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Urban, Otto (1877 - 1947)

Geboren am 25. März 1877 in Berlin, verheiratet. Absolvierte nach der Volksschule bei der Textilfirma Guttentag in Berlin eine dreijährige kaufmännische Lehre, die er mit der Handlungsgehilfenprüfung abschloß. War bis 1896 als Kontorist und später als Expedient bei seiner Lehrfirma tätig. Seit [1896] Mitglied der im September 1889 in Berlin gegründeten "Freien Vereinigung der Kaufleute in Berlin", die der freien Gewerkschaftsbewegung nahestand. Besuchte in Berlin die Fortbildungsschule des Lokalvereins, der eine "Regelung der Gehälter durch die Macht der Organisation" zu erringen suchte und sich damit eindeutig von der wirtschaftsfriedlichen Konkurrenz abgrenzte. Urban wechselte 1896 als Korrespondent zu der Firma Albrecht & Meister, Institut für Chemo-Lithographie. Hatte als kaufmännischer Angestellter in der "Luxuspapierfabrik" eine herausragende berufliche Stellung inne. Auf einem Einigungskongreß am 2. Oktober 1898 in Berlin traten die einer gewerkschaftlichen Zentralisation bislang ablehnend gegenüberstehenden, lokalen, freien Vereinigungen der Handlungsgehilfen Berlins, Dresdens und Münchens dem "Centralverband der Handlungsgehülfen und Gehülfinnen Deutschlands"( später: "Zentralverband der Handlungsgehilfen und -Gehilfinnen Deutschlands") bei. Urban hatte künftig im Berliner Vorstand mehrere Ehrenämter inne. Im September 1902 unterstützte Urban an verantwortlicher Stelle den ersten Streik deutscher Handlungsgehilfen überhaupt, der in einer kleinen Berliner Firma wegen ungerechter Entlassungen ausgebrochen war. Am 7. Oktober 1903 von den Mitgliedern der Ortsgruppe Berlin auf Vorschlag des Vorstandes zum ersten (und alleinigen) besoldeten Angestellten gewählt. Sein Monatsgehalt betrug 150 Mark, das die Ortsgruppe jeweils nur in Raten "abstottern" konnte. Hatte als hauptamtlicher Funktionär die Kassenverwaltung inne. Urban betreute in Berlin zunächst 656 Mitglieder, die er alle persönlich kannte. Die Berliner Mitgliedschaft verweigerte Urban lange Zeit als "Gewerkschaftsbeamten" ein lokales Vorstandsmandat. Zu seinem Metier entwickelte sich die Berliner Gewerkschaftskommission, in die ihn einstimmig die Berufskollegen und -kolleginnen am 6. April 1904 entsandten. Dieses Mandat hatte er bis 1912 inne; hier lernte er die wichtigsten Berliner Arbeiterführer kennen, mit denen er nahezu dreißig Jahre lang kooperieren sollte. Im Berliner Gewerkschaftskartell suchte er die freigewerkschaftlichen Arbeitergewerkschaften für die zentralen Angestelltenforderungen "Acht-Uhr-Ladenschluß" und Verbot der Sonntagsarbeit zu gewinnen. Auf der Mitgliederversammlung am 10. April 1908 konnte Urban als Kassierer auf der Mitgliederversammlung in Berlin einen neuen Höchststand der Organisation (1.386 Mitglieder) präsentieren. Wie andere männliche Repräsentanten des Zentralverbandes auch, sah Urban die Chance der eigenen Organisation in der Gewinnung weiblicher Mitglieder. Er galt innerverbandlich als Experte, wenn es darum ging, das Wahlrecht weiblicher Angestellter in der Reichsversicherungsordnung, im Versicherungsgesetz für Angestellte und bei den Kaufmannsgerichten einzuklagen. Auch bei Fragen der Diskriminierung am Arbeitsplatz gab Urban unübliche Erklärungen ab. ("Man kann natürlich zugeben, daß nicht alle weiblichen Angestellten die gleichen Fähigkeiten besitzen; aber ist das bei den männlichen Angestellten nicht auch der Fall? Die Männer haben diese Fähigkeiten durchaus nicht in Erbpacht genommen.") Auf der 6. Generalversammlung des "Zentralverbandes der Handlungsgehilfen und Gehilfinnen Deutschlands" vom 8. bis 9. Juni 1908 in München klagte Urban über scharfe Grenzstreitigkeiten mit dem "Verband der Büroangestellten Deutschlands" und holte sich vom Verbandstag ein Mandat, weiterhin bei den Versicherungsangestellten intensiv zu werben. Aus der als Schwäche empfundenen Zersplitterung der freigewerkschaftlichen Angestelltenverbände heraus intensivierte Urban sein Werben um gewerkschaftliche Konzentration. Forderte auf der 7. Generalversammlung vom 16. bis 17. Mai 1910 in Hamburg nicht nur den