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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
Online-Suppl. Erweiterung des Berichtszeitraums von Mitte 1977 bis zur Jetztzeit / Autor: Dieter Schuster.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2003 ff

Stichtag:
14. Nov. 1979

Auf der Veranstaltung aus Anlass der 20. Wiederkehr des Außerordentlichen SPD-Parteitages 1959, auf dem das Godesberger Programm der SPD verabschiedet wurde, sagt W. Brandt in Bonn: „Wir versammeln uns heute, um uns selbst und andere zu erinnern an dieses Programm von Godesberg: ohne Übertreibung das einschneidendste in der Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

In der Paulskirche 1978 führte ich aus und will es hier bekräftigen: Das Godesberger Programm bleibt die Grundlage unserer Vertrauensarbeit und unserer Regierungsfähigkeit. Es verleiht der Verankerung in der Gesellschaft unserer Bundesrepublik ebenso Ausdruck wie dem Willen, in dieser Gesellschaft mehr Freiheit und mehr Gleichheit zu verwirklichen; kurzum: diesem Staat als führende politische Kraft zu dienen und unsere Gesellschaft maßgeblich mitzugestalten. Die SPD braucht für einen jetzt überschaubaren Zeitraum kein neues Grundsatzprogramm. Im Godesberger Verständnis ist Sozialismus entfaltete Demokratie. Wenn man gelegentlich hören konnte, Godesberg habe ,Verzicht auf Sozialismus’ zu bedeuten, so beruht dies auf einem schwerwiegenden Missverständnis:

In Wirklichkeit spricht unser Programm von jener Gesellschaft, welche ,die Sozialisten’ erstreben. ,Sozialismus’ wird als eine dauernde Aufgabe interpretiert: ,Freiheit und Gerechtigkeit zu erkämpfen, sie zu bewahren und sich in ihnen zu bewähren’. Auf deutschem Boden, heißt es zum Schluss, ,sammeln sich die Sozialisten in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands’. Für den groben Unfug, Sozialdemokraten und demokratische Sozialisten als etwas Unterschiedliches darzustellen, gibt es hier keine Grundlage...

Bedurfte es, überspitzt formuliert, zweier empfindlicher Wahlniederlagen, um den Weg nach Godesberg zu ebnen? War Godesberg also doch vor allem eine Form von Anpassung, wie uns gewisse Kritiker vorhielten? Als einer der zwar nicht Hauptverantwortlichen, aber doch schon Mitbestimmenden kann ich guten Gewissens sagen: So war es nicht. Man sollte wohl auch vor einem Irrglauben warnen. Vor dem Irrglauben nämlich, es habe in Godesberg einen Schnitt durch die Nachkriegsgeschichte der SPD gegeben. Ansätze in Richtung Volkspartei gab es schon frühzeitig; gerade K. Schumacher hatte die Öffnung der SPD als notwendig erkannt, und zwar nicht nur in Richtung auf die Entwurzelten und Verzweifelnden. Und mancherorts in der Bundesrepublik – in den Ländern, zumal in den Städten – wurden neue Wege auch in der Praxis frühzeitig erprobt.

Dass der eigentliche Anstoß zum Programmentwurf erst nach der Bundestagswahl von ’53 erfolgte, hat nicht in erster Linie mit Enttäuschungen zu tun, sondern mehr damit, dass E. Ollenhauer dem Wunsch nach grundsätzlicher Überprüfung entsprach, während K. Schumacher es – bis zu einer Klärung der internationalen Lage und der deutschen Frage – mit einem Aktionsprogramm genug sein lassen wollte. Der Entschluss, ein neues Programm zu erarbeiten, wurde also 1954 gefasst. Dass es fünf Jahre bis zur Verabschiedung brauchte – nun ja, gut Ding will eben Weile haben! Es war ein Prozess des Mit-sich-ins-Reine-kommens, dem sich die Partei unterzog. Ein notwendiger Prozess. Notwendig einmal im Sinne einer neuen Definition der Antriebskräfte, zum anderen aber gewiss auch im Sinne einer prinzipiellen Mehrheitsfähigkeit der SPD in der Bundesrepublik Deutschland. Aber es war natürlich für manchen auch ein schmerzlicher Prozess – wie es der Abschied von liebgewordenen Vorstellungen fast immer ist.

Ich will noch einmal fünf zentrale aufeinander bezogene – und gültige! – Aussagen hervorheben: Die SPD verzichtet auf eine verbindliche festgeschriebene Weltanalyse, die Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben könnte, ebenso wie auf eine geschichtsphilosophisch begründete Utopie. Die SPD sieht die Motivation, für ihr Ziel zu wirken, in den Grundwerten gegeben: Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Keiner dieser Grundwerte wird absolut gesetzt, alle drei bedingen sich wechselseitig. Die SPD versteht sich folgerichtig als eine – so steht es im Programm selbst – ,Gemeinschaft von Menschen, die aus verschiedenen Glaubens- und Denkrichtungen kommen. Ihre Übereinstimmung beruht auf gemeinsamen sittlichen Grundwerten und gleichen politischen Zielen’.

Die SPD erkennt ihr Ziel in der Erweiterung des Freiheitsraumes des Menschen, der Gerechtigkeit im menschlichen Miteinander und in der Schaffung einer solidarischen Gesellschaft. (Die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln, lange Zeit mit Sozialismus gleichgesetzt, kann ein Mittel sein, um dem Ziel näher zu kommen, muss es aber nicht.) Und die SPD hält Demokratie für einen Wert an sich. Sie ,bekennt sich zu ihr nicht nur als einem Weg zu einem Ziel, sondern als einer Ordnung, ohne die eine sozialistische Gesellschaft nicht leben kann’.

Für die deutsche Sozialdemokratie war es von schicksalhafter Bedeutung, dass sie endlich ein ungebrochenes Verhältnis zum Staat und den Organen seiner Macht gewinnen konnte. Ein noch so gutes Programm macht keinen Wahlsieg. Es kann allerdings dazu beitragen.

Und Godesberg hat die Voraussetzungen für weitreichende politische Veränderungen geschaffen. Das moderne Programm hat die SPD befähigt, in soziale Schichten vorzustoßen, die ihr durchweg verschlossen waren. Godesberg symbolisiert also die Wandlung in eine zugleich traditionsbewusste, Grundwerte-gebundene und auf ein Programm der sozialen Demokratie bezogene fortschrittliche, also ,linke’ Volkspartei. Die Rückbesinnung auf Godesberg führt uns mitten hinein in die schwere, hoffentlich nicht zu schwere Aufgabe, politische Heimat zu bleiben für den Facharbeiter und für diejenigen, die seinen Stand erst noch erreichen möchten und für diejenigen, die ein Stück weiteren Aufstieg hinter sich haben, und nicht zuletzt auch für die, die verzweifelt sind, suchen und hoffentlich nicht auch an uns verzweifeln. Dies alles zu tun, ohne die Konturen zu verlieren, das wird nicht leichter, sondern schwerer. Aber sozialdemokratische Politik bedeutet eben auch, wenn ich es recht verstanden habe, uns etwas aufzuladen, damit vielen anderen etwas von ihrer Last genommen wird.„

Als einziges Bundesland lässt das Saarland auch weiterhin die Möglichkeit von privatem Rundfunk gesetzlich zu. Mit den 25 Stimmen der regierenden CDU lehnt der 50 Abgeordnete umfassende Saar-Landtag einen von der SPD eingebrachten und von der ebenfalls regierenden FDP unterstützten Antrag ab, die Privatfunkklausel im Landesrundfunkgesetz zu streichen.



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