Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. -
[Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
Unter dem vom Saulus zum Paulus gewordenen einstigen Langzeitkommissar Helmut Schmidt sind die SPD-Dokumente zur grundlegenden gesellschaftlichen Veränderung in Vergessenheit geraten. Godesberg ist nur noch Parteigeschichte. Die SPD orientiert sich auch nicht mehr an ihrem Orientierungsrahmen, selbst die Beschlüsse des Hamburger SPD-Parteitages von 1977 sind Makulatur. Keine der vom Hamburger Parteitag beschlossenen Forderungen nach einer vorausschauenden Strukturpolitik, weder die Einführung einer Meldepflicht für Investitions- und Personalplanungen, noch die Errichtung von Strukturräten, weder die Gründung eines Strukturfonds und eines Investitions-Rücklagefonds noch die Forderung nach Ergänzung des kreditpolitischen Instrumentariums um eine Aktivreserve, haben in der Regierungs- oder Fraktionsarbeit ihren Niederschlag gefunden. Nicht nur der Koalitionspartner ist gegen ein solches Regiment der Räte, auch dem Kanzler fehlt die Planungs- und Bürokratengläubigkeit. Der Erfolg des Kanzlers Helmut Schmidt liegt gerade darin, dass es ihm gelingt, seine Person und seine Politik als SPD-Politik darzustellen, obwohl er weit mehr ein FDP- als ein SPD-Kanzler ist. Der Bremer Finanzsenator und einer der Wortführer des linken SPD-Flügels, Henning Scherf , kritisiert, dass die Bundesregierung in der Steuerpolitik seit Jahr und Tag genau das Gegenteil von dem tue, was die SPD beschlossen habe. Aber gerade darin, dass der Koalitionskanzler Helmut Schmidt gegen die steuerpolitischen Grundsätze seiner Partei handelt und nicht der Gleichmacherei Tür und Tor öffnet, liegt seine Chance zur Machterhaltung. Ein SPD-Kanzler, der die Beschlüsse und Forderungen seiner Partei propagierte, wäre weder mehrheits- noch koalitionsfähig.
Online-Suppl. Erweiterung des Berichtszeitraums von Mitte 1977 bis zur Jetztzeit /
Autor: Dieter Schuster.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2003 ff
Stichtag:
7. Aug. 1979
Im Handelsblatt schreibt der Redakteur Rainer Nahrendorf : Die SPD ist zum Kanzlerwahlverein, zum Machterhaltungskartell geworden. Unter dem Kanzler H. Schmidt hat sie ihre politische Identität verloren. W. Brandt hat dies als Parteivorsitzender nicht verhindern können, vielleicht deshalb, weil er selbst als ,Reformkanzler gescheitert ist. Mit Krisen- und Koalitionszwängen ist der Identitätsverlust der SPD nicht zu erklären. Der tiefere Grund liegt in dem Wandel der SPD von einer auf Veränderung zielenden Oppositionspartei zur ganz auf Machterhalt fixierten Regierungspartei.