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[Seite der Druckausgabe: 2]

II. Die Verträge von Maastricht

Die wichtigsten Bestimmungen in den Beschlüssen von Maastricht lauten:

  • Spätestens 1999 tritt die Europäische Gemeinschaft in die Endphase der Wirtschafts- und Währungsunion mit einer gemeinsamen EG-Währung ein, und zwar unabhängig von der Zahl der an der Währungsunion teilnehmenden Länder.
  • Alle Mitgliedsländer außer Großbritannien führen die 1989 beschlossene Sozialcharta weiter.
  • Die EG verfolgt eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, deren Leitlinien vom Europäischen Rat festgelegt werden. Der Ministerrat beschließt, welche Angelegenheiten Gegenstand gemeinsamen Handelns sind.
  • In den Bereichen Justiz und Inneres (Asyl- und Einwanderungspolitik, Drogen, Terrorismus) arbeiten die 12 zusammen.
  • Das Europäische Parlament erhält ein Mitentscheidungsrecht (Artikel 189 b), das ihm nach drei Lesungen ein Veto gegen Gesetzesvorhaben einräumt. Die Mitentscheidung gilt jedoch nur für einen eng begrenzten Themenkatalog.

Darüber hinaus wurde beschlossen, daß Verhandlungen mit beitrittswilligen Ländern 1992 beginnen können, sobald die Finanzierung der EG für die nächsten Jahre (Delors-II-Paket) geregelt ist.

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l. Die Europäische Währungsunion

Im Vordergrund der Beschlüsse von Maastricht stand zweifellos die Entscheidung, spätestens 1999 eine Europäische Währungsunion mit einer gemeinsamen EG-Währung zu gründen. Hierzu wurden folgende Vereinbarungen getroffen:

a) Der Zeitplan für die Entstehung der Europäischen Währungsunion

Die erste Stufe der Europäischen Währungsunion hat im Grunde schon begonnen. Seit Mitte 1990 sind auf europäischer Ebene Vereinbarungen in Kraft, die eine weitere Verbesserung der wirtschaftlichen Konvergenz sowie eine verstärkte geldpolitische Zusammenarbeit zwischen den Notenbanken der Mitgliedsländer vorsehen. Diese Koordinationsaufgabe wird vom Ausschuß der EG-Zentralbankpräsidenten wahrgenommen.

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Die zweite Stufe, die am l. Januar 1994 beginnen soll, dient der verstärkten Koordinierung der Geld- und Finanzpolitik. Ziel ist es, die monetäre und finanzpolitische Konvergenz unter den Mitgliedstaaten voranzutreiben. Zu diesem Zweck sollen die Mitgliedstaaten - wenn nötig - "mehrjährige Programme festlegen, die die für die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion notwendige dauerhafte Konvergenz, insbesondere hinsichtlich der Preisstabilität und gesunder öffentlicher Finanzen, gewährleisten sollen." Insbesondere sollen übermäßige öffentliche Defizite vermieden werden. Darüber hinaus sollen in dieser Phase die übrigen Voraussetzungen für den Übergang in die dritte und letzte Stufe der Währungsunion geschaffen werden. Dazu gehört vor allem die Herstellung der Unabhängigkeit der heute in der überwiegenden Mehrzahl der EG-Länder noch von den jeweiligen Regierungen abhängigen nationalen Notenbanken. Dazu rechnet aber auch die Inkraftsetzung des Verbots der Kreditgewährung der Notenbanken an den Staat.

