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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 9(Fortsetzung)]


2. Probleme der Investitions- und Produktionsförderung in den neuen Bundesländern

2.1. Notwendigkeit und Probleme der Investitionsförderung

Die Entscheidung für eine Wirtschaftsunion und eine Währungsunion mit dem Umstellungskurs 1 : 1 bedeutet den Verzicht auf eine Niedrigpreisstrategie, um der ostdeutschen Wirtschaft zur Wettbewerbsfähigkeit zu verhelfen; denn bei diesem Umstellungskurs lagen die Lohnstückkosten nach den verfügbaren Statistiken ungefähr auf dem westdeutschen Niveau: Löhne und Produktivität lagen beide ungefähr bei einem Drittel der westdeutschen Werte. Ob eine solche Niedrigpreis-Strategie Erfolg gehabt hätte, ist sehr fraglich; denn sie hätte die ostdeutsche Wirtschaft in den unmittelbaren Wettbewerb mit den ostasiatischen Staaten (den "kleinen Tigern") und mit anderen Schwellenländern gebracht, der ebenfalls sehr intensiv ist, vor dem allerdings der EG-Außenzoll und nichttarifäre Hemmnisse einen gewissen Schutz gewähren.

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Da gleich nach der Wirtschafts- und Währungsunion eine Orientierung des ostdeutschen Lohnniveaus am westdeutschen Standard einsetzte - u.a. damit begründet, daß andernfalls die qualifizierten Bewerber in den Westen abwandern würden - verblieb nur die Strategie, durch massive Investitionen (via Kapitalimporte aus dem Westen) bei gleichzeitiger Reduzierung der Belegschaften die Produktivität in der ostdeutschen Wirtschaft zu erhöhen und zugleich die Produktqualität westlichen Standards anzupassen.

Für diese Strategie wurden mit Hilfe einer großen Zahl von Investitionsförderungsmaßnahmen finanzielle Anreize beschlossen. Die wohl wichtigste Fördermaßnahme ist der steuerfreie Bonus für Ausrüstungsinvestitionen. Die Zulage beträgt bis Ende 1991 12 vH der Anschaffungs- und Herstellungskosten und bis Ende 1992 8 vH. Sie kann mit den Sonderabschreibungen (bis zu 50 vH zusätzlich zur normalen Abschreibung in den ersten fünf Jahren) kumuliert werden. Darüber hinaus gibt es umfangreiche Kreditverbilligungs- und Bürgschaftsprogramme, die vor allem über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und über ERP-Mittel laufen.

Anders als beim Investitionszuschuß, der im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" gewährt wird und höchstens 23 % beträgt, muß die Investitionszulage nicht in einem aufwendigen Verfahren beantragt und genehmigt werden. Gegenüber Abschreibungsvergünstigungen hat ein steuerfreier Bonus den Vorteil, daß Unternehmen bereits begünstigt werden, wenn sie ihre Investitionsvorhaben realisieren, und nicht erst, wenn sie - vielleicht Jahre später - Gewinne erzielen. Zuschüsse wie Zulagen stärken Liquidität und Eigenkapitalbasis der Unternehmen und erhöhen die Rentabilität. Insgesamt werden maximal 33 vH der Investitionskosten vom Staat erstattet - zweifellos ein stattlicher Förderbetrag. Ob er allein allerdings die Investitionsneigung der Unternehmen heben wird, ist zweifelhaft.

Immerhin wurden bis April 1991 von gewerblichen Unternehmen fast 5000 Anträge auf Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe gestellt. Das gesamte förderfähige Investitionsvolumen wird auf 34 Mrd. DM veranschlagt, das sind im Durchschnitt 7 Mill. DM pro

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Vorhaben. Gefördert wird nicht in jedem Fall, sondern nur dann, wenn in der betreffenden Betriebsstätte überwiegend solche Güter hergestellt oder Leistungen erbracht werden, die überregional abgesetzt werden können. Mit diesen Antragssummen (bewilligt waren im April 91 erst 10 Mrd.) ist aber noch nicht gesagt, daß diese Investitionen zusätzlich sind; es können auch Mitnahmeeffekte vorliegen.

