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4. Vom Vorfluter zum biologisch intakten Gewässer - technische Maßnahmen und Produktionsumstellungen als Beitrag zur Sanierung der Elbe

Bäche, Flüsse und Seen, in die Abwässer geleitet werden, bezeichnet man auch als Vorfluter. Dieser technische Sammelbegriff für Gewässer aller Art spiegelt noch eine Denkweise wider, in der das kurzfristige Interesse an einer möglichst kostengünstigen Produktion mehr Beachtung findet als die mittel- und langfristigen Folgen der Umweltnutzung. Weil die Elbe jahrzehntelang hauptsächlich als Vorfluter, und damit als Abflußkanal für Abwässer, behandelt wurde, ist der Fluß heute auf weite Strecken ökologisch ruiniert. Eine Verringerung von Schadstoffeinleitungen in die Elbe ist daher eine der vordringlichen Umweltschutzmaßnahmen in den neuen Bundesländern. Das dafür notwendige technische Know-How ist ebenso vorhanden wie die Bereitschaft, wasserbelastende Produktionsabläufe auf umweltverträglichere Verfahren umzustellen.

Auch nach der Stillegung eines Zellstoffwerkes in Heidenau am 1. Januar 1990 und eines Werkes in Coswig am 1. Juni 1990 ist nach Einschätzung eines Abwasserexperten von der Technischen Universität Dresden die Zelluloseindustrie im oberen Elbtal eine der Hauptbelaster des Flusses mit sauerstoffzehrenden organischen Substanzen. Ein Zellstoffwerk mit einer Tagesproduktion von rund 200 Tonnen belastet ein Gewässer ohne Reinigung der Abwässer mit leicht abbaubaren organischen Stoffen so stark wie die Abwässer von rund 1,1 Millionen Einwohnern. Rechnet man die schwer abbaubaren Substanzen hinzu, ergibt sich sogar eine Abwasserfracht von rund 2 Millionen Einwohnergleichwerten. Schließlich kommen aus der Bleicherei eines solchen Werkes zum Teil hochgiftige chlorierte organische Stoffe im Umfang von 6 Millionen Einwohnergleichwerten in den Fluß.

Die im oberen Elbtal angesiedelte Zellstoffindustrie spült je 200 Tonnen Tagesproduktion tatsächlich leicht abbaubare organische Verbindungen im Umfang von 270 000 Einwohnergleichwerten, unter Einschluß der schwer abbaubaren Stoffe Belastungen von rund 500 000 Einwohnergleichwerten in die Elbe. Hinzu kommen Einleitungen an chlorierten organischen Verbindungen in der Größenordnung von etwa 2 Millionen Einwohnergleichwerten. Moderne Anlagen, in denen die bei der Zellstoffproduktion anfallende Ablauge zunächst eingedampft und der Rückstand dann verbrannt wird, belasten die Gewässer nur noch mit 17 000 Einwohnergleichwerten an leicht abbaubaren Stoffen und mit 75 000

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Einwohnergleichwerten bei Berücksichtigung der schwer abbaubaren Substanzen. Eine intensive Reinigung der Abwässer aus der Bleicherei, die mit chlorhaltigen Mitteln arbeitet, vermindert die Last an chlorierten organischen Verbindungen auf rund ein Viertel.

An der Technischen Universität Dresden ist ein mehrstufiges biotechnologisches Verfahren für die separate Behandlung der Bleichereiabwässer entwickelt worden. Damit lassen sich die chlorierten Kohlenwasserstoffe nahezu vollständig aus den Abwässern entfernen. Gegenüber den vielfach verwendeten thermischen Verfahren, bei denen chlorhaltige organische Rückstände verbrannt werden, bietet die Dresdener Lösung den Vorteil, daß keine Belastungen der Luft mit Abgasen auftreten. Allerdings ist gegenwärtig noch umstritten, ob sich das Modell zur Behandlung von Abwässern aus der Chlorbleiche durchsetzen wird oder ob in Zukunft nicht mit anderen Bleichmitteln als mit Chlor zu arbeiten ist. Außerdem sei noch offen, so der Geschäftsführer einer im oberen Elbtal ansässigen Papierfabrik, inwieweit die Zellstoff- und Papierfabriken auf dem Gebiet der ehemaligen DDR auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig und damit sanierungswürdig sind.

Auch der Schwermetallgehalt in den Abwässern der rund einhundert in die städtische Kanalisation einleitenden Klein- und Mittelbetriebe ließe sich durch ein an der Technischen Universität Dresden erarbeitetes Verfahren erheblich verringern. Grundidee dabei ist, die Schwermetalle aus den Betriebsabwässern elektrochemisch herauszulösen und die so gewonnenen Rückstände zu wiederverwendbaren Metallen aufzubereiten. Damit könnte zum einen ein Beitrag für die Wertstoffgewinnung geleistet werden; zum anderen würden die Abwässer der beteiligten Betriebe die Kläranlage nicht mehr mit Schwermetallen belasten, so daß sich der Klärschlamm für die Düngung landwirtschaftlicher Nutzflächen verwenden ließe.