Die zweite Stufe beinhaltet auch institutionelle Änderungen. Gewissermaßen als Vorläufer der europäischen Zentralbank soll Anfang 1994 das Europäische Währungsinstitut (EWI) eingerichtet werden, das von einem Präsidenten und den Präsidenten der nationalen Zentralbanken geleitet und verwaltet wird. Der Ausschuß der Präsidenten der Zentralbanken wird aufgelöst, ebenso der Europäische Fonds für Währungspolitische Zusammenarbeit. Die Aufgaben dieser beiden Institutionen werden auf das EWI übertragen, das damit folgende Funktionen zu erfüllen hat:

  • die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Zentralbanken zu verstärken;

  • die Koordinierung der Geldpolitiken der Mitgliedstaaten mit dem Ziel zu verstärken, die Preisstabilität aufrechtzuerhalten;

  • das Funktionieren des Europäischen Währungssystems zu überwachen;

  • Konsultationen zu Fragen durchzuführen, die in die Zuständigkeit der nationalen Zentralbanken fallen und die Stabilität der Finanzinstitute und -markte berühren;

  • die Verwendung der ECU zu erreichtern und deren Entwicklung einschließlich des reibungslosen Funktionierens des ECU-Verrechungssystems zu überwachen.

Außer der Förderung der geldpolitischen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten ist das EWI aber auch für die Vorbereitung der Endstufe der Währungsunion zuständig. In diesem Zusammenhang hat es die Aufgabe,

  • die Instrumente und Verfahren zu entwickeln, die zur Durchführung einer einheitlichen Währungspolitik in der dritten Stufe erforderlich sind;

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  • bei Bedarf die Harmonisierung der Bestimmungen und Gepflogenheiten auf dem Gebiet der Erhebung, Zusammenstellung und Weitergabe statistischer Daten in seinem Zuständigkeitsbereich zu fördern,

  • die Regeln für die Geschäfte der nationalen Zentralbanken im Rahmen des ESZB auszuarbeiten,

  • die Effizienz des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs zu fördern,

  • die technischen Vorarbeiten für die ECU-Banknoten zu überwachen.

Bis zum 31. Dezember 1996 soll das EWI den Rahmen festlegen, den das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) zur Erfüllung seiner Aufgaben in der dritten Stufe benötigt.

Das Europäische Währungsinstitut soll also ein Instrument zur Koordination der Geldpolitiken der Mitgliedstaaten sein und darüber hinaus die organisatorische und technische Vorbereitung der Endstufe der Währungsunion übernehmen. Zwar kann das EWI bei Gefährdung der Geldwertstabilität Empfehlungen an nationale Notenbanken und Regierungen richten, die geldpolitische Verantwortung verbleibt jedoch vollständig bei den nationalen Instanzen. Auch sind Änderungen der Wechselkurse im Rahmen des Europäischen Währungssystems bis zum Beginn der dritten Stufe (d.h. nicht vor 1997) noch möglich.

Mit Beginn der dritten Stufe geht die geldpolitische Verantwortung an das Europäische System der Zentralbanken über. Der Wert der nunmehr eigenständigen Währung ECU wird unwiderruflich festgesetzt, die Austauschparitäten endgültig fixiert.

Für die Teilnahme an der Endstufe der Währungsunion ist maßgebend, daß die betreffenden Mitgliedsländer die sogenannten Konvergenzbedingungen erfüllen. Sie beinhalten im einzelnen:

  • die Erreichung eines hohen Grades an Preisstabilität, der sich darin ausdrückt, daß die Inflationsrate nicht mehr als 1,5 % über dem Durchschnitt der Inflationsraten der drei preisstabilsten Länder liegt,

  • eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand. Demnach darf das öffentliche Defizit nicht mehr als 3 % des Bruttoinlandsprodukts und der öffentliche Schuldenstand nicht mehr als 60 % des Bruttoinlandsprodukts ausmachen,

  • Einhaltung der normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems (EWS) seit mindestens zwei Jahren ohne Abwertung gegenüber der Währung eines anderen Mitgliedstaates,

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  • Konvergenz der langfristigen Zinssätze. Sie dürfen nicht mehr als 2 % über dem entsprechenden Satz in den drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen.

Neben diesen Konvergenzkriterien sind auch die Entwicklung der ECU, der Stand und die Entwicklung der Integration der Märkte und der Leistungsbilanzen sowie die Lohnstückkostenentwicklung und andere Preisindizes zu berücksichtigen.