Alle diese Förderungen entfalten nur dann die gewünschten Wirkungen, wenn die Unternehmen geeignete Investitionsprojekte vor sich sehen, aus denen sie positive Erträge erwarten. Solchen Erwartungen stehen aber vor allem zwei Dinge entgegen:

  1. die vielerorts ungeklärten Eigentumsverhältnisse machen es schwierig, geeignete Standorte für Investitionsprojekte zu erwerben. Der ökonomisch unvertretbare, erst zum 1. 4. 91 teilweise revidierte Grundsatz im Einigungsvertrag, wonach Rückgabe vor Entschädigung geht, hat hier schwerwiegende Zeitverzögerungen gebracht.

  2. Der Zusammenbruch der Absatzmärkte, mit hervorgerufen durch die oben angeführten Zeitverzögerungen, erschwert die Erwartung ausreichender künftiger Absatzchancen.

Eine wichtige Voraussetzung für private Investitionen ist überdies eine hinreichende Infrastruktur. Bei dieser genuin staatlichen Aufgabe wird deutlich, wie wenig die Bundesregierung sich über das Ausmaß und die Probleme des von ihr gewählten Weges zur wirtschaftlichen Einheit bewußt gewesen ist. Dies gilt vielleicht nicht für die Bereiche der Telekommunikation und des Verkehrs, wo die Langsamkeit, mit der sich die Unhaltbarkeit der Situation verbessert, wohl eher mit der (deutschen) Unfähigkeit zu Improvisation zu tun hat (Immerhin ist beachtenswert, daß noch bis zum 1. 7. 91 die Telefongebühren in Ostdeutschland wesentlich höher liegen als in Westdeutschland). Dies gilt aber eindeutig für die Bereitstellung von Gewerbeflächen und die Schaffung akzeptabler kommunaler Infrastruktur.

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Abgesehen von der Eigentumsproblematik hat es der Einigungsvertrag versäumt, die Gemeinden mit den notwendigen Finanzmitteln auszustatten (auch hier mußte nachverhandelt werden - mit den entsprechenden Zeitverlusten). Auch wurde übersehen, daß die ungeschulten Gemeindeverwaltungen nicht sehr rasch in der Lage sein würden, sich durch das Dickicht der westdeutschen Vorschriften und der Förderrichtlinien und -maßnahmen hindurchzukämpfen. Ein besonderes Problem ergibt sich aus der sehr geringen durchschnittlichen Größe der ostdeutschen Gemeinden und damit der geringen Arbeitsteilung innerhalb der Gemeindeverwaltungen. Dringend nötig ist eine Gemeindereform; denn die vielfältigen Aufgaben, die aus gutem Grund den Gemeinden zugewiesen werden, können nur erfüllt werden, wenn die Gemeinden über eine genügend ausdifferenzierte Verwaltung verfügen. Viele Fördermittel, die nur auf Antrag bewilligt werden, gelangen nicht in die Gemeinden, weil sie Probleme bei der Antragstellung haben.

Insgesamt zeigt sich, daß die Zeitverzögerungen mehr bedeuten als nur einen Zeitverlust: Wenn erst einmal die Absatzmärkte zusammengebrochen sind, dann lassen sich die Absatzmöglichkeiten nicht einfach wiederherstellen; vielmehr haben sich die Abnehmer inzwischen vielfach nach neuen Lieferanten umgesehen und sind nur schwer oder kaum zurückzugewinnen.

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2.2. Förderung der Investitionen oder der laufenden Produktion (insb. durch Lohnkostensubventionen)?

Die beschlossenen Förderungsmaßnahmen sind auf die Investitionen konzentriert, die ihrerseits eine Bedingung für künftige Produktivitätssteigerungen sind. Der Umfang dieser Förderung ist so beachtlich, daß eine weitere Aufstockung wohl kaum erfolgreich sein kann. Daher ist zu fragen, ob nicht angesichts der weiteren Beschäftigungsrückgänge die Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Betriebe zusätzlich dadurch gestützt werden sollte, daß die laufende Produktion systematisch subventioniert wird. Bisher geschieht dies nur punktuell, indem die Treuhandanstalt Liquiditätshilfen an Betriebe gibt, die ihr (noch) gehören, die derzeit Verluste machen, aber dennoch in Zukunft wettbewerbsfähig und

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verkaufbar sein könnten. Diese Beurteilung wird bei dem jetzigen Verfahren von einer Behörde vorgenommen, also nicht vom Markt.

