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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
11./14. Sept. 1948

Parteitag der SPD in Düsseldorf. 366 stimmberechtigte Delegierte nehmen teil. Tagesordnung: Die Sozialdemokratie im Kampf für Freiheit und Sozialismus (K. Schumacher, der aber wegen einer schweren Krankheit am Parteitag nicht teilnehmen kann. Sein Referat wird von A. Gayk verlesen); Grundsätze sozialdemokratischer Wirtschaftspoltik (H. Veit); Soziale Neuordnung als sozialistische Gegenwartsaufgabe (R. Zorn).
K. Schumacher sagt in seinem Referat: Unter der Fahne der freien Wirtschaft ist die Anarchie der Beutemacher etabliert worden. Die deutschen Arbeiter sind unter den großen Völkern des europäischen Kontinents die einzigen gewesen, die die Neigung zum Faschismus nicht durch eine Neigung zum Kommunismus abgelöst haben. Wenn aber die Vereinigung des Unverständnisses der Siegermächte mit der hemmungslosen Verdienerwut der deutschen Unternehmer soziale Erfolge der deutschen Sozialdemokratie unmöglich macht oder doch hinauszögert, dann kommen Chancen für den Kommunismus oder eine Form des Neofaschismus.
Die fiktive Souveränität der Konsumenten droht durch die reale der Sachwertbesitzer überspielt zu werden. Die deutsche Sozialdemokratie hat die Pflicht, alle ihre Kräfte auf diesen Punkt zu konzentrieren. Der kurze Traum von den Möglichkeiten der freien Wirtschaft nähert sich seinem Ende.
R. Zorn erklärt: Vergesellschaftung sei nicht mehr als das Allheilmittel für eine bessere Zukunft der Gesellschaft zu betrachten. Um die Wirtschaft der Gesellschaft neu zu ordnen, dazu ist allein die Planung und Lenkung dieser Wirtschaft nötig. Für die Planung und Lenkung ist es aber völlig gleichgültig, ob ein Unternehmen in Gemeineigentum steht oder ob es Privaten gehört.
Zur Forderung der Zeit gehört nicht die Abschaffung der Lohnarbeit, sondern der gerechte Anteil der Arbeiter am Ertrag der Volkswirtschaft.
R, Zorn nennt vier Kernforderungen der Sozialdemokraten für die Neuordnung: Die Forderung eines gerechten Lohns und wirtschaftlicher Sicherheit; die Forderung der demokratischen Teilnahme an der politischen und wirtschaftlichen Macht; die Forderung der gleichen Chance für jedermann und die Forderung der Konsumfreiheit.
Die Neuordnung der Wirtschaft muß die uneingeschränkte Konkurrenzwirtschaft und die totale Planwirtschaft vermeiden. Nur die vernünftige Kombination beider Systeme ist ein geeignetes Ordnungsinstrument. Die Institution des Marktes bleibt auch weiter erhalten, gleichzeitig werden aber Direktiven für die Produktion und Verteilung gegeben werden, um die Schwankungen der freien Marktwirtschaft zu vermeiden. Die Kontrolle ist also ein wesentlicher Bestandteil der regulierten Marktwirtschaft.
Die SPD bekennt sich zu den Vereinigten Staaten von Europa.
Die SPD erwartet, daß die demokratischen Mächte nur einer Lösung des Berliner Konflikts zustimmen, die die Freiheit und Selbstverwaltung der Hauptstadt Deutschlands sichert.
Der Parteitag grüßt mit Stolz und Zuversicht die Genossen in der Sowjetzone und erklärt seine enge Verbundenheit mit ihrem bewunderungswürdigen Kampf um die Freiheit, soziale Gerechtigkeit und echte Demokratie. Das Wirken der Sozialdemokraten in der Sowjetzone ist ein entscheidender Beitrag zum Kampf um ein einheitliches, freies Deutschland.
Die SPD sieht in der von der Sowjetzone betriebenen Besatzungspolitik der wirtschaftlichen Ausbeutung und der politischen Unterdrückung keine Grundlage für eine demokratische und sozialistische Erneuerung Deutschlands.
Der Parteitag bekräftigt die Entscheidung des Parteivorstandes vom 16. Sept. 1947 über das Saargebiet. Der Parteivorstand wird beauftragt, alle geeigneten Schritte zu unternehmen, um die Verbindung des Saarlandes mit dem übrigen Deutschland wieder herzustellen.
Die SPD protestiert aufs neue gegen die unmenschlichen und völkerrechtswidrigen Massenaustreibungen aus den deutschen Ostgebieten.