Spätestens am 31. Dezember 1996 entscheidet der Rat, d. h. die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer mit qualifizierter Mehrheit

  • ob eine Mehrheit der Mitgliedstaaten die notwendigen Voraussetzungen für die Einführung einer einheitlichen Währung erfüllen,

  • ob es für die Gemeinschaft zweckmäßig ist, in die dritte Stufe einzutreten und sofern dies der Fall ist,

  • bestimmt er den Zeitpunkt für den Beginn der dritten Stufe.

Wenn bis Ende 1997 der Zeitpunkt für den Beginn der dritten Stufe nicht festgelegt worden ist, beginnt diese automatisch am l. Januar 1999. Der Rat bestätigt vor dem l. Juli 1998 mit qualifizierter Mehrheit, welche Mitgliedstaaten die notwendigen Voraussetzungen für die Einführung einer einheitlichen Währung erfüllen.

b) Das System der Europäischen Zentralbanken

Das vorrangige Ziel der europäischen Geldpolitik ist es, die Preisstabilität in der Gemeinschaft aufrechtzuerhalten. Daneben soll die allgemeine Wirtschaftspolitik unter Beachtung des Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb unterstützt werden.

Nach Verwirklichung der Währungsunion obliegt die Aufgabe einer einheitlichen Geld- und Wechselkurspolitik dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB). Das ESZB besteht aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken. Die Mitglieder des ESZB sind unabhängig. Das heißt sie dürfen weder Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen, noch dürfen die genannten Institutionen sie zu beeinflussen versuchen.

Die grundlegenden Aufgaben des ESZB bestehen darin,

  • die Geldpolitik der Gemeinschaft festzulegen und auszuführen,

  • die Devisengeschäfte durchzuführen,

  • die offiziellen Währungsreserven der Mitgliedstaaten zu halten und zu verwalten,

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  • das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern.

Die wesentlichen geldpolitischen Entscheidungen der Gemeinschaft werden vom Rat der Europäischen Zentralbank getroffen. Ihm gehören die Mitglieder des Direktoriums der EZB und die Präsidenten der nationalen Zentralbanken an. Das Direktorium besteht aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und vier weiteren Mitgliedern. Sie werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten, auf Empfehlung des Rates (unter Anhörung des EZB-Rates und des Europäischen Parlaments) aus dem Kreis fachlich anerkannter Persönlichkeiten ausgewählt. Ihre Amtszeit beträgt 8 Jahre, eine Wiederernennung ist nicht zulässig.

Die EZB wir bei allen Vorschlägen von Rechtsakten, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, von den europäischen und nationalen Instanzen konsultiert. Darüber hinaus kann sie Organen und Einrichtungen der Gemeinschaft und der Mitgliedsstaaten Stellungnahmen zu in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Fragen abgeben.

Über ihre Tätigkeit muß die EZB jedes Jahr einen Bericht vorlegen, der dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission sowie dem Europäischen Rat zugeleitet wird.

c) Währungspolitische Befugnisse des Rates

Entsprechend den Vereinbarungen von Maastricht kann der Rat einstimmig förmliche Vereinbarungen über ein Wechelskurssystem für die ECU gegenüber Drittlandswährungen treffen. Besteht gegenüber einer Drittlandwährung kein Wechselkurssystem kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit allgemeine Orientierungen für die Wechselkurspolitik gegenüber diesen Währungen aufstellen. Zuständig ist der Rat auch, wenn die Gemeinschaft mit anderen Staaten oder Organisationen Vereinbarungen zu Währungsfragen oder Devisenregelungen schließt.

d) Die Unumkehrbarkeit des Automatismus

Wie erwähnt wird am l. Januar 1999 auf jeden Fall der Übergang in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion vollzogen, unabhängig davon ob eine Mehrheit der Mitgliedsländer die Eingangskriterien erfüllt und einen Beitritt zur Währungsunion wünscht.

