DIGITALE BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

DEKORATION DIGITALE BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG DEKORATION


TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
17. Nov. 1953

C. Schmid schreibt zur Situation der Sozialdemokratie: Wir Sozialdemokraten sind stark genug, um, ohne Schaden für das unvergängliche Gut der Arbeiterbewegung, abwerfen zu können, was im Laufe der Zeit zu totem Ballast geworden sein mag. Die SPD hat aus der Absage an den absoluten Glauben an eine ökonomische Automatik in der Geschichte die Konsequenzen gezogen und sie auf dem Parteitag in Hamburg im Jahre 1950 deutlich ausgesprochen. Sie ist keine Weltanschauungspartei mehr. Zu ihr kann, aus welchem weltanschaulichen Lager auch immer, jeder stoßen, der der Meinung ist, daß alles getan werden müsse, um den materiellen, moralischen und geistigen Lebensstandard des Volkes zu heben, und der entschlossen ist, sich dabei ausschließlich demokratischer und rechtsstaatlicher Wege zu bedienen und den Menschen in die Mitte zu stellen. Man kann die Formulierung wagen, daß der Sozialismus der SPD der Ort ist, an dem sich zu Ende gedachtes liberales und konservatives Denken treffen könnten - vorausgesetzt, daß man unter liberal und konservativ schöpferische Lebenskräfte versteht.
Damit hat die SPD den Charakter einer echten Volkspartei gewonnen. Sie will das Anliegen aller derer vertreten, die, allein auf sich gestellt, wehrlos dem seelenlosen Mechanismus von Wirtschaft und Gesellschaft preisgegeben wären, mögen das nun die Arbeiter, die Angestellten, die Bauern, die Mittelständler, die Beamten sein.
Die SPD möchte Gesetze schaffen können, die jedem eine echte Chance geben, Privateigentum zu erwerben, denn wir Sozialdemokraten sind der Überzeugung, daß der Mensch volle sittliche Verantwortung für das Ganze seiner Existenz auf die Dauer und im allgemeinen nur tragen kann, wenn er über so viel Privateigentum verfügt, daß er imstande ist, auch jemandem gegenüber »nein« zu sagen, von dem er wirtschaftlich abhängig sein mag. Kein Mensch in unseren Reihen denkt mehr daran, alles industrielle Eigentum in Gemeineigentum zu überführen. Nur im Bereich einiger Schlüsselindustrien - Kohle, eisenschaffende Industrie, Schwerchemie - sollen Betriebe, deren Ausdehnung ihren Eigentümern eine unkontrollierbare politische Macht verleiht, in Gemeineigentum überführt werden, weniger aus wirtschaftlichen Gründen als um die Nebenregierung oft reichlich egoistischer Kräfte zu verhindern. Was wir unter Sozialismus heute verstehen, ist die Schaffung der Voraussetzungen für die Freiheit des Menschen in der Wirtschaft. Dazu brauchen wir ein besseres Arbeitsrecht, soziale Autonomie, die Umwandlung des Arbeitnehmers vom Betriebsuntertanen zum Betriebsbürger über das Mitbestimmungsrecht, eine Politik der Vollbeschäftigung. Die SPD will nicht den Menschen verstaatlichen, sondern den Staat vermenschlichen, und darum wird sie immer der Vorkämpfer für das Moralische in der Politik sein.



Vorhergehender StichtagInhaltsverzeichnisFolgender Stichtag


net edition fes-library | Juni 2001