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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
Online-Suppl. Erweiterung des Berichtszeitraums von Mitte 1977 bis zur Jetztzeit / Autor: Dieter Schuster.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2003 ff

Stichtag:
5. Okt. 1979

In einer gemeinsamen Sitzung von SPD-Parteirat, Parteivorstand und Kontrollkommission in Bonn gibt W. Brandt einen Bericht zur aktuellen politischen Lage. Dabei führt er u. a. aus: „Wir wissen, und müssen es deutlich machen: Wer morgen sicher leben will, muss heute sehr viel dafür tun. Und wir wissen auch, dass die Bürger unseres Landes – zumal die Arbeitnehmer – gerade von unserer Partei immer wieder überzeugende Antworten darauf erwarten, wie es politisch weitergehen soll.

Die Handlungsbedingungen sind schwieriger geworden, im internationalen Rahmen wie innerhalb der Bundesrepublik. Bei der Lösung der Zukunftsaufgaben ist heute mit härterer Gegenwehr zu rechnen als in Zeiten, in denen der fast automatisch größer werdende ,Wohlstandskuchen’ manchen Konflikt lösen half.

Die Zukunft, früher mit Fortschritt schlechthin gleichgesetzt, wird von vielen als bedrohlich empfunden. Von steigenden Benzin- und Heizölpreisen, arbeitsplatzbedrohenden Rationalisierungswellen, Schlägereien um Benzin an amerikanischen Tankstellen bis zu Lieferschwierigkeiten bei Isolierstoffen für den Hausbau. Das und anderes haben die Bürger unmittelbar berührt. Aus praktischer Betroffenheit stellen sie Zukunftsfragen, für die es keine einfachen Patentrezepte gibt. Die Suche nach alternativen Lebensformen (die z. B. mit weniger Energievergeudung verbunden sind) verdient Beachtung und in gewisser Hinsicht auch Ermutigung.

Wir sind verpflichtet, in unserer politischen Arbeit Antwort zu geben auf das starke Sicherheitsbedürfnis der Menschen in unserer Zeit. Sicherheit keineswegs nur im materiellen Sinne als Wunsch nach steigendem Wohlstand – so legitim auch das noch für viele ist –, sondern viel weiter gefasst im Sinne existentieller Sicherheit. Die aktive Fortsetzung unserer Entspannungspolitik werden wir erkämpfen, die Gefahren aus latenten Nord-Süd-Konflikten abbauen müssen, wenn wir im unmittelbaren Sinne sicher sein wollen. Das gilt auch für die ökonomischen, ökologischen und sozialen Fragen – für das Bemühen, humanes Wachstum (menschlichen Fortschritt) zu definieren. Wir können an geleistete Arbeit anknüpfen. In zehn Jahren sozialliberaler Koalition ist der Frieden in Europa trotz mancher Rückschläge sicherer geworden; die bundesdeutsche Wirtschaft konnte sich vergleichsweise sehr gut behaupten; das soziale Netz wurde weiter ausgebaut und gegen weltwirtschaftliche Risiken – die allerdings dramatisch zugenommen haben – besser abgeschirmt werden.

Die Selbstverständlichkeit, mit der man heute diese Errungenschaften und die Tatsache zur Kenntnis nimmt, dass Sozialdemokraten gemeinsam mit den Freien Demokraten die Regierung stellen, hat aber auch dazu geführt, dass eine Reihe von ,Stammwählern’ meint, bei den Wahlen z. B. in der Gemeinde getrost zuhause bleiben zu können. Wir müssen nachdrücklich die Bürger davor warnen, durch Stimmabgabe für Grüne und Alternative Listen oder durch Fernbleiben von den Wahlen Herrn Strauss Brücken zu bauen. Im Bereich Energiepolitik führt die SPD die notwendige Diskussion stellvertretend für die ganze Gesellschaft. Wenn sich die Union dazu hat erpressen lassen, einen Rechtsaußen der deutschen Politik zu ihrer Mitte zu machen, so trägt sie Mitverantwortung für einen gefährlichen Rechtstrend in unserer Demokratie und die sich daraus ergebende Polarisierung.

Unser Bundesparteitag in Berlin hat - ganz in der Tradition vorausgegangener Parteitage – die große Chance, Vertrauen zu erarbeiten und politische Glaubwürdigkeit sicherzustellen. Wir haben einen Bundeskanzler, der im In- und Ausland Ansehen hat, zu Recht. Jede Woche wird deutlicher, dass Sicherheit für die 80er Jahre nach innen und außen in hohem Maße gleichbedeutend ist mit Sozialdemokraten. Jedenfalls wird uns viel Arbeit und geistiger Kampf abverlangt.„

Der Parteirat der SPD wendet sich mit Entschiedenheit gegen die ungeheuerlichen Diffamierungen der Sozialdemokratie durch Wortführer der CSU: „Demokratische Sozialisten haben in langer Geschichte und in aller Welt für die Freiheit gekämpft. Sie sind für die Freiheit der Menschen in Gefängnissen und in Konzentrationslagern gestorben. Nationalsozialisten waren die Mörder. Wer angesichts unserer Geschichte Nationalsozialisten den Sozialdemokraten gleichstellt, stellt die Ermordeten in die Reihen der Mörder. Und wer dies tut, deckt die Mörder und zerstört den demokratischen Grundkonsens in der Bundesrepublik Deutschland. Alle Demokraten sind gefordert, F. J. Strauß und seinen Helfern diesen Weg zu verstellen. Wie schon die Gewerkschaften sollten auch die Kirchen, die Medien, ob öffentlich-rechtlich oder privat, und andere gesellschaftliche Gruppen ihre Stimme erheben, um eine schreckliche Wende der deutschen Nachkriegspolitik zu verhindern. Wir fordern den Vorstand der CDU, insbesondere den Vorsitzenden H. Kohl , auf, der bewusst geführten Kampagne öffentlich entgegenzutreten. Wer jetzt schweigt, macht sich mitschuldig an der Zerstörung des inneren Friedens.„


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