Wenn die laufenden Produktionskosten subventioniert werden sollen, liegt es nahe, bei den Lohnkosten anzusetzen und durch Lohnkostenzuschüsse die Arbeit zu verbilligen. Diese Zuschüsse müßten zeitlich befristet sein; ihr Abbau in mehreren Schritten müßte von Anfang an festgelegt sein.

Die Begründung für Lohnkostenzuschüsse kann darin gesehen werden, daß in der ex-DDR die Produktion nicht nur deswegen schrumpft, weil die einheimische und östliche Nachfrage nach DDR-Produkten schlagartig zurückgegangen ist, sondern auch, weil an sich absetzbare Produkte mit zu hohen Produktionskosten produziert werden. Dies liegt daran, daß das Lohnniveau in den neuen Bundesländern sich nicht an der dortigen Produktivität orientiert, sondern an der westdeutschen. Deshalb liegt dort in vielen Betrieben reallohnbedingte Unterbeschäftigung vor. Wie groß der Anteil dieser Unterbeschäftigung an der gesamten Unterbeschäftigung (Arbeitslosigkeit plus anteiliger Kurzarbeit) ist, läßt sich schwer sagen.

Die Autoren, die sich für Lohnkostensubventionen einsetzen, verweisen darauf, daß diese die Relation zwischen Lohnbelastung und Produktivität nicht nur von der Lohnseite her verbessern, sondern auch dadurch, daß sie solche Betriebe, die ohne sie mit Verlusten, mit ihnen aber ohne Verluste oder gar mit Gewinn arbeiten, für Investoren attraktiv machen. Deren Investitionen erhöhen dann die Produktivität der Beschäftigten - verbessern außerdem auch die Produktqualität - und machen so auf Dauer die Lohnsubventionen überflüssig. Außerdem wird es für die Treuhand leichter, die ihr noch gehörenden Betriebe zu verkaufen. Dieser Hoffnung, Investoren anlocken zu können, steht entgegen, daß nach einer Umfrage des IFO-Instituts nur 12 % der Unternehmen das Lohnniveau als investitionshemmenden Faktor nannten. Entscheidend sind vielmehr Infrastrukturmängel, ineffiziente Verwaltung, Eigentumsfragen, Altlasten, Mangel an Führungskräften usw. Außerdem ist bezüglich der Beschäftigungsentwicklung damit zu rechnen, daß die hervorgerufenen Investitionen eine starke Rationalisierungskomponente enthal-

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ten. Selbst wenn es gelingt, das Produktionsniveau zu stabilisieren, wird also die Beschäftigung weiter zurückgehen.

Gegen Lohnkostenzuschüsse werden folgende Argumente vorgebracht:

  1. Die Erfahrung lehrt, daß es im politischen Prozeß einfach ist, Subventionen einzuführen, daß ihr Abbau aber sehr schwierig durchzusetzen ist und häufig, selbst wenn schon beschlossen, doch wieder hinausgeschoben wird.

  2. Lohnkostenzuschüsse haben nur dann den gewünschten Effekt auf Produktion und Beschäftigung, wenn die abgesetzte Menge vom Preis abhängt. Sind dagegen Produkte aus Qualitätsgründen unverkäuflich (Extrembeispiel wäre der "Trabant"), dann nützt ein Heruntersubventionieren der Produktionskosten wenig.

  3. Durch diese Subvention könnten auch Produktionen am Leben erhalten werden, die ökologisch nicht akzeptabel sind, bei denen den Betrieben oder Unternehmen aber das Geld fehlt, die notwendigen Umweltschutzinvestitionen vorzunehmen.

  4. Wenn die Lohnkostenzuschüsse allen Unternehmen und Betrieben gewährt werden, wird es vermutlich schwierig sein, den Steuerzahlern zu vermitteln, daß die Zuschüsse auch für Lohnzahlungen in neuen, z. B. von Siemens oder Daimler-Benz errichteten Fabriken gezahlt werden, obwohl dort die Produktion sicherlich hochrentabel sein wird. Selektive Lohnkostenzuschüsse stünden unter dem Verdacht der Wettbewerbsverzerrung; damit würde ein Hauptargument für allgemeine Lohnkostenzuschüsse entfallen, daß nämlich keine diskretionären Verwaltungsentscheidungen getroffen werden müssen.

