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[Seite der Druckausgabe: 36 / Fortsetzung]

5. Voraussetzung erfolgreicher Sanierung sind bessere gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen

Die Sanierungspolitik der Treuhand (in Kooperation mit Bund und Ländern) wird nur so erfolgreich sein, wie die gesamtwirtschaftliche Lage im vereinten Deutschland es zuläßt. Deshalb geht es zunächst darum, durch eine konsequente Wachstumspolitik die ins Stocken geratene Konjunktur in Westdeutschland wieder in Gang zu bringen. Voraussetzungen dafür sind in erster Linie:

  • eine solidarische Verteilung der Lasten des Einigungsprozesses
  • solide und glaubwürdige Staatsfinanzen (einschließlich Nebenhaushalte)
  • eine verantwortungsvolle Lohnpolitik
  • eine stärker auf die Ankurbelung der Wirtschaft ausgerichtete Geldpolitik, konkret: Zinssenkungen und
  • eine mittelfristig planbare Wirtschaftspolitik.

Nur wenn die Wirtschaftsschwäche in Westdeutschland behoben wird, kann auch der Aufbauprozeß in den neuen Länder gelingen. Dazu bedarf es jedoch weiterer Anstrengungen. Zunächst müssen, wie es nicht nur die Bundesbank seit langem fordert, die Transferzahlungen von West- nach Ostdeutschland wesentlich stärker in den investiven Bereich (bisher gingen nur rund 1/3! der Transfers in die Investitionen) gelenkt werden, die Konsumausgaben sind entsprechend zu reduzieren. Eine der wirksamsten Maßnahmen in diese Richtung könnte in maßvolleren Tarifabschlüssen bestehen, die die Lohnangleichung an Westniveau gegenüber dem bisherigen Stand zeitlich strecken würden. Dies hätte auch den Vorteil, daß die Unternehmen kostenmäßig entlastet würden, wodurch sich ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern ließe (nach Angaben des IWH hatten im letzten Jahr allein durch den massiven Lohndruck mindestens eine Million Arbeitsplätze ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren.)

Andere wirtschaftspolitische Maßnahme in Ostdeutschland müssen sowohl auf der Angebotsseite wie auch auf der Nachfrageseite ansetzen.

[Seite der Druckausgabe: 37]

a) Investitionshemmnisse beseitigen, die Investitionsförderung effizienter gestalten

Sowohl westdeutsche wie auch ostdeutsche Unternehmen klagen nach wie vor über eine Reihe von Investitionshemmnissen. Im Vordergrund stehen immer noch die ungeklärten Eigentumsfragen und die Mängel in der öffentlichen Verwaltung. Notwendig ist die schnelle Lösung von offenen Vermögensfragen (erst 8,4% der rund 2,2 Millionen privaten Restitutionsanträge sind bisher bearbeitet), die schnelle Verwertung von Grundstücken, die Beschleunigung von Eintragungen ins Grundbuch und Handelsregister, die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren etc. Dazu bedarf es

  • eines Vermögensgesetzes, das die Sozialverpflichtung des Eigentums stärker in den Vordergrund stellt,
  • der schnellen Verabschiedung des Entschädigungsgesetzes eines Bundesgesetzes zur Vereinfachung aller bürokratischen Abläufe
  • einer stärkeren Konzentration der ostdeutschen Personalbestände des öffentlichen Dienstes auf die Kernbereiche der öffentlichen Verwaltung.

Ein zweites Investitionshemmnis stellt die mangelhafte Infrastruktur, inbesondere in den Bereichen Verkehr und Telekommunikation, dar. Besonders die Modernisierung und der Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur stellt eine Investition in die Zukunft dar, so daß sich die Finanzierung über eine zusätzliche Kreditaufnahme rechtfertigen läßt. Deshalb sollte die Bundesregierung den ostdeutschen Kommunen schnellstmöglich Mittel zur Finanzierung dringender Infrastrukturvorhaben zur Verfügung stellen. Die erneute Auflage einer kommunalen Investitionspauschale in Höhe von mindestens 10 Mrd. DM pro Jahr ab 1993 wäre dafür das geeignetste Instrument.

