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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
20. April 1977

Bei einer Debatte über die innere Sicherheit führt Bundeskanzler H. Schmidt im Bundestag u.a. aus: Es ist diese Suche nach dem rechten Maß, nach den adäquaten, den angemessenen rechtsstaatlichen Mitteln, die auch den Kampf der Bundesregierung gegen den Terrorismus seit Jahren kennzeichnet. Die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt gezögert, dem Bundestag Vorschläge zur Ergänzung oder Änderung von Gesetzen zu unterbreiten, wenn und soweit dies zur Verbesserung der Verbrechensbekämpfung notwendig oder geboten war. Sie hat auch vorgeschlagen, unter bestimmten Voraussetzungen den mündlichen Verkehr zwischen Häftlingen und ihren Verteidigern zu überwachen. Für meine Person vertrete ich diese Meinung heute noch. Das Parlament hat anders entschieden.
Die Bundesregierung bleibt dabei: Gegenüber Terroristen, die sich in bewußter Willensentscheidung aus Haß gegen unsere rechtsstaatliche Ordnung auflehnen, muß der strafrechtliche Grundgedanke der Abschreckung versagen. Ein Sonderprozeßrecht für Terroristen darf es nicht geben. Mit Gesetzgebung allein schaffen wir den Terrorismus nicht aus der Welt. Wir müssen ihm jeden geistigen Nährboden entziehen. Dazu ist es nötig, unseren Bürgern, zumal den jüngeren, die Einmaligkeit des liberalen Rechtsstaates in unserer nationalen Geschichte stärker erlebbar, stärker bewußt zu machen, als das bisher geschehen ist. Die Intellektuellen in unserer Gesellschaft sollten den politisch Verantwortlichen im Prozeß der Aufklärung solcher jungen Deutschen helfen, die noch ein unklares Urteil über Terroristen, über deren Motive und über deren scheinbare Rechtfertigung haben. Ich richte diesen Aufruf zumal an jene Universitätslehrer, Wissenschaftler, Philosophen, Schriftsteller, auf deren Stimme die junge Generation damals, in der zweiten Hälfte der 60er Jahre in der APO-Zeit so sehr gehört hat. Jene bedeutenden und einflußreichen Intellektuellen, die am Anfang viele junge Menschen mit ihren Vorstellungen beeindruckt haben und die sich dabei doch keinen Augenblick lang die Möglichkeit solcher schrecklicher Verbrechen vorgestellt haben, sollten ihre besondere Verpflichtung und Chance erkennen.
Neben der uneingeschränkten Bekämpfung des Terrorismus, muß auch die Meinungsfreiheit kämpferisch und entschlossen