Das Streben der SPD ist darauf gerichtet, den Flüchtlingen und Ausgebombten wirksame Hilfe zu verschaffen.
Die deutsche Demokratie darf nicht wieder gefährdet werden durch den politischen Mißbrauch wirtschaftlicher Macht, sie wird nur dann von der großen Mehrheit des Volkes als eine höhere Lebensform anerkannt, wenn sie zugleich die soziale Gerechtigkeit verwirklicht.
Die dauernde und erfolgreiche Behauptung der Demokratie gegen Herrschaftsansprüche des Großbesitzes oder Diktaturgelüste des Kommunismus wird nur möglich sein durch die Überführung des privaten Großbesitzes an Rohstoffen und Produktionsmitteln in den Besitz der Allgemeinheit.
Die SPD fordert erneut die sofortige und endgültige Einstellung der Demontagen.
Die Währungsreform hat die ungleiche Verteilung der Armut auf die einzelnen Volksschichten noch verschärft. Gegen die Wirtschaftspolitik des Wirtschaftsrates steht die Sozialdemokratie in Opposition. Sie begrüßt die Aktivität der Gewerkschaften gegen den Preiswucher und erwartet von allen Sozialdemokraten rückhaltlose Beteiligung in diesem Kampf.
In der positiven Abwehr der Gefahren, die sich aus der gegenwärtigen bürgerlichen Wirtschaftspolitik in Frankfurt ergeben, erstrebt die Sozialdemokratie die Verwirklichung folgender Forderungen:
Der Staat muß, unterstützt von Körperschaften, die aus Vertretern aller Wirtschaftskreise unter paritätischer Berücksichtigung der Arbeitnehmer gebildet werden, der Wirtschaft die Richtung weisen und sie steuern, wenn die Gesetze des Marktes und die Initiative frei wirtschaftender Menschen versagen oder zu volkswirtschaftlich unerwünschten Ergebnissen führen.
Mittel der Steuerung sind unter anderem Produktionslenkung, Lenkung des Arbeitseinsatzes und des beruflichen Nachwuchses, Preise, Löhne, Steuern, Investitionen, Geld- und Kreditpolitik, Außenhandel.
Bewirtschaftungsmaßnahmen sollen grundsätzlich nur zur Behebung von Notständen und zeitlich begrenzt ergriffen werden. Ein auskömmlicher Lebensstandard der schaffenden Menschen ist die eine Bedingung der vollen Produktionskraft. Die andere ist eine engere Verbindung zwischen Betriebsführung und Belegschaft durch ein auch auf wirtschaftliche Entscheidungen ausgedehntes Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer. Eine rationelle und wettbewerbsfähige Betriebsführung muß die gemeinsame Aufgabe von Unternehmer und Belegschaft sein.
Die Marktbeherrschung durch einzelne oder wenige Betriebe ist zu beseitigen. Wo die Wiederherstellung des freien Wettbewerbs unmöglich oder technisch rückschrittlich wäre, sind die Betriebe in Gemeineigentum zu überführen.
Private Kartelle und Syndikate sowie alle Preisverabredungen, die geeignet sind, den freien Wettbewerb einzuschränken, sind zu verbieten. Einrichtungen der genossenschaftlichen Selbsthilfe sind auf allen Gebieten der gewerblichen und landwirtschaftlichen Erzeugung und der Verteilung zu fördern.
In Vergleich zu den Selbstkosten ungerechtfertigte Preise sind bei Anerkennung echter Leistungsgewinne zu verhindern, alle volkswirtschaftlich unnötigen und preissteigernden Warenbewegungen sind zu verbieten.
Wettbewerbsfähige mittlere und kleine Produktionsstätten sind Großbetrieben grundsätzlich vorzuziehen.
Die Marktbeherrschung durch einzelne oder wenige Betriebe ist zu beseitigen. Wo die Wiederherstellung des freien Wettbewerbs unmöglich oder technisch rückschrittlich wäre, sind die Betriebe in Gemeineigentum zu überführen.
Einrichtungen der genossenschaftlichen Selbsthilfe sind auf allen Gebieten der gewerblichen und landwirtschaftlichen Erzeugung und der Verteilung zu fördern.
Die Durchführung des Grundsatzes voller staatsbürgerlicher Gleichberechtigung der Frau ist eine der vordringlichsten Aufgaben der SPD.
Das Verbot der politischen Betätigung von Beamten soll aufgehoben bzw. eingeschränkt werden.
