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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
Online-Suppl. Erweiterung des Berichtszeitraums von Mitte 1977 bis zur Jetztzeit / Autor: Dieter Schuster.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2003 ff

Stichtag:
Ende Sept./Anf. Okt. 1979

Im Oktober-Heft der SPD-Monatszeitschrift „Neue Gesellschaft„ kritisiert B. Friedrich die gegenwärtige Führungsstruktur der SPD. Mit der neuen Rolle der SPD als Regierungspartei sieht B. Friedrich seit Anfang der siebziger Jahre die Führungsstruktur grundlegend verändert, wie sich zuvor die Mitgliederstruktur nach Aufnahme neuer Akademiker- und Angestellten-Schichten gewandelt hatte. Die Regierungsverantwortung habe die führenden Politiker so stark in Anspruch genommen, dass in breiten Schichten der Partei die Empfindung Platz gegriffen habe, „die Partei sei ein Waisenkind, zumindest eine Art Schlüsselkind, das seine Eltern selten sieht, weil sie im eigenen Betrieb, um ihn zu erhalten, ständig Überstunden leisten müssen„. Ihre Führungsstruktur entscheide, „ob die SPD eine Mandatsfindungspartei oder mehr ist: die Trägerin einer politischen Idee!„ Um wieder geistige und politische Führung zu erlangen, rät er, die auf längerfristige Arbeit angelegten Kommissionen und den Parteirat (das höchste Gremium zwischen den Parteitagen) zu verstärken. Seine Begründung: das Parteipräsidium werde sich auch künftig zunehmend mit Tagespolitik befassen müssen. An der geistigen und organisatorischen Führung der Partei müssten deshalb stärker die Mitglieder des Parteivorstandes und der Landesvorstände beteiligt werden. Er schreibt, es dürfe niemals wieder dahin kommen, dass die SPD zum Objekt der Entwicklung werde. „Sie muss alles daransetzen, um handelnd die Richtung zu bestimmen.„ B. Friedrich nimmt seine Partei vor Scherfs Wort „Kanzlerwahlverein„ in Schutz: „Erstmals wurde in Deutschland der Ansatz eines gerechten Sozialstaates mit Massenwohlstand geschaffen.„ Er sieht die SPD-Kanzler W. Brandt und H. Schmidt als die Erfüllung der Hoffnungen von Generationen deutscher Sozialdemokraten. Der kleine Mann könne nun unter Herrschaftsbedingungen leben, „aus denen heraus nicht mehr von denen, die schon im Betrieb über ihn verfügen, auch im Staat über ihn verfügt wird„. Aber er rechnet auch das Defizit vor: „Die Bundesrepublik Deutschland leidet unter der Minimalisierung des Geistes... Wir haben unsere Städte aufgebaut, wir sind ein Rechtsstaat, wir sind in der Welt geachtet, wir sind reich: wo aber wirkt der Geist..., wo gibt es ein bewusstes Zusammenwirken des Geistes in der öffentlichen Verantwortung?„ Er erinnert an W. Brandts Versuche, die Wahlhelfer der SPD von einst, Schriftsteller und Intellektuelle, wieder zurückzugewinnen. „Die geistige Substanz unseres Volkes muss zur SPD einen offenen Zugang haben. Dieser Zugang darf beim Nachdenken über die Zukunft nicht durch Regierungszwänge versperrt werden, weil nirgendwo der Eindruck unantastbarer Entscheidungen entstehen darf. Das Wort ,Kanzlerwahlverein’ hätte weniger Widerhall, wenn Entscheidungen mehr diskutiert, auch klarer begründet würden.„


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