Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
Die achte Tagung der Internationalen Sozialistischen Konferenz (COMISCO) beschließt auf einem Kongreß in Frankfurt a. M. durch Namensänderung die Sozialistische Internationale wiederzugründen.
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001
Stichtag:
30. Juni/ 3. Juli 1951
In den verabschiedeten Statuten heißt es:
Die Sozialistische Internationale ist eine Vereinigung von Parteien, die für die Verwirklichung des demokratischen Sozialismus kämpfen.
Der Zweck der Sozialistischen Internationale ist, die Beziehungen der ihr angeschlossenen Parteien untereinander zu verstärken und durch freie Übereinkommen ihre politischen Auffassungen und Aktionen zu koordinieren.
Die Sozialistische Internationale bedauert, daß die Politik des Kominform freie demokratische Länder dazu gezwungen hat, der militärischen Verteidigung einen solchen Vorrang einzuräumen. Sie erkennt die Notwendigkeit an, daß diese Länder ihre militärischen Kräfte verstärken, damit sie im Rahmen der Vereinten Nationen Anteil an der Verhinderung des Krieges nehmen können.
Sie ist überzeugt, daß, wie auf allen Gebieten der Politik, auch in der Verteidigung die Gleichheit der Opfer in jedem Volk auch zwischen den Völkern gewährleistet werden muß.
Der Kommunismus sucht jede Schwäche in der demokratischen Welt auszunützen. Es ist daher lebenswichtig für die freien Demokraten, daß sie eine konstruktive Sozial- und Wirtschaftspolitik betreiben, die auf Vollbeschäftigung und eine hohe Lebenshaltung hinzielt.
Der Kongreß appelliert an die Welt, die Forderung nach Freilassung und Heimführung der Kriegsgefangenen mit dem Protest gegen den Mißbrauch vieler Hunderttausender von Kriegsgefangenen und verschleppter Zivilpersonen als Sklavenarbeiter in den Ländern der Diktaturen zu verbinden.
In einer Prinzipienerklärung stellt die Internationale fest, daß der Sozialismus als eine Protestbewegung gegen die dem kapitalistischen Gesellschaftssystem angeborenen Übel entstanden ist.
Während die Sozialisten durch die Überwindung der kapitalistischen Klassengesellschaft Freiheit und soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen trachten, bemühen sich die Kommunisten, die Klassenzerrissenheit der Gesellschaft zu verschärfen, um die Diktatur einer einzelnen Partei zu errichten. Wo immer er zur Macht gekommen ist, hat er die Freiheit ausgerottet oder die Möglichkeit, sie zu erringen, vernichtet.
Der demokratische Sozialismus ist eine internationale Bewegung, die keineswegs eine starre Gleichförmigkeit der Auffassungen verlangt. Er erstrebt die Verbindung von Freiheit und Planung im nationalen wie im internationalen Verband. Der Sozialismus wird sich nicht zwangsläufig erfüllen. Seine Verwirklichung erfordert die Anstrengung aller seiner Anhänger. Der Sozialismus kann nur durch die Demokratie verwirklicht, die Demokratie nur durch den Sozialismus vollendet werden. Die Demokratie erfordert die Daseinsberechtigung von mehr als einer Partei und das Recht auf Opposition. Die Demokratie hat jedoch die Pflicht, sich gegen jene zu schützen, die sie mißbrauchen, um sie zu zerstören.
Die unmittelbaren Ziele sozialistischer Politik sind Vollbeschäftigung, Produktionssteigerung, stetige Vergrößerung des Wohlstandes, soziale Sicherheit und eine gerechte Verteilung der Einkommen und Vermögen. Kollektives Eigentum kann geschaffen werden durch die Nationalisierung privatkapitalistischer Konzerne und Unternehmungen oder durch den Aufbau gemeinnütziger Konzerne oder Gemeindeunternehmungen und Verbraucher- oder Produktivgenossenschaften. Diese mannigfaltigen Formen kollektiven Eigentums sollen als Instrumente dienen, um die Grundindustrien, von denen Leben und Wohlstand des Gemeinwesens abhängen, der öffentlichen Kontrolle zu unterwerfen, die Rationalisierung technisch rückständiger Industrien zu fördern und die Ausbeutung des Volkes durch kapitalistische Monopole und Kartelle zu verhindern.
Der demokratische Sozialismus kämpft für die Befreiung der Menschen von jener Furcht und Sorge, die mit allen Formen von politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit verbunden sind. Mit dieser Befreiung wird die Bahn geöffnet für die geistige Entfaltung der Menschen zu verantwortungsbewußten und kulturellen Entwicklungen aufgeschlossenen Persönlichkeiten. Der Sozialismus will den Menschen alle Bereiche des Wissens öffnen, damit sie in immer höhere Kulturstufen aufsteigen.
Der Sozialismus ist international, weil er überzeugt ist, daß kein Volk für sich allein dauerhafte Lösungen für alle seine wirtschaftlichen und sozialen Probleme finden kann. Das System uneingeschränkter nationaler Souveränität muß überwunden werden. Die neue Weltordnung, die die Sozialisten erstreben, kann sich nur fruchtbar und friedlich entfalten, wenn sie auf der freiwilligen Zusammenarbeit der Nationen beruht.
Dies erfordert Demokratie im Weltmaßstab unter einer internationalen Rechtsordnung, die die Freiheit der Völker und den Respekt der Menschenrechte verbürgt. Der demokratische Sozialismus fordert die strenge Durchführung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen. Demokratie und Wohlstand sowie Frieden erfordern eine Neuverteilung des Weitreichtums und eine Erhöhung der Produktivität in den wirtschaftlich unentwickelten Gebieten. Ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung muß von den Ideen des demokratischen Sozialismus beseelt werden, damit sie nicht neuen Formen der Unterdrückung verfallen. Der demokratische Sozialismus sieht in der Bewahrung des Weltfriedens die brennendste Aufgabe unserer Zeit. Der Friede kann nur durch ein System der kollektiven Sicherheit verbürgt werden. Dieses System wird die Voraussetzungen für eine Weltabrüstung schaffen. Die Sozialisten ringen um eine Welt des Friedens in Freiheit, um eine Welt, die die Ausbeutung und Knechtung von Menschen durch Menschen und von Völkern durch Völker ächtet, um eine Welt, in der die Entwicklung der Persönlichkeit des einzelnen die Voraussetzung ist für die fruchtbare Entwicklung der ganzen Menschheit.
Zum Vorsitzenden der Internationale wird M. Phillips (Großbritannien), zu stellvertretenden Vorsitzenden E. Ollenhauer und L. Levy (Frankreich), nach dessen Tod 1952 G. Mollet (Frankreich), zum Generalsekretär J. Braunthal (Osterreich) gewählt.