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Rein Johannes (1872 - 1937 ?)

Geboren am 27. November 1872 in Berlin, protestantisch, später Dissident. Hausdiener in Berlin. Seit 1891 1. Vorsitzender des Diskutier- und Leseklubs der Berliner Hausdiener. Bevorzugte Themen des Autodidakten: Schulfragen und die Revolution von 1848. Die Berliner Polizei beobachtete ihn wegen seiner scharfen antiklerikalen Agitation. Von Beginn an Mitglied des "Verbandes der Geschäftsdiener, Packer und Berufsgenossen", einer Fusion zweier Berliner Lokalvereine (seit dem 1. Januar 1892). Auf der Generalversammlung am 4. Juli 1893 zum 1. Schriftführer seiner Lokalorganisation gewählt, die sich politisch einmütig zur Sozialdemokratie bekannte. Rein beteiligte sich im Herbst 1893 in Berlin führend an der Enquete über die Verhältnisse im Handelsgewerbe des Reichsamtes des Inneren, verknüpfte die Befragungen mit einer intensiven Agitation für die Abschaffung der Sonntagsarbeit. Übernahm im Frühjahr 1894 in der Andreasstraße eine Lesehalle mit sozialdemokratischer und Gewerkschaftsliteratur. ("Sämtliche Tages-, Partei- und Gewerkschaftsblätter sind für 5 Pfennig zu lesen.") Präsidierte in seinem Laden dem sozialdemokratischen Diskutierklub "Zeitgeist", der sich jedoch bald zu Gunsten der Reorganisation des 4. Berliner Reichstagswahlkreises auflöste. Hatte innerhalb der Berliner Sozialdemokratie mehrere Vertrauenstellungen inne.

Am 1. September 1896 als Delegierter zur Parteikonferenz für die Provinz Brandenburg gewählt. Bis 1896 Wiederwahl zum Schriftführer der "alleinigen Vereinigung", "welche auf dem Boden der modernen Arbeiterbewegung steht, und die Interessen der Haus- und Geschäftsdiener, Packer, Markthelfer, Weinkellerarbeiter und verwandter Berufsgenossen vertritt". (Seit 15. Oktober 1894 neue Organisationsbezeichnung: "Verband aller im Handels- und Transportgewerbe beschäftigter Hilfsarbeiter für Berlin und Umgebung.") Im gewerkschaftspolitischen Konflikt zwischen "Zentralisten" und "Lokalisten" plädierte der 1. Schriftführer des wichtigsten Vereins in Deutschland weiterhin für die Beibehaltung der Lokalorganisation ("lose Zentralisation durch Vertrauensmännersystem"). Rein bemühte sich nach der Gründung des Zentralverbandes zunächst, die widerstreitenden Gruppierungen in der Hauptstadt wenigstens berufspolitisch mit einer Stimme sprechen zu lassen. Nahm am 23. Februar 1897 auf einer Versammlung aller Handelshilfs- und Transportarbeiter die Wahl zu einem der beiden Berliner Vertrauensleute an (paritätische Besetzung von "Lokalisten" und "Zentralisten").

Seit dem 1. April 1897 verantwortlicher Redakteur und Verleger des lokalorientierten Blattes "Der Handels-Hilfsarbeiter. Organ für die Interessen aller im Handels- und Transportgewerbe beschäftigten Hilfsarbeiter Deutschlands. Publikations-Organ der Organisationen der Markthelfer, Packer, Kutscher, Hausdiener und verwandten Berufe Deutschlands". Am 1. Juni 1897 zum einzigen besoldeten "Bureauangestellten" der lokalorganisierten Berufskollegen Berlins gewählt (Wochenlohn 27 Mark). Mit der neuen Funktion war gleichzeitig das Amt des Kassierers verknüpft. Rein gab im September 1897 das Amt des Berliner Vertrauensmann zurück: das Verhältnis zum gewerkschaftlichen Zentralverband hatte sich für ihn als wenig ersprießlich erwiesen, die einseitige Parteinahme der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands für die Zentralisten schließe eine künftige Zusammenarbeit aus. Der schwelende Konflikt verschärfte sich noch, als Carl Alboldt und Johannes Rein in der zweiten Hälfte 1898 den Vorsitzenden des neu geschaffenen "Zentralverbandes der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands", Oswald Schumann, wegen angeblicher Unterschlagung von Streikgeldern verklagten. Wiederwahl zum Kassierer und festbesoldeten Funktionär am 4. Januar 1898. Rein vollzog 1898 nach seinen Agitationstouren durch Norddeutschland in der Frage der Zentralisation einen deutlichen Gesinnungswandel. ("Die Kollegen in der Provinz stehen fast ausnahmslos auf dem Standpunkt der Zentralisation, dem gegenüber dürfen wir uns nicht länger verschließen und auf lokalem Boden stehen bleiben.") Der Redakteur des "Handels-Hilfsarbeiters" warb für den Aufbau einer zweiten Zentralorganisation und konnte im Oktober 1898 für seine Ideen eine Mehrheit der lokalorientierten Berliner Kollegen erlangen (Ende 1898 ca. 1.700 zahlende Mitglieder in Berlin). Teilnehmer einer Berliner Funktionärskonferenz am 11. Dezember 1898 beider gewerkschaftlicher Richtungen, die auf Anregung der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands zu einem Einigungskongreß zu Pfingsten 1899 in Leipzig aufrief. Delegierter der Berliner Lokalisten auf dem Kongreß vom 2. bis 5. April 1899 in der sächsischen Metropole. Referat: "Das Fiasko der Sozialreform im Handelsgewerbe und die Sonntagsruhe im Verkehrsgewerbe".