Der unbedingte Wille zu diesem Automatismus wird mit Vehemenz im Maastrichter Vertrag betont. Dort heißt es im Protokoll über den Übergang zur dritten Stufe :

"Die Hohen Vertragsparteien erklären mit der Unterzeichnung der neuen Vertragsbestimmungen über die Wirtschafts- und Währungsunion die Unumkehrbarkeit des Übergangs der Gemeinschaft zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion. Alle Mitgliedstaaten respektieren daher unabhängig davon, ob sie die notwendigen Voraussetzungen für die

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Einführung einer einheitlichen Währung erfüllen, den Willen der Gemeinschaft, rasch in die dritte Stufe einzutreten, und daher behindert kein Mitgliedstaat den Eintritt in die dritte Stufe.

Falls der Zeitpunkt für den Beginn der dritten Stufe Ende 1997 noch nicht festgelegt ist, beschleunigen die betreffenden Mitgliedstaaten, die Gemeinschaftsorgane und die sonstigen beteiligten Gremien im Lauf des Jahres 1998 alle vorbereitenden Arbeiten, damit die Gemeinschaft am l. Januar 1999 unwiderruflich in die dritte Stufe eintreten kann und die EZB und das ESZB zu diesem Zeitpunkt ihre Tätigkeit in vollem Umfang aufnehmen können.

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2. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Gemeinschaft

Die im Maastrichter Vertrag festgelegten Vereinbarungen zur Wirtschafts- und Finanzpolitik haben zum Ziel, die Konvergenz der wirtschaftlichen Daten zu fördern und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsländern zu stärken.

Als Ziele für die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Gemeinschaft wurden festgeschrieben:

  • offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb

  • stabile Preise

  • gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen

  • eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz

Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, eine diesen Zielen entsprechende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, die sie außerdem regelmäßig und eng mit den anderen Mitgliedstaaten koordinieren. In diesem Zusammenhang erhält der Rat das Recht, die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten zu kontrollieren und gegebenenfalls Empfehlungen auszusprechen.

Eine der wichtigsten Aufgaben der Mitgliedstaaten ist es, übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden. Konkret bedeutet das:

  • die jährliche öffentliche Verschuldung soll 3 % des Bruttoinlandsproduktes nicht überschreiten

  • der Schuldenstand soll nicht mehr als 60 % des Bruttoinlandsproduktes betragen

  • das öffentliche Defizit soll die Ausgaben für öffentliche Investitionen nicht übersteigen (sog. "Goldene Haushaltsregel").

Der Rat ist befugt, die Mitgliedstaaten bei der Einhaltung der Haushaltsdisziplin zu überwachen. Weist ein Mitgliedstaaten eine übermäßige öffentliche Verschuldung auf und ignoriert

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er die Empfehlungen des Rates zum Abbau des Defizits, kann der Rat Sanktionen ergreifen, indem er

  • von dem betreffenden Staat verlangt, vor der Emission von Schuldverschreibungen und sonstigen Wertpapieren vom Rat näher zu bezeichnende zusätzliche Angaben zu veröffentlichen

  • die Europäische Investitionsbank ersucht, ihre Darlehenspolitik gegenüber dem Mitgliedstaat zu überprüfen,

  • von dem Mitgliedstaat verlangt, eine unverzinsliche Einlage in angemessener Höhe bei der Gemeinschaft zu hinterlegen,

  • Geldbußen in angemessener Höhe verhängt.

Die Gemeinschaft haftet nicht für Verbindlichkeiten der Mitgliedsländer. Auch haften Mitgliedstaaten untereinander nicht und treten nicht für die Verbindlichkeiten anderer ein (not-bail-out-Regel). Außerdem ist es den Mitgliedstaaten verboten, sich bei der EZB oder den nationalen Zentralbanken zu verschulden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

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