Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
SPD-Parteitag in Dortmund. 379 Delegierte sind anwesend.
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001
Stichtag:
24./28. Sept. 1952
Tagesordnung: Die Einheit Deutschlands und ein lebensfähiges Europa als vordringlichstes Ziel sozialdemokratischer Politik (E. Ollenhauer); Aktionsprogramm der Sozialdemokratie (W. Eichler).
W. Mellies teilt mit, daß die SPD-Bundestagsfraktion bis jetzt 40 Gesetzentwürfe eingebracht hat und an 20 interfraktionellen Gesetzentwürfen beteiligt war.
Der Parteitag billigt die Politik der Partei im Kampf um den Aufbau Deutschlands und um die Erfüllung unseres Staatswesens mit neuem politischen und sozialen Inhalt.
Die von der gegenwärtigen Bundesregierung und den sie tragenden Parteien geübte Praxis des obrigkeitlichen Verwaltungsstaates führt zur Verkümmerung der parlamentarischen Demokratie und fördert die Entwicklung der extremen Kräfte von rechts und links. Der Versuch, überlebte wirtschaftliche und soziale Zustände aufrechtzuerhalten, verhindert die Lösung der dringendsten sozialen Probleme und reißt eine Kluft zwischen breiteste Schichten des Volkes und dem Staat. In der Durchführung des vollen Mitbestimmungsrechtes der arbeitenden Menschen in der Wirtschaft sieht die SPD eine der dringlichsten Forderungen. Im Ringen um die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und mit friedlichen Mitteln wird die SPD weiterhin ein Höchstmaß an Initiative entfalten.
Die SPD fordert die vier Besatzungsmächte auf, eine Übereinkunft über die Abhaltung freier Wahlen zu erreichen.
In einer Entschließung gegen den Terror der Sowjetzone wird warnend auf die Verschärfung der dortigen Lage durch die Beschlüsse zum Aufbau der Volksdemokratie, auf die gesteigerte Militarisierung und die Absperrungsmaßnahmen hingewiesen. Der von den Kommunisten am schärfsten bekämpfte »Sozialdemokratismus« erweise sich als stärkste Kraft des Widerstandswillens in Mitteldeutschland.
Der Parteitag verabschiedet das Aktionsprogramm, nachdem er Ergänzungen und Änderungen vorgenommen hat, so durch die Einfügung des Satzes »Die SPD strebt ein wirksames System kollektiver Sicherheit an, an dem Deutschland gleichberechtigt und ohne Gefährdung seiner Wiedervereinigung beteiligt ist.«
Im wirtschaftspolitischen Teil werden nun als wirtschaftspolitische Ziele genannt: Erhöhung und Sicherung des Lebenstandards des Volkes durch Produktivitätssteigerung und Vollbeschäftigung. Neuordnung der Wirtschaft durch eine Verbindung von volkswirtschaftlicher Planung und einzelwirtschaftlichem Wettbewerb, Überführung der Grundstoffwirtschaft in Gemeineigentum. Gerechte Verteilung des Ertrages der Volkswirtschaft. Die Zwangswirtschaft wird abgelehnt und eine freie Konsumwahl bejaht. In allen dazu geeigneten Wirtschaftszweigen soll der echte Leistungswettbewerb gefördert werden. Dazu bedarf es nicht nur einer staatlichen Beaufsichtigung unvermeidlicher Monopole, sondern ebenso der gesetzlichen Sicherung des Wettbewerbs. Daneben ist es eine besondere Aufgabe der staatlichen Wettbewerbspolitik, alle Unternehmensformen zu fördern, die den Wettbewerb beleben.
Die SPD sieht in ihrem Programm von einem grundsätzlichen Bekenntnis zur Wehrhoheit und zur Wehrverfassung ab, weil Erörterungen über wehrpolitische Grundsatzfragen die Haltung der Partei zum aktuellen Problem einer deutschen Aufrüstung bei vielen Menschen vielleicht in ein gewisses Zwielicht gerückt hätten.
Bei allen öffentlichen Anlässen und Veranstaltungen mit Fahnen sollen sozialdemokratische Vertreter nur teilnehmen, wenn die Bundesfarben Schwarz-Rot-Gold gezeigt werden.
Der Parteivorstand soll die Herausgabe einer Zeitschrift vorbereiten, die der Diskussion grundsätzlicher Fragen von aktueller Bedeutung und zugleich der Bildungsarbeit dienen soll. Eine solche Zeitschrift, die die erfolgreiche Tradition der »Gesellschaft« und der »Sozialistischen Bildung« fortsetzen solle, entspreche einem dringenden Bedürfnis und sei für die Durchführung der Bildungsarbeit unentbehrlich.
Bei 363 gültigen Stimmen wird E. Ollenhauer mit 357 zum Vorsitzenden, W. Mellies mit 318 zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.
Als besoldete Vorstandsmitglieder erhalten A. Nau 341, Herta Gotthelf 337, M. Kukil 327, F. Heine 322, W. Eichler 306 Stimmen.
Zu unbesoldeten Parteivorstandsmitgliedern werden gewählt:
W. v. Knoeringen 352, E. Reuter 347, F. Henssler 339, W. Menzel 337, G. A. Zinn 332, C. Schmid 331, Luise Albertz 325, A. Gayk 325, H. Albertz 320, E. Schoettle 319, H. Wehner 316, W. ]aksch 310, Louise Schroeder 309, F. Neumann 290, Elfriede Selbert 289, E. Groß 287, H. Veit 273, F. Bögler 269, Anni Krahnstöver 267, F. Steinhoff 266, Lisa Albrecht 246, F. Haas 244, K. Meitmann 231 Stimmen.
In die Kontrollkommission werden gewählt: G. Bratke (363), A. Schönfelder (363), F. Ulrich (363), Grete Rudoll (357), W. Damm (355), E, Herder (355), Chr. Wittrock (354), H. Höcker (353), J. Steffan (346).