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[Seite der Druckausg.: 29]


4. Erfahrungen Schleswig-Holsteins

Ein rein marktwirtschaftliches System gibt es in der bundesrepublikanischen Landwirtschaft nicht. In einem rein marktwirtschaftlichen System müßte der Staat sich aus der Preisgestaltung heraushalten, es dürfte keine Milchquoten, es dürfte kein Geld geben fürs Nichtstun, für die Stillegung von Flächen geben.

Unterhalb dieser Ebene staatlicher Intervention funktioniert das marktwirtschaftliche System: Auf der betrieblichen Ebene wirtschaftet jeder auf eigene Rechnung. Der eine kommt damit zurecht, der andere nicht. Wer nicht zurechtkommt, geht in Konkurs. Wer zurechtkommt, übernimmt in der Regel das Land dessen, der nicht zurechtgekommen ist und bewirtschaftet es, es sei denn, und das tut z.B. das Land Schleswig-Holstein, der Staat kauft das Land und forstet es auf. Betriebsaufgaben, meist aus Altersgründen und nicht wegen Konkurses, sind die häufigste und sozial verträglichste Form des landwirtschaftlichen Strukturwandels in der Bundesrepublik.

Die EG will zunehmend weg von staatlicher Intervention am Markt, vor allem von den staatlichen Aufkäufen nicht absetzbarer Agrarprodukte. Denn dieses Aufkaufsystem ist zum einen kaum noch zu finanzieren, zum anderen macht es ja auch wenig Sinn, wenn der Staat die Produkte kauft und nicht der Verbraucher. Die EG wird die Subventionen abbauen, Geld wird es für die Landwirtschaft zukünftig nur noch am Markt geben. Die Märkte sind von Überschuß gekennzeichnet. Mehr Angebot an Ware als Nachfrage heißt in der Marktwirtschaft: Druck auf die Preise. Eine solche Entwicklung hat die Landwirtschaft der EG in den letzten zehn Jahren hinter sich gebracht und zwar mit ziemlich harten Auswirkungen.

Die Entwicklung bei der Milch hat sich durch die Quoten etwas gefangen. Mit deren Hilfe hat man versucht, Angebot und Nachfrage einigermaßen auszutarieren. Bei den Schweinen gibt es seit Jahren starke Preisschwankungen und außerordentlich knappe Gewinnspannen.

Was folgt daraus?

Bei dem in der EG vorherrschenden Preis-Kosten-Gefälle ist es selbst für sehr gut mit Land und Gerät ausgestattete, gut ausgebildete Landwirte schwierig geworden, sich über Wasser zu halten. Anders gesagt: wer ein schlechteres

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Preis-Kosten-Verhältnis hat als etwa die Betriebe in Schleswig-Holstein, der kann nicht über die Runden kommen. Wenn der Milchpreis um 5 bis 8 Pfennig pro Liter niedriger liegt, wenn für die Kuh pro kg nur DM 1,- oder 1,10 gezahlt wird, wenn Schweine für DM 1,- oder für DM 1,20 pro kg abgegeben werden müssen, dann kann kein Bauer damit auskommen.

Viele landwirtschaftliche Betriebseinheiten in der DDR liegen in ihrer Größe oberhalb des betriebswirtschaftlichen Optimums, das gilt für die Pflanzenproduktion wie für die Tierproduktion, zumindest bei der Rinderhaltung. Wenn nun die LPGen kleiner werden sollen, wenn der Boden in der DDR neu geordnet werden soll, dann denken manche an schöne Betriebe von 200 ha. Neugierige seien dennoch gewarnt.

Wenn heute ein Betrieb mit 200 ha, sofern man dabei auch für die Zukunft bleiben will, stabil und zukunftssicher sein soll, dann braucht er eine Kombination von Pflanzenbau und Veredelungswirtschaft. Allein mit dem Pflanzenbau kommt er nicht zurecht, es sei denn, er spezialisierte sich auf Gemüse oder ähnliches. Man muß also Land kaufen, Ställe bauen, die Ställe mechanisieren, die Stalltechnik kaufen, das Vieh kaufen, die Landmaschinen kaufen, um das Viehfutter ein- und die Gülle auszubringen. Das alles erfordert Investitionen um DM 2 Mio. Wer nicht die Chance hatte, diese 2 Mio. vorher zu erwirtschaften, sondern diese Mittel bei der Bank aufnehmen muß, der geht an der Zinslast bankrott. Deshalb kann man eine solche Umorganisierung der Landwirtschaft durchaus nicht als Allheilmittel ansehen. Es muß im Gegenteil darum gehen, die verschiedenen Bewirtschaftungsformen nebeneinander möglich zu machen.