Zusammenschluß mit den gewerkschaftlich organisierten Büroangestellten, sondern auch eine Fusion mit dem "Verband der Lagerhalter" (Anschluß zum 1. Januar 1913). Urbans Hauptbetätigungsfeld in Berlin blieb die "Sonntagsruhebewegung", die in Berlin und seinen Vororten bis 1912 erste Erfolge zeitigte und für den relativ hohen Mitgliederbestand von 2.419 Kolleginnen und Kollegen verantwortlich war. Anfang 1912 kam es in Berlin bei den gewerkschaftlich organisierten Handlungsgehilfen und -Gehilfinnen zu einer Organisationsreform, die Kompetenzschwierigkeiten zwischen Vorstand, Sektionen und Bezirken ausgleichen sollte. Wahl Urbans in den siebenköpfigen "Aktionsausschuß", der übergreifend agieren sollte. Die 8. Generalversammlung des Zentralverbandes vom 5. bis 7. Mai 1912 in Berlin bestätigte die vom Verbandsvorstand beschlossene Satzungsänderung: Mit 26 zu 23 Delegiertenstimmen verlegte das Gewerkschaftsparlament den Verbandssitzes nach Berlin; mit 23 zu 17 Stimmen wurde eine "Verkürzung" des Verbandsnamens in "Zentralverband der Handlungsgehilfen" sanktioniert. Einstimmig beschloß der Verbandstag die Wahl Otto Urbans zum 1. Vorsitzenden. Als Kandidat des Vorstandes hatte er sich im Vorfeld gegen den Kandidaten des Verbandsausschusses, Paul Richter, durchgesetzt. Urbans Wahl als Verbandsvorsitzender fiel in eine Zeit, als in Angestelltenkreisen die Frage diskutiert wurde, ob eine tarifliche Regelung der Gehalts- und Arbeitsverhältnisse und ein gewerkschaftlicher Kampf der Angestellten überhaupt möglich sei. Im Gegensatz zu allen anderen Vorsitzenden von Angestelltenorganisationen der Handlungsgehilfen setzte er auf eine tarifliche Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse, wobei den Tarifverträgen mit den Konsumgenossenschaften eine Vorreiterrolle zufielen. Wiederwahl Urbans auf der 9. Generalversammlung vom 19. bis 21. Mai 1914. Nach Kriegsausbruch kam der Sozialdemokrat Urban persönlich in eine schwierige Situation. Durch die Majorität der ehrenamtlichen Berliner Vorstandsmitglieder wurde der Verbandsvorstand seit 1915 durch die Antikriegsopposition dominiert. Urban kam den linken Strömungen weit entgegen: Als einzige Organisation verweigerte die freigewerkschaftliche Angestelltenorganisation die Unterstützung des Hilfsdienstgesetzes in der Vorständekonferenz. Gleichwohl bewahrte er seine politische Eigenständigkeit und versuchte, im Spannungsfeld einer "linken" Vorstandsmehrheit und der "rechten" Generalkommission auszugleichen. Wiederwahl auf dem 10. Verbandstag vom 17. bis 21. Juni 1919 in Nürnberg, auf der er seine schwierige Vermittlerrolle verteidigte. Am 8. und 9. September 1919 tagten in Weimar die Beiräte des "Zentralverbandes der Handlungsgehilfen" und des "Verbandes der Bureauangestellten". Beschluß, zum 1. Oktober 1919 den "Zentralverband der Angestellten" - als neue Großorganisation der Angestellten - ins Leben zu rufen. Auf der Weimarer Tagung neben Carl Giebel zum gleichberechtigten Vorsitzenden gewählt. In der gewerkschaftlichen Nachkriegsdiskussion stemmte sich Urban gegen den Gedanken von Industrieverbänden, da er eine Zerschlagung der Angestelltengewerkschaften befürchtete, deren Existenz für ihn nach wie vor von zentraler Bedeutung war. Urban spielte in der Zwischenkriegszeit beim Aufbau einer Spitzenorganisation der Angestelltengewerkschaften und dem Aufbau eines internationalen Berufssekretariats eine zentrale Rolle. Hatte zunächst auf der Vorstandssitzung der "Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände" (AfA) am 16. und 17. Januar 1920 für einen Anschluß an die freigewerkschaflichen Arbeitergewerkschaften und für die Schaffung eines gesonderten Angestelltensekretariats innerhalb des ADGB plädiert. Konnte sich - nicht zuletzt wegen Vorbehalte der ADGB-Spitze selbst - politisch nicht durchsetzen. Auf dem 1. Gewerkschaftskongreß des Allgemeinen freien Angestelltenbundes (AfA) vom 2. bis 3. Oktober 1921 zu einem der stellvertretenden Vorsitzenden der Dachorganisation gewählt. Wiederwahl als stellvertretendes Vorstandsmitglied des AfA-Bundes 1925 in München, 1928 in Hamburg und 1931 in Leipzig. Seit Bestehen