Neben der Sanierung der Zellstoffindustrie sowie der Aufbereitung von Abwässern aus der Metallindustrie ist die Verringerung der Abwasserlasten aus der in Dresden ansässigen pharmazeutischen Industrie dringend notwendig. Vor allem die chlorhaltigen organischen Verbindungen müssen durch Produktionsumstellungen und innerbetriebliche Rückgewinnung aus den Abwässern entfernt werden. Erste Maßnahmen dafür hat das Arzneimittelwerk Dresden nach Auskunft eines dort für Arbeitssicherheit und Umweltschutz zuständigen Chemieingenieurs bereits ergriffen. Seit Anfang 1990 bemüht man sich in diesem Werk um einen prozeßorientierten Umweltschutz, das heißt um die Umstellung aller

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Produktionsabläufe mit dem Ziel, alle Arten von umweltbelastenden Abfällen zu verringern. Bis zur Mitte des Jahres 1990 konnte das Arzneimittelwerk Dresden seine Schadstoffeinleitungen in die Elbe bereits um rund die Hälfte abbauen. So wurde zum Beispiel Chloroform durch andere Zwischenprodukte ersetzt. Das Werk läßt nunmehr täglich die anfallenden Abwässer analysieren und untersucht systematisch alle bisher vom Betrieb erzeugten Altlasten, die den Untergrund und damit auch das Grundwasser gefährden.

Mit Produktionsumstellungen bemüht sich auch die jetzige Buna AG die Vergiftung der Saale, eines Nebenflusses der Elbe, einzuschränken. Rund 16 000 Belegschaftsmitglieder (Stand September 1990) produzieren in diesem Betrieb synthetischen Kautschuk, PVC, Polyethylen und andere Kunststoffe. Außerdem stellt die Buna AG unter anderem organische Grundchemikalien sowie anorganische Stoffe wie Chlor, Salzsäure und Ätznatron her. Während man in der Vergangenheit die für die Produktion benötigten Rohstoffe und Zwischenprodukte jeweils rund zur Hälfte aus Erdöl und aus Kohle (Karbochemie) gewonnenen hatte, will man in Zukunft auf die karbochemische Rohstoffgewinnung verzichten.

Das für die Produktion benötigte Wasser bezieht die Buna AG aus der Saale. Dieser Fluß ist allerdings bereits so hoch mit Salzen aus der Kaliindustrie und mit organischen Abwässern aus der Landwirtschaft, Industrie und Gemeinden verschmutzt, daß das ihm entnommene Rohwasser zunächst in einem werkseigenen Wasserwerk aufbereitet werden muß, ehe es in der Produktion nutzbar ist.

Ihre Abwässer entsorgt die Buna AG auf verschiedenen Wegen. Unverschmutztes Kühl- und Regenwasser fließt über ein separates Kanalsystem ohne Behandlung in die Saale. Obwohl die Trennung dieses Wassers von belasteten Abwässern im allgemeinen gewährleistet ist, kommt es bei Betriebsstörungen gelegentlich vor, daß schadstoffhaltige Abwässer in das Kanalsystem für Kühl- und Regenwasser gelangen. Produktionsabwässer behandelt man zunächst dort, wo sie anfallen, mit dem Ziel, Wertstoffe zurückzugewinnen und Mindestanforderungen an die Abwasserqualität einzuhalten. Nach dieser Vorreinigung werden alle Produktionsabwässer zentral gesammelt und mit physikalischen, chemischen und biologischen Verfahren aufbereitet. Die dabei anfallenden Schlämme kommen auf eine Deponie.

Insgesamt verarbeitet die zentrale Anlage für die Abwasserbehandlung stündlich rund 8000 Kubikmeter Abwässer. Im Durchschnitt enthält jeder Liter davon 0,5