Der Parteitag verabschiedet den Entwurf eines Sozialprogramms: Konsequente Sozialpolitik stößt gegen die Grenzen des kapitalistischen Profitsystems. Konsequente Sozialpolitik muß daher im demokratischen Sozialismus münden.
Jeder Arbeitsfähige hat die sittliche Pflicht zur Arbeit und einen Anspruch auf eine Erwerbsmöglichkeit. Arbeit darf nicht als Ware gewertet werden. Die Gesellschaft hat die Pflicht, jedem Arbeitswilligen ein menschenwürdiges Dasein unter ständiger Hebung des Lebensstandards zu ermöglichen.
Allein die sozialistische Wirtschaftspolitik schafft jedem Arbeitsfähigen einen dauernden Erwerb und gibt die Möglichkeit, Arbeitsbedingungen und Löhne fortschreitend zu verbessern.
Leben und Gesundheit aller Erwerbstätigen und ihrer Angehörigen müssen ausreichend geschützt sein.
Ein umfassender öffentlicher Gesundheitsdienst muß kostenlos zur Verfügung stehen. Mutter und Kind haben besonderen Anspruch auf Schutz und Förderung durch die Gesellschaft. Die Arbeit der Hausfrau ist wegen ihrer gesellschaftlichen Bedeutung der Erwerbstätigkeit gleichzuwerten. Die Sicherung der Hausfrau in der Sozialversicherung soll ohne zusätzliche Belastung der Versicherten durchgeführt werden.
Alle Volksschichten müssen im Verhältnis ihrer Mittel zu dieser Existenzsicherung beitragen.
Im Wohnungswesen darf für Profite kein Platz sein.
Die Mitbestimmung der Arbeitenden in der Betriebsleitung, ihre gleichberechtigte Mitarbeit bei der Anwendung der wirtschaftlichen und sozialen Gesetze müssen gesichert werden.
Die Betriebsvertretungen sollen in wirtschaftlichen, sozialen und personellen Fragen das Mitbestimmungsrecht erhalten.
Die SPD unterstützt unabhängige, parteipolitisch und religiös neutrale Gewerkschaften. Diese sind zur gleichberechtigten Mitbestimmung der sozialen und wirtschaftlichen Planung und Entwicklung berufen. Die Tarifautonomie und das Streikrecht der Gewerkschaften wird anerkannt. Aussperrungen sind gesetzwidrig. Für Schlichtungen sind staatliche Instanzen zu schaffen.
Für Frauen, Jugendliche und Männer muß bei gleicher Tätigkeit und gleicher Leistung die Entlohnung gleich sein.
Der Achtstundentag muß die gesetzliche Norm sein; die 40-Stunden-Woche ist anzustreben.
Der Parteivorstand wird verpflichtet, für die Koordinierung der sozialdemokratischen Partei in den einzelnen Ländern Deutschlands Sorge zu tragen. Die sozialdemokratischen Exponenten der deutschen Länderpolitik müssen Koordinierungsbeschlüsse und Richtlinien des Parteivorstandes und Parteiausschusses innehalten.
Der Parteivorstand soll eine Programmkommission einsetzen.
Bei der Wahl zum Parteivorstand werden von 366 stimmberechtigten Delegierten 357 gültige Stimmen abgegeben.
Es werden gewählt: zum Parteivorsitzenden K. Schumacher mit 356, zum stellvertretenden Parteivorsitzenden E. Ollenhauer mit 341, zu besoldeten Mitgliedern des Parteivorstandes Herta Gotthelf mit 341, A. Nau mit 339, F. Heine mit 331, E. Franke mit 309 und H. Kriedemann mit 240 Stimmen.
Von den weiteren Mitgliedern des Parteivorstandes erhalten Louise Schroeder 350, F. Neumann 350, A. Gayk 341, F. Bögler 339, W. v. Knoeringen 339, F. Henßler 334, E. Reuter 332, E. Gnoß 329, C. Schmid 329, Lisa Albrecht 327, W. Kaisen 322, W. Eichler 321, W. Menzel 318, W. Fischer 309, Anni Krahnstöver 307, E. Schoettle 309, K. Meitmann und W. Knothe 295, Elisabeth Selbert 293, E. Groß 277, R. Görlinger 268, V. Baur 243 und A. Grimme 239 Stimmen.
Für die Wahl zur Kontrollkommission erhalten bei 352 gültigen Stimmen G. Bradtke 349, A. Schönfelder 346, J. Steffan 346, F. Ulrich 346, H. Höcker 344, G. Richter 344, K. Seeser 344, Ch. Wittrock 343 und W. Damm 342 Stimmen.



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