität der Produktionsfaktoren, Leistungsbilanz etc. größere Berücksichtigung finden, zum anderen die Nominalkriterien für Preisstabilität, langfristige Zinsen und jährliche Nettoneuverschuldung der öffentlichen Hand strenger definiert werden. Darüber hinaus sollten Garantien für die Einhaltung der Kriterien vereinbart werden. Ferner wäre die Manipulation der Kriterien zu unterbinden.

  5. Kein Mitgliedsland sollte durch Mehrheitsbeschluß gegen seinen Willen zur Teilnahme an der Währungsunion gezwungen werden können. Der freiwillige Austritt aus dem Währungsverbund sollte ebenso geregelt sein wie die Möglichkeit eines unfreiwilligen Ausschlusses, der das Sanktionsinstrumentarium der Gemeinschaft erweitern könnte.

  6. Die Sanktionen bei unerwünschtem finanzpolitischen Verhalten eines Mitgliedes sollten erweitert, ihre Wirksamkeit in der Praxis vor Eintritt in die Währungsunion erprobt werden. Die Sanktionen sollten - nach Möglichkeit - ausschließlich einer ökonomischen und nicht einer politischen Bewertung unterliegen.

  7. Die Kompetenzen bezüglich des Wechselkursregimes und der Devisenbewirtschaftung sollten auf die Europäische Zentralbank übertragen werden. Die Unabhängigkeit der Zentralbankmitglieder durch entsprechende Gehalts- und Pensionsregelungen könnte noch verbessert werden. Ferner wäre zu überlegen, ob die "Stabilitätsanwälte" im Zentralbankrat sicherheitshalber nicht ein Vetorecht erhalten sollten.

  8. Auf jeden Fall sollten die Verträge eindeutig formuliert werden, denn "unklare Verträge sind schlechte Verträge". Die Spielräume für spätere Interpretationen müssen auf ein Minimum beschränkt werden. Ökonomische Sachverhalte sollten nach Möglichkeit nicht politischen Bewertungen unterliegen.

  9. Es sollte auf jeden Fall eine Mindestmenge von Teilnehmerstaaten für die dritte Stufe der Währungsunion festgelegt werden.

  10. Bis zum Eintritt in die dritte Stufe müßten die nationalen Notenbanken die volle Kompetenz über die Geldpolitik behalten.

  11. Der Europäische Zentralbankrat sollte bei seiner Entscheidungsfindung an bestimmte Regeln gebunden werden (z. B. Geldmengenentwicklung entsprechend dem Produktionspotential o. ä.). Zumindest wäre eine bessere Publizität bezüglich der Politik der Europäischen Zentralbank zu gewährleisten.


Page Top

3. Zur Notwendigkeit einer Volksabstimmung

Die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung ist nicht nur eine wichtige wirtschaftliche, sondern auch soziale und kulturelle Frage. Sie sollte deshalb der Zustimmung der Bevölkerung in den Mitgliedstaaten unterliegen. Deshalb sollte auch nach einer Verbesserung der Maastrichter Verträge die Akzeptanz der Bürger Europas zu den Vereinbarungen in nationalen Referenden oder zumindest in einer breiten öffentlichen Diskussion gesucht werden. Die Minimalforderung wäre, daß die Entscheidung über den Beitritt zur Währungsunion zumindest bei den nationalen Parlamenten liegt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

Previous Page TOC Next Page