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5. Kommunale Wirtschaftsförderung in Thüringen

Die ökonomische Struktur der zentralistischen Planwirtschaft in der ehemaligen DDR war durch Großbetriebe, fehlende Spezialisierung bzw. innerbetriebliches Autarkiestreben aufgrund des mangelhaften Güteraustauschs, einen nur ansatzweise vorhandenen Mittelstand und ein unzureichendes Güter- und Dienstleistungsangebot gekennzeichnet. Der Umstrukturierungsprozeß auf dem Weg zur Marktwirtschaft bereitet derzeit allen Regionen Schwierigkeiten, wenngleich in unterschiedlich starker Form. In dieser Situation sind auch die kommunalen Entscheidungsträger gefordert, Maßnahmen zu ergreifen, damit Investitionen erfolgen und so der Anpassungsprozeß beschleunigt wird. Wie die Erfahrungen in der alten Bundesrepublik gezeigt haben, hängt der wirtschaftliche Erfolg einer Region in hohem Maße auch von den Initiativen der Kommunalpolitiker ab.

Die primären Aufgaben einer kommunalen Wirtschaftsförderung, die in Ostdeutschland mit der Kommunalwahl 1990 völlig neu aufzubauen war, bestehen

  • in der Vermittlung von vorhandenen Gewerbeflächen und Gewerberäumen an Investoren sowie der Erschließung neuer Gewerbegebiete, was angesichts vieler ungeklärter Eigentumsverhältnisse ein schwieriges Problem darstellt,
  • in der Auswahl geeigneter Investoren, um einen möglichst hohen Struktureffekt für die Region zu erzielen,
  • in der Unterstützung existierender Unternehmen und von Existenzgründern in allen Bereichen, so z.B. gegenüber Behörden oder durch die Errichtung von Technologie- und Gründerzentren,
  • im Standortmarketing, um die Attraktivität der Region zu erhöhen.

Wie der Vertreter einer Wirtschaftsförderungsgesellschaft erläuterte, beinhaltet die Erschließung von Gewerbegebieten auch die Flächenmobilisierung in Kooperation mit der Treuhandanstalt. Dabei werden nicht betriebsnotwendige Immobilien der von der THA verwalteten Betriebe an interessierte Unternehmen vermittelt und so Reserveflächen zur Verfügung gestellt.

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Diese Aufgabenbereiche verdeutlichen den Stellenwert, der der kommunalen Wirtschaftsförderung auch in den neuen Ländern zukommt. Daher wurde z.B. in Suhl ein Amt für Wirtschaftsförderung in der Stadtverwaltung aufgebaut.

Der Vertreter der Stadt Suhl berichtete exemplarisch über die Schwierigkeiten bei der Erschließung eines Gewerbegebietes, auf dessen Gelände sich in der ehemaligen DDR eine Offiziershochschule der Grenztruppen mit etwa 1000 Beschäftigten befand. Es bedurfte intensiver Verhandlungen mit dem Verteidigungsministerium, um eine zivile Nutzung zu erreichen. Der Bereich für eine mögliche gewerbliche Nutzung befindet sich außerdem in den Gemarkungen der Stadt Suhl und zweier Nachbargemeinden, so daß für die Erschließung eine interkommunale Zusammenarbeit notwendig war, die erfolgreich praktiziert wurde. Bereits 6 Monate nach Erstellung eines ersten Entwicklungskonzeptes wurde ein Antrag zur Förderung eines Teilgebietes bei der Gemeinschaftsaufgabe eingereicht und positiv beschieden. Weitere 3 Monate später konnten die Kaufverträge über das Gelände unterzeichnet und mit den Bauarbeiten begonnen werden. Mit dem geplanten Investitionsvolumen werden allein bis Ende 1994 ca. 3000 neue Arbeitsplätze für die Region geschaffen.

Die hier praktizierte Zusammenarbeit von Nachbargemeinden im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung einer Region ist nicht der Regelfall. In Erfurt geht es bei der Diskussion um die Ausweisung eines Gewerbegebietes seit eineinhalb Jahren keinen Schritt voran. Häufig kommt es gerade an Gemeindegrenzen zu Konkurrenzsituationen, was die Ausweitung und Bereitstellung von Gewerbeflächen hemmt. Ursachen dafür sind Abneigungen gegenüber den ehemaligen Bezirksstädten, die in der DDR gegenüber anderen Orten bevorzugt behandelt wurden, Profilierungsversuche von Landräten und Bürgermeistern und Kleinstaaterei. Thüringen hat gegenwärtig 35 Landkreise, nach West-Maßstab dürften etwa die Hälfte angebracht sein. Die unterschiedlichen Vorstellungen in den Wirtschaftskonzepten innerhalb einer Region verhindern Wachstumschancen, die bei einem gemeinsamen Vorgehen besser genutzt werden könnten. Daher ist eine baldige Gemeinde- und Kreisreform erforderlich, um kommunale Rivalitäten abzubauen und zu lebensfähigen Einheiten zu gelangen. Parallel dazu ist ein Landesentwicklungsplan notwendig, der das Entstehen zu vieler Gewerbegebiete verhindert und Entwicklungsschwerpunkte, Verkehrsnetze etc. festlegt. Ein solcher Plan ist gegenwärtig in Thüringen in Vorbereitung.