Wenn zwei so unterschiedliche politische und wirtschaftliche Systeme so unvorbereitet und unabgepuffert aufeinandertreffen, dann knallt es, und zwar auf beiden Seiten - in der Bundesrepublik nämlich auch. Die Lage in den neuen Bundesländern ist wesentlich dramatischer, aber in der Bundesrepublik ist sie auch nicht gut. Im Grunde ist die Chance vertan worden, die nicht nur von deutscher Seite, sondern z.B. auch von seiten des dänischen Landwirtschaftsministers geforderte und von der EG zu gewährende Übergangs- und Adaptionszeit von drei bis fünf Jahren durchzusetzen. Schneller gehen solche Umstellungen auch nicht.

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Die landwirtschaftlichen Betriebe in der ehemaligen DDR müssen bei dem sich adaptierenden Preis-Kosten-Verhältnis innerhalb der EG mit höchstens der Hälfte der Menschen auskommen. Für mehr reicht das Geld nicht. Nun sind aber all diese Menschen heute beschäftigt und haben zu tun. Wenn man also plötzlich mit der Hälfte von ihnen auskommen soll, dann muß man zunächst investieren, um die Ausrüstung zu verbessern, daß die Hälfte der Menschen die gleiche Arbeit bewältigen kann. Dazu braucht man Geld. Dieses Geld können die Betriebe zur Zeit nicht erwirtschaften.

Die Liquiditätsprobleme der landwirtschaftlichen Betriebe lassen sich mit den vom Bund vorgesehenen Mitteln nicht lösen. Und nur wenn sie gelöst werden, kann man doch über Anpassung überhaupt nachdenken. Unabdingbar ist deshalb ein stärkeres Engagement des Bundes, ein Engagement auch dort, wo man die Eigentumsfrage, aus welchen Gründen auch immer (ob Grundbuch, Vermessung, frühere Ansprüche), nicht rechtzeitig klären kann. Die Bundesregierung muß in solchen Fällen Bundesbürgschaften übernehmen, um Flächen beleihbar und damit investitionsfähig zu machen. Nur so können Unternehmen sich orientieren.

Warum nicht versuchen, ein für die landwirtschaftlichen Produkte Mecklenburg-Vorpommerns positives Image zu schaffen, um für sie eine bessere Marktposition zu erobern? - Klares Wasser, frische Luft, Erholungsgebiet, gesunde Umwelt.

Betriebe fragen häufig: Was sollen wir denn nun machen? Das läßt sich von außen nicht sagen. Wenn der Staat anfängt, dem einzelnen Unternehmen Konzepte vorzulegen, schleicht sich sofort wieder die Abhängigkeit des Denkens ein und die Erwartung, die Lösung müsse von oben kommen, denn oben seien alle etwas schlauer als weiter unten. Die Betriebe müssen sich auf die eigenen Kenntnisse, auf die eigenen Fähigkeiten verlassen. Was die Bauern in der Bundesrepublik können, das können die in der ehemaligen DDR auch. Nur muß die Bundesregierung auf dem Wege einer vernünftigen Übergangsregelung Bedingungen schaffen, die den Bauern in Ostdeutschland überhaupt eine Chance lassen.

Läßt sich EG-Recht modifizieren? Auf Dauer nicht, die EG ist aber offensichtlich bereit, für Übergangszeiten Sonderkonditionen einzuräumen. Über Fördergrenzen und -schwellen, Vieheinheiten, über die Abgrenzung zwischen

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landwirtschaftlichen und gewerblichen Betrieben wird sich möglicherweise diskutieren lassen, sogar über längerfristige Modifizierungen. Bei den Fördermechanismen, etwa dem der Flächenstillegung, scheint das jedoch unrealistisch.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2001

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