Dringend notwendig ist auch die Beseitigung von ökologischen Altlasten, die insbesondere in den Augen westdeutscher Investoren ein Hemmnis darstellen. Nach Erfahrungen, die man bei der Privatisierung von Treuhand-Unternehmen gemacht hat, wird es wohl nicht zu vermeiden sein, daß auch für die Sanierung von Altlasten die öffentliche Hand die Kosten tragen muß. Deshalb sollte die Bundesregierung mit Wirkung von 1993 ein mittelfristiges (5-10 Jahre) Altlastensanierungsprogramm auflegen, das nicht nur die Investitionsvoraussetzungen verbessert, sondern auch Arbeitsplätze schafft.

Über die Beseitigung der wichtigsten Investitionshemmnisse hinaus ist die verstärkte Förderung privater Investitionen nach wie vor von großer Bedeutung. Denn die meisten Unternehmen, insbesondere die im Besitz der Treuhand oder ostdeutscher Eigentümer, klagen immer noch über fehlende Finanzierungsmittel. Einen positiven Beitrag in dieser Frage konnten z.B. die Großbanken leisten. Sie haben bisher von der Wiedervereinigung nicht unerheblich profitiert: 1990 weigerten sie sich zwar, die Altschulden der DDR-Betriebe zu übernehmen,

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dafür scheuten sie sich nicht kräftig an risikofreien (weil von der Treuhand verbürgten) Liquiditätskrediten für Treuhandunternehmen zu verdienen. Es wäre nun an der Zeit, daß diese Banken entweder über die Beteiligung an ostdeutschen Unternehmen oder die großzügigere Vergabe von Krediten Verantwortung im Aufbauprozeß Ostdeutschlands übernähmen.

Die Kritik an der Investitionsförderungspolitik in Ostdeutschland macht sich vor allem an drei Punkten fest:

  1. Die Finanzierungsprogramme und Fördertatbestände sind kaum mehr zu überschauen (für Ostdeutsche in der Regel noch weniger als schon für erfahrene Westdeutsche)

  2. Die Förderung erfolgt weitgehend nach dem Gießkannenprinzip (Folge: hohe Mitnahmeeffekte)

  3. Es besteht eine Benachteiligung für ostdeutsche Unternehmer (z. B. bei den Sonderabschreibungen, die nur dann finanzielle Vorteile bringen, wenn das Unternehmen Gewinne macht) und für Treuhand-Unternehmen, die nicht in den Genuß der Förderung kommen.

Notwendig ist daher die Straffung und übersichtlichere Gestaltung der Investitionsförderung, ihre Konzentration auf förderungswürdige Branchen und Sektoren (insbesondere der Industrie), die Bevorzugung ostdeutscher vor allem mittelständischer Unternehmen sowie die Einbeziehung von Treuhand-Unternehmen. Durch die Verlängerung und Neugestaltung der Investitionszulage (Erhöhung auf 20% für Investitionen bis zu l Mio. DM in der gewerblichen Wirtschaft, wenn der Eigentümer Ostdeutscher ist) wurde diesen Forderungen zum Teil nachgekommen. Es bedarf darüber hinaus aber auch

  • der Aufstockung und des Neuzuschnitts der Gemeinschaftsaufgabe der Erhöhung der Mittel des EG-Strukturfonds
  • der Förderung gezielter Investitionen in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte und Produktionsverfahren
  • der Einbeziehung der Treuhand-Unternehmen in die allgemeine Investitionsförderung
  • der Konzentration der Fördermittel auf Eigenkapitalhilfe, Investitionszulage und steuerliche Vergünstigungen.