Die heutige Situation ist dadurch gekennzeichnet, daß jede Gemeinde Fördermittel für die Erschließung eines Gewerbegebietes erhält, sofern die Fördervoraussetzungen erfüllt sind. Mit dieser Praxis entstehen nach Ansicht des Ver-

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bandes der Thüringer Wirtschaft und des Wirtschaftsministeriums mittelfristig zu viele Gewerbegebiete, die sich im nachhinein insbesondere in topographisch ungünstig gelegenen Regionen als kommunale Fehlinvestition herausstellen werden. Obgleich die Mittel z.B. aus der Gemeinschaftsaufgabe in den nächsten Jahren abnehmen werden und daher nicht mehr jeder Förderantrag positiv beschieden werden kann, ist nicht davon auszugehen, das sich dieses Problem von alleine löst. Im Landesentwicklungsplan wird es deshalb unabdingbar sein, Selektionskriterien aufzunehmen, die es in objektiver Weise gestatten, Gewerbegebiete von der Förderung auszuschließen, wenn keine begründete Aussicht auf Erfolg besteht. Nur so ist ein effizienter Einsatz öffentlicher Mittel auf der kommunalen Ebene gewährleistet.

Gegenwärtig nehmen Wirtschaftsfördergesellschaften in zunehmendem Maß sowohl landesweit als auch auf regionaler Ebene ihre Arbeit auf. Sie werden dabei von Leihbeamten aus den alten Bundesländern unterstützt. Die dadurch erzielte Stärkung der Verwaltungs- und Beratungskompetenz ist angesichts der Antragsflut, mit der die Wirtschaftsförderbehörden konfrontiert sind, unverzichtbar. So liegen derzeit in Erfurt ca. 1200 Anträge von Unternehmen auf die Eingliederung in ein Gewerbegebiet vor. Allerdings werden diese Anträge auf Neuansiedlung vorwiegend von Betrieben aus dem Handelsbereich, weniger von Industrie und Handwerk gestellt. Wegen der Regelung, daß ein durch Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe subventioniertes Gewerbegebiet zu mehr als 50% an förderfähige Unternehmen vergeben werden muß, können nicht alle Anträge berücksichtigt werden.

In Erfurt wurden seit Mai 1990 ca. 10000 Gewerbeanmeldungen registriert. Gerade in den letzten Monaten ist allerdings eine steigende Tendenz der Abmeldungen zu beobachten. Das Verhältnis der Anmeldungen zu den Abmeldungen lag in Erfurt Ende Oktober 1991 bei 4,5:1, während sich Ende Juni 1991 noch eine Relation von 6:1 ergab. Die steigende Tendenz der Abmeldungen ist durch eine in Zukunft in noch stärkerem Maße gezielte Förderung abzubauen. Dazu zählt nach Ansicht des Verbandes der Thüringer Wirtschaft auch die bevorzugte Berücksichtigung einheimischer Firmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe, die landesweit teilweise noch nicht das gewünschte Niveau erreicht hat.

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Ein wichtiger Baustein der Wirtschaftsförderung ist nach Meinung des Wirtschaftsverbandes die Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation, um offensiv auf die Herausforderung des Wettbewerbs reagieren zu können. Dabei kommt es neben der Förderung des Hochschulbereichs insbesondere darauf an, bestehende Ressourcen, die etwa in den ehemaligen Kombinaten vorhanden waren, im Land zu halten und Technologiezentren zu errichten. Defizite bestehen hier vor allem in landesspezifischen Förderprogrammen. So hat Thüringen ein Programm für die Forschungs- und Technologieförderung aufgelegt, das mit einer Kreditobergrenze von 100 TDM zu knapp dimensioniert ist. Daneben wurde die Kompliziertheit des Antragsverfahrens kritisiert, die viele Interessenten bisher davon abhält, Mittel in Anspruch zu nehmen.

Neben den Instrumenten der Wirtschaftsförderung ist vor allem der Einsatz von Landespolitikern auch im Ausland erforderlich, um Investoren zu gewinnen. Generell ist ein wirtschaftsfreundliches Klima erforderlich, damit Thüringen im internationalen Standortwettbewerb, der sich in Zukunft durch Ansiedlungsvorhaben insbesondere japanischer und US-amerikanischer Unternehmen in den Grenzen des EG-Binnenmarktes weiter verschärfen wird, besteht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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