Rein signalisierte in Leipzig die prinzipielle Bereitschaft der Berliner Kollegen, dem Zentralverband unter bestimmten Bedingungen beizutreten; konnte jedoch ein Scheitern der Konferenz nicht verhindern. Dem kompromißbereiten Lokalisten gelang es nach dem Leipziger Debakel in Berlin am 10. April 1899 nicht mehr, eine Mehrheit für einen Anschluß an die Zentralorganisation zu erhalten. Nach dem Rücktritt des langjährigen "Vetrauensmanns der lokalorganisierten Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands", Carl Alboldt im April 1899 wählten die Berliner Kollegen Johannes Rein einstimmig am 18. April 1899, zum Nachfolger. Die Zustimmung der Vereine im Reich legitimierte die Entscheidung der Berliner Generalversammlung (Amtsantritt zum 1. Mai 1899). Wiederwahl zum Kassierer der Berliner Organisation am 25. April 1899 (Ende 1899 2.587 Mitglieder in Berlin). Vertrat die lokalorganisierten Kollegen im Berliner Gewerkschaftskartell und stellte weiterhin die Weichen auf gewerkschaftlichen Zusammenschluß. Berater der Berliner Kollegen in Versicherungsfragen. Mitverfasser der Broschüre: "Die Unfallversicherung der Berufsgenossenschaften und ihre Vertrauensärzte." Geschildert nach den eigenen Erfahrungen von Karl Hofstädt. Ergänzt von Joh[annes] Rein. Berlin 1899.

Rein leitete als Vertrauensmann für Deutschland die letzte Konferenz der lokalorganisierten Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands vom 15. bis 17. April 1900 in Braunschweig (5.491 Mitglieder in 16 Berufsorganisationen in Deutschland), die den Zusammenschluß mit dem Zentralverband sanktionierte. In Braunschweig zum Obmann einer Kommission gewählt, um den Einigungsprozeß mit dem "Zentralverband der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands" zu steuern. Auf der außerordentlichen Generalversammlung der "verfeindeten Brüder" am 12. Juni 1900 zum besoldeten Kassierer in Berlin gewählt (Zeitpunkt des Zusammenschlusses am 1. Juli 1900). Mit der Nr. 13 des "Handels-Hilfsarbeiters" verabschiedete sich Rein am 1. Juli 1900 von seinen Lesern. Tat in der zweiten Hälfte des Jahres viel dafür, aufflackernde lokalistische Organisationsversuche in Berlin einzudämmen. Der ehemalige Vertrauensmann für Deutschland trat am 4. Dezember 1900 freiwillig von seinem Kassiereramt zurück und verließ als Angestellter der Verwaltungsstelle Königsberg und als "Agitator für Ost- und Westpreußen" die Hauptstadt. Rein kehrte im Oktober 1901 auf eigenen Wunsch aus Ostpreußen nach Berlin zurück, ohne an seiner alten Wirkungsstätte die geplante, gewerkschaftliche Festanstellung zu erlangen. Die Beschwerde Reins beim Verbandsausschuß blieb erfolglos. Eine Berliner ad hoc-Kommission zur Überprüfung der Kassenangelegenheiten wies Rein im Dezember 1901 einen nicht abgerechneten Betrag von 92 Mark nach. Funktionsverbot wegen "ehrenrührigen Verhaltens". Übernahm von Dezember 1901 bis April 1904 ein Schreib- und Papierwarengeschäft in der Zorndorferstraße. Fungierte im Sommer 1905 wieder als Sektionsleiter der Kohlenarbeiter und Kutscher im Zentralverband. Nach Ende des I. Weltkriegs arbeitete er als "Kassenbeamter" im gemeinwirtschaftlichen Bereich. Johannes Rein starb Ende der dreißiger Jahre.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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