  5. Allgemeine Lohnkostenzuschüsse nehmen, wenn sie zu einer nennenswerten Reduzierung der Lohnbelastung führen sollen, sehr umfangreiche Mittel in Anspruch. Da sich die Brutto-Lohn- und Gehaltssumme in Ostdeutschland im 1. Quartal 1991 (ohne öffentlichen Dienst und ohne Landwirtschaft) nach Berechnungen des DIW auf knapp 22 Mrd. DM belief, benötigte man für eine 50 %-Lohnsubvention pro Quartal 11 Mrd. DM, sofern dank dieser

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    Zuschüsse die Beschäftigung stabilisiert wird. Diesen Angaben stehen natürlich Einsparungen an anderer Stelle (insb. beim Arbeitslosengeld) und Mehreinnahmen (Einkommensteuer usw.) gegenüber. Deren Volumen hängt auch davon ab, in welchem Umfang der Erhalt der ostdeutschen Produktion zu Lasten der Produktion und damit der Beschäftigung in Westdeutschland geht: Wegen der hohen Produktivitätsunterschiede würde allerdings dabei der negative Beschäftigungseffekt in Westdeutschland deutlich geringer sein als der positive Effekt in der ex-DDR.

  6. Die Lohnkostenzuschüsse könnten dazu führen, daß die ostdeutschen Lohnsätze noch schneller dem westdeutschen Niveau angepaßt werden. Um diesem Einfluß entgegenzuwirken, müßten die Lohnkostenzuschüsse an die Differenz zwischen ost- und westdeutschem Lohnniveau gekoppelt werden. Dadurch würde den ostdeutschen Unternehmen (und Arbeitnehmern im Hinblick auf den Erhalt ihrer Arbeitsplätze) ein Argument für einen langsamen Lohnanstieg an die Hand gegeben.

Im Zusammenhang mit dem letzten Punkt ist zu beklagen, daß in Ostdeutschland die Tarifparteien noch nicht so funktionieren, wie es für eine angemessene Handhabung der Tarifautonomie notwendig wäre. Es fehlen auf der Arbeitgeberseite die Unternehmen, die Lohnforderungen aus Existenzerhaltungsgründen genügend Widerstand entgegensetzen, und auf Gewerkschaftsseite dominiert der westdeutsche Einfluß, die das ostdeutsche Lohnniveau vermutlich auch unter dem Gesichtspunkt bewerten, ob und wieweit es das westdeutsche Lohnniveau gefährdet.

Insgesamt machte die Diskussion deutlich, daß ein endgültiges Votum über die Vorschläge, vorübergehend Lohnkostenzuschüsse zu gewähren, erst gefällt werden sollte, wenn diese in ausgearbeiteter Form veröffentlicht worden sind (von dem Vorschlag von Akerlof, Yellen u.a. von der University of California in Berkeley kursieren bisher erst Entwürfe; ihre Veröffentlichung in den Brooking Papers on Economic Activity steht noch bevor). Dabei sollten auch denkbare Alternativen einbezogen werden, und es sollte berücksichtigt werden, daß bei sehr schlechter Beschäftigungsentwicklung die Erwartung weiterer Investitionsfördermaßnahmen entstehen könnte;

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dies aber würde zum Investitionsattentismus führen: Die Unternehmen erhielten Anreize, ihre geplanten Investitionen noch weiter hinauszuschieben, weil sie eine noch stärkere Förderung erwarten. Durch das Umsteigen auf Lohnkostenzuschüsse würde solchen Erwartungen der Boden entzogen.

Als Alternative wurde von Prof. Buttler noch folgende Überlegung präsentiert: Statt der Lohnzuschüsse könnte auch eine Eingliederungsbeihilfe vorgesehen werden, die den zu erwartenden Lohnersatzleistungsstrom kapitalisiert und zunächst als zinsloses Darlehen ausgezahlt wird, das im Zuge der Stabilisierung des Beschäftigungsverhältnisses in einen Zuschuß zur Beschäftigung von Arbeitslosen (insbesondere von Älteren und von Langzeitarbeitslosigkeit Bedrohten) umgewandelt werden kann. Die Kapitalisierung ist gleichzeitig geeignet, die Eigenkapitalbasis und den Fremdfinanzierungsspielraum von kleinen und mittleren Unternehmen zu erweitern. Ähnlich könnte ein Übergangsgeld zur Förderung der Selbständigkeit Arbeitsloser gestaltet werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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