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Vorwort

Nachdem sich gut zwei Jahre nach der wirtschaftlichen Wiedervereinigung die Deindustrialisierung Ostdeutschlands abzeichnet, gerät die Berliner Treuhandanstalt (Treuhand) verstärkt ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Dir wird vorgeworfen durch ihr Konzept der schnellen Privatisierung, der (passiven) Sanierung und der notwendigen Stillegung nicht-überlebensfähiger Unternehmen für die wirtschaftliche Misere in den neuen Ländern verantwortlich zu sein.

Ursache der zurecht kritisierten Versäumnisse sind aber weder Unfähigkeit noch böser Wille der Treuhand, sondern Fehler in der Aufgabenstellung, die der Anstalt mit dem Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990 auferlegt wurden. Demnach sollten die ehemaligen DDR-Kombinate "möglichst rasch und so weit wie möglich" privatisiert werden, um "die unternehmerische Tätigkeit des Staates zurückzuführen, (...) die Wettbewerbsfähigkeit möglichst vieler Unternehmen herzustellen und somit Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen."

Diesem Auftrag entsprechend versuchte die Treuhand unter großem Zeitdruck möglichst viele der ehemaligen DDR-Unternehmen zu verkaufen. Kaum jedoch hatte sie ihre Arbeit aufgenommen, sah sie sich mit dem beginnenden Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft konfrontiert: Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, die am l. Juli 1990 in Kraft trat, setzte die ostdeutschen Unternehmen von einem Tag auf den anderen der Weltmarktkonkurrenz aus. Zunächst flössen nicht die erwarteten Investitionen ins Land, sondern Waren westdeutscher und ausländischer Herkunft. Die ostdeutschen Unternehmen, ohnehin gezwungen sich marktwirtschaftlichen Bedingungen in einem veränderten Gesellschaftssystem anzupassen, sahen sich damit auch noch ihrer angestammten Märkte beraubt.

Dies erschwerte auch die Privatisierungsarbeit der Treuhandanstalt. Die erwarteten Investitionen aus Westdeutschland und dem westlichen Ausland hielten sich in Grenzen. Die Treuhand mußte Zugeständnisse vor allem bei Verkaufspreisen aber auch bei der Übernahme von Altschulden, ökologischen Altlasten oder Beschäftigten machen. Entgegen ursprünglichen Absichten, die Privatisierung weitgehend nach betriebswirtschaftlichen, d.h. in erster Linie Rentabilitätskriterien zu betreiben, mußte die Treuhand zunehmend die Struktur-, regional- und beschäftigungspolitischen Folgen ihres Engagements berücksichtigen. Das führte in Einzelfällen dazu, daß strukturbestimmende oder für eine Region sehr wichtige Unternehmen nicht stillgelegt wurden, daß die Treuhand die Unternehmen von ihren Altschulden befreite und die Beseitigung von ökologischen Altlasten übernahm, daß sie die Finanzierung von Sozialplänen gewährleistete und sich an Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften beteiligte.

Dieses Bemühen um eine sozialverträgliche Gestaltung der Privatisierung brachte der Treuhand aber Kritik von allen Seiten ein. Während Wirtschaftsforschungsinstitute und Unterneh

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mens- bzw. Arbeitgeberverbände an der Treuhandpolitik bemängeln, daß sie zu staatsinterventionistisch und ineffizient sei, setzen sich Gewerkschaften, Bürgerrechtler und ostdeutsche Politiker aller Parteien für ein stärkeres und langfristiges Engagement der Treuhand in der ostdeutschen Industrie ein. Gefordert wird die aktive Sanierung der Unternehmen unter Aufsicht und mit den Mitteln des Staates.

Die Kritik an der Treuhand ist nicht unberechtigt. Ihre Politik muß dringend den aktuellen Erfordernissen der ostdeutschen Wirtschaft angepaßt werden. Welche Möglichkeiten es dazu gibt und wie diese zu bewerten sind, darüber will vorliegende Broschüre Aufschluß geben.



Bonn, Dezember 1992Dr. Jochem Langkau


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 1999

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