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b) Neue Märkte erschließen

Die ostdeutschen Unternehmen haben nach wie vor Schwierigkeiten, Abnehmer für ihre Produkte zu finden. Deshalb müssen nun endlich verstärkt Maßnahmen zur Absatzförderung unternommen werden. Hauptsächlich von ostdeutscher Seite (sowohl von Unternehmen wie

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auch von Politikern) werden die weitere Subventionierung des Osthandels sowie Abnehmerpräferenzen gefordert.

Der Osthandel bietet keine dauerhafte Perspektive

Viele ostdeutsche Unternehmen (insbesondere Treuhand-Betriebe des Maschinenbaus, des Stahl- und Leichtmetallbaus, der Chemie und anderer Sektoren) sind sehr abhängig vom Export in die GUS-Länder. Über eine Verlängerung der Hermes-Bürgschaften hoffen sie auch noch im kommenden Jahr einen Großteil ihrer Beschäftigung über den Absatz nach Osteuropa sichern zu können. Aber sowohl nach Einschätzung wirtschaftswissenschaftlicher Institute und Institutionen (z. B. DIW, SV) wie auch des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft muß für die nächsten Jahre mit einem weiteren Rückgang der Lieferungen gerechnet werden. Ursachen seien der akute Devisenmangel sowie Unklarheiten über das künftige Rechtssystem und die Zuständigkeiten. So wird sich insbesondere 1993 für viele Unternehmen der Wegfall der Absatzmärkte im Osten voll auswirken.

Es ist sicher sinnvoll auch mit Blick auf die fernere Zukunft, die Wirtschaftsbeziehungen nach Osteuropa nicht abreißen zu lassen. Deshalb sollten Maßnahmen zur Unterstützung des Osthandels weitergeführt bzw. neu aufgelegt werden. In Frage kommen etwa: liberalere Regelungen im Handel EG/Osteuropa, Clearing- oder Verrechnungsabkommen für einen Handel ohne Devisen (Kompensationsgeschäfte), Hermes-Deckung für Barter-Geschäfte u.ä.

Aber dies alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Osthandel für die Unternehmen in den neuen Ländern keine echte dauerhafte Perspektive ist. Eine Umstellung auf die Westmärkte ist deshalb unabdingbar. Und je eher sie in Angriff genommen wird, desto weniger Reibungsverluste (d.h. vor allem Arbeitsplatzverluste) wird es geben.

Abnahmepräferenzen sind dringend erforderlich

Ostdeutsche Unternehmen beschweren sich zunehmend, daß sie auch mit wettbewerbsfähigen Produkten keinen Zugang zu den westdeutschen Absatzmärkten erhalten. Offenbar findet immer noch eine Diskriminierung ostdeutscher Produzenten statt, dem durch einen "Nachteilsausgleich" entgegengesteuert werden muß. In diesem Zusammenhang wurden z. B. Steuerpräferenzen (z.B. bei der Mehrwertsteuer) oder auch eine Wertschöpfungspräferenz (Bundesverband der Deutschen Industrie) vorgeschlagen. Allerdings weisen sie einige Nachteile wie z. B. Mitnahmeeffekte, Bürokratisierung, Mißbrauchsmöglickeiten, unzureichende Effizienz etc. auf. Wirksamer könnte einerseits eine local-content-Politik sein, die die öffentliche Hand verpflichtet, einen bestimmten Teil ihrer Aufträge an ostdeutsche Unternehmen zu vergeben und einen bestimmten Teil ihrer Käufe in Ostdeutschland zu tätigen, andererseits

[Seite der Druckausgabe: 40]

könnten westliche Unternehmen auf der Basis freiwilliger Vereinbarungen dazu "verpflichtet" werden, einen Teil ihrer Vorprodukte aus Ostdeutschland zu beziehen bzw. ihre Leistungen in den neuen Ländern unter Einbeziehung ostdeutscher Unternehmen zu erbringen.