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Milligramm Quecksilber, 10 Milligramm chlorierte Kohlen-Wasserstoffe und ein Milligramm Cyanide. Der BSB5 beträgt 600 Milligramm, der chemische Sauerstoffbedarf (CSB) 1000 Milligramm pro Liter. Daneben befinden sich unter anderem rund 2500 Milligramm Salze und 600 Milligramm Feststoffe in jedem Liter Abwasser. Die zentrale Reinigungsanlage vermindert den Gehalt an Feststoffen um 97 Prozent und den BSB5 um 94 Prozent. Außerdem werden 96 Prozent der chlorierten Kohlen-Wasserstoffe und 95 Prozent der Cyanide aus dem Abwasser entfernt. Dennoch genügt nach Einschätzung von leitenden Mitarbeitern der Buna AG diese Reinigungsleistung noch nicht dem in der Bundesrepublik sonst üblichen Standard. Daher arbeitet man auch in Buna an einem Konzept für die Umgestaltung der Produktion. Neben der Verbesserung von Reinigungstechniken strebt man an, bereits die Entstehung von wasserbelastenden Schadstoffen so weit wie möglich einzuschränken. Unter anderem ist vorgesehen, den Trink- und Brauchwasserbedarf zu vermindern und das bereits gereinigte Abwasser noch einmal einer Nachbehandlung zu unterziehen. Es werden Havariebecken eingerichtet, die Wasser, das bei Betriebsstörungen ausfließt, aufnehmen sollen. Außerdem arbeitet man an Verfahren für die umweltgerechte Entsorgung der Abwasserschlämme, für die Aufbereitung von Sickerwasser aus den Halden und für die Sanierung von Altlasten. Schließlich ist beabsichtigt, bis 1993 unter anderem die gesamte Karbidproduktion, die Chlorelektrolyse sowie die Herstellung der chlorierten Kohlenwasserstoffe Tri- und Perchlorethylen stillzulegen.

Die Bemühungen zur Sanierung der Elbe fordern allerdings nicht nur die Industrie, sondern auch die kommunale Wasserwirtschaft und den privaten Verbraucher. So soll zum Beispiel der durchschnittliche Wasserverbrauch eines Einwohners der östlichen Stadtteile Berlins heute rund dreimal so hoch sein wie der seines im Westen wohnenden Mitbürgers. Undichte Leitungen, Zuflüsse und Wasserhähne tragen ebenso zu dieser Vergeudung bei wie mangelnde Reparaturkapazitäten in der ehemaligen DDR. Im Wasserversorgungsgebiet Dresden traten zum Beispiel im Jahre 1989 im schadhaften und überalterten Rohrsystem über 8900 Rohrbrüche auf, die zum Teil mehrere Tage lang nicht repariert wurden. Die dortige kommunale Wasserwirtschaft muß in den nächsten Jahren zentrale Abwasserleitungen für rund 730 000 Einwohner und leistungsfähige Kläranlagen für 1 600 000 Einwohner errichten. Um den Klärschlamm umweltverträglich zu entsorgen sind Verfahren zur Schlammtrockung und -verbrennung sowie zur Deponierung des hoch belasteten Schlamms zu entwickeln und durchzusetzen.

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Auch die Landwirtschaft muß sich an Maßnahmen für die Elbsanierung beteiligen, zum Beispiel durch sachgemäße Düngung und Viehaltung. Mancherorts wird die land- und forstwirtschaftliche Flächennutzung erheblich einzuschränken sein, vor allem im Gebiet des Mordgrundbaches im Kreis Pirna, im Einzugsgebiet von Talsperren sowie in Grundwasserschutzgebieten mit hohen Nitratbelastungen, das heißt in den Kreisen Meißen, Dresden-Land und Bautzen. Und schließlich sind Deponien, Halden und Kippen so anzulegen oder zu sanieren, daß eine Bedrohung des Grund- und Oberflächenwassers durch Sickerwasser und Auswaschungen zurückgeht und in Zukunft ganz unterbleibt. Außerdem sollten die Wasserwerke auf die Verwendung von Chlor als Mittel zur Desinfektion des Trinkwassers nach und nach verzichten.

Neben der Verminderung von Schadstoffeinleitungen gehört zur langfristigen Sanierung der Elbe auch der Schutz der Elbetal-Auen zwischen Lauenburg und Wittenberge. Dort, im ehedem deutsch-deutschen Grenzbereich, findet sich eine der letzten großflächigen naturnahen Flußmarschen Mitteleuropas mit biologischen Lebensgemeinschaften, die woanders längst von der Landwirtschaft vernichtet wurden. Daher befürwortet zum Beispiel die Elbministerkonferenz, in der die Umweltminister der elbanliegenden Bundesländer Maßnahmen zur Sanierung der Elbe beraten und abstimmen, auf Initiative des Bundeslandes Hamburg, die Gründung eines Nationalparks "Elbtalaue", unter Einschluß von Gebieten in Schleswig-Holstein.

Wie zügig die zahllosen Pläne zur Sanierung der Elbe Wirklichkeit werden, hängt auch davon ab, mit welchem Nachdruck die nunmehr auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR geltenden Wasserschutz-Gesetze der Bundesrepublik, zur Anwendung kommen und wie die nun zu ergreifenden umweltschützenden Maßnahmen sich finanzieren lassen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2000

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