des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates Mitglied des Vorstandes und des Sozialpolitischen Ausschusses der beratenden Kammer. Mitglied des Aufsichtsrates der Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten. Am 4. Dezember 1919 in das Tarifamt des "Zentralverbandes deutscher Konsumvereine" gewählt. Als Vorsitzender der deutschen Organisation hatte Urban im Frühjahr 1918 versucht, Kontakte zum holländischen Sekretariats der internationalen Handlungsgehilfenbewegung herzustellen. Als deutscher Vertreter nahm er an der 4. Internationalen Konferenz der Handlungsgehilfen am 5. Oktober 1920 in Amsterdam teil. Erfolgreich drängte er darauf, die Mitgliedschaft für alle freigewerkschaftlichen Angestelltenverbände zu öffnen. Auf dem "Internationalen Kongreß der Handels und Büroangestellten" am 6. und 7. Oktober 1920 in Amsterdam zum provisorischen Vorsitzenden gewählt. (Vorläufiger Sitz des Sekretariats in Amsterdam.) Vom 10. bis 12. August 1921 fand in Wien ein internationaler Kongreß statt, der die definitive Einrichtung des Sekretariats beschloß; gleichzeitig wurden die Statuten festgelegt und der Vorstand endgültig gewählt. Wahl Urbans zum Vorsitzenden des "Internationalen Bundes der Privatangestellten". Wiederwahl auf den internationalen Kongressen 1925 in Kopenhagen, 1928 in Dresden und 1931 in Amsterdam. Urban sperrte sich als Vorsitzender 1923/1924 - gegen starken Widerstand - gegen die Zulassung der Verbände der "Roten Gewerkschafts-Internationale". Kritische Äußerungen an seiner internationalen Politik waren Mitte der zwanziger Jahre allerdings verstummt. Dem deutschen Vorsitzenden lag vor allem eine strukturelle Umgestaltung des Berufssekretariats in einzelne Fachgruppen am Herzen, um berufsständische Absplitterungen zu verhindern. Der Kongreß der Angestellteninternationale vom 27. bis 20. September 1925 in Kopenhagen billigte weitgehend seine organisatorischen Vorschläge. Den Amsterdamer Kongreß vom 1. bis 15. Mai 1931 gestaltete er zusammen mit den Gastgebern zu einer großen Manifestation gegen den drohenden Faschismus und seinen Einfluß auf deklassierte Angestelltenschichten. Seit dem 2. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale im Jahr 1920, der Kurs auf eine Gewerkschaftsspaltung nahm, unterstützte Urban im deutschen Vorstand Maßnahmen gegen Zellenbildungen innerhalb des "Zentralverbandes der Angestellten". Dennoch stand er gewerkschaftspolitisch im "linken Spektrum" der organisierten Gewerkschaftsbewegung. ("Deshalb fördert der Zentralverband der Angestellten die Umgestaltung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in eine sozialistische Gemeinwirtschaft.") Unangefochtene Wiederwahl als Vorsitzender seiner Gewerkschaft 1924 in Kassel, 1927 in Köln und 1930 in Stuttgart. Als Vorsitzender repräsentierte Urban auch die Angestellten in den Verwaltungen und Betrieben von Reich, Staat, Gemeinden, Kommunalverbänden und anderen öffentlichen Körperschaften. Seine Ablehnung von "Industrieorganisationen" des öffentlichen Dienstes blieb bis zum Ende der Weimarer Republik schroff und wurde von ihm stets als Bedrohung empfunden. Nach dem 2. Mai 1933 zusammen mit dem Verbandsredakteur Georg Ucko wegen "Verdunklung der Bilanzen" verhaftet. Verbüßte mehrere Wochen Haft in Plötzensee. Während des Nationalsozialismus hielt Urban Kontakt zu den Gewerkschaftskollegen des Auslandes. Bis zum Kriegsausbruch besuchte er Repräsentanten des internationalen Berufssekretariats in Dänemark, Schweden, Belgien und der Tschechoslowakei. Sofort nach 1945 SPD-Mitglied und Mitglied des FDGB. Wegen seines fortgeschrittenen Alters spielte er in der Berliner Gewerkschaftsbewegung keine herausragende Rolle mehr. Nahm [1946] am 1. Kongreß der "Gewerkschaft der kaufmännischen Büro- und Verwaltungsangestellten" (GKB) teil. Lehnte einen Zusammenschluß von SPD und KPD ab, plädierte allerdings für eine einheitliche Berliner Gewerkschaftsbewegung. Otto Urban starb am 31. März 1947 in Berlin-Steglitz wenige Tage nach Vollendung seines 70. Geburtstages.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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