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c) Ein "ZIP Ost" zur Überbrückung der Nachfrageschwäche und zum Aufbau einer zukunftsträchtigen Industriestruktur

Das Wiederanspringen der westdeutschen, europäischen und internationalen Konjunktur wird ohne Zweifel positive Auswirkungen auf die ostdeutsche Wirtschaft haben und dort zu verstärkter Investitionstätigkeit und zur Schaffung von Arbeitsplätzen führen. Bis dahin müssen die notwendigen Investitionsvoraussetzungen geschaffen werden. Die zu erwartenden Investitionen werden aber kaum genügen, eine ausreichende Zahl an Arbeitsplätzen zu schaffen. Denn auf absehbare Zeit sind die Produktionskapazitäten in Westdeutschland groß genug, um für den Osten mitzuproduzieren. Unter diesen Umständen ist es wenig wahrscheinlich, daß westdeutsche Investoren sich in den neuen Ländern eine Konkurrenz zu ihren westdeutschen Betrieben schaffen (jedenfalls, so lange diese noch nicht abgeschrieben sind). Deshalb sollten die neuen Länder keine Kopie zur westdeutschen Industriestruktur anstreben, sondern nach zukunftsträchtigen Alternativen dazu suchen.

Dabei könnte es vor allem um eine Verknüpfung von Umwelt und moderner Technologie gehen. Noch sind die Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen offen genug, um in Ostdeutschland nicht den gleichen Entwicklungsweg zu gehen wie im Westen und vor allem Fehler, die dort gemacht wurden, zu vermeiden. Z.B. könnte ein umweltgerechtes Verkehrssystem, bei dem Bahn und der öffentliche Personennahverkehr im Vordergrund stehen, beispielhaft ausgebaut werden (was im übrigen auch schneller ginge als das gesamte Straßennetz zu erneuern und erweitern). Statt großer Kraftwerke könnte die Energieerzeugung und -verteilung dezentral unter Einsatz der Kraft-Wärme-Kopplung organisiert werden. Der Ausbau des Telekommunikationsnetzes auf höchsten Stand wäre Investitionsanreiz und Verbesserung der Lebensqualität zugleich. Der Ausbau einer umweltgerechten Infrastruktur und der Aufbau einer modernen Umweltindustrie würden nicht nur die Standortvoraussetzungen für Investitionen verbessern (die sogenannten weichen Standortvoraussetzungen nehmen ja an Bedeutung immer mehr zu), sondern auch das Image der ostdeutschen Länder (und damit vielleicht auch die Identität der Bevölkerung) positiv beeinflussen.

Für eine solche Politik, die den wirtschaftlichen Aufschwung in Ostdeutschland beschleunigen und der Lebensweise eine neue Qualität verleihen soll, müßten folgende Maßnahmen in einem auf 5 Jahre konzipierten "Zukunftsinvestitionsprogramm Ost (ZIP Ost)" zusammengefaßt werden:

  1. Die (schon erwähnte) kommunale Investitionspauschale

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  1. Ein Altlastensanierungsprogramm (eventuell in Verbindung mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen)

  2. Der Ausbau des Schnellbahnsystems der Deutschen Bundesbahn sowie des öffentlichen Personennahverkehrs

  3. Der forcierte Ausbau des Telekommunikationsnetzes

  4. Die Förderung von dezentraler Energieerzeugung, Kraft-Wärme-Kopplung, Energieeinsparung

  5. Die Förderung von Umweltinvestitionen und den Aufbau einer Umweltindustrie.

Die Finanzierung eines solchen Programms, das rund 30 Mrd. DM pro Jahr umfassen könnte, sollte einerseits über Steuererhöhungen (die konjunkturpolitisch unbedenklich wären, weil das Geld ja direkt wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückfließt) und teilweise über Kredite erfolgen, da es sich um Investitionen in die Zukunft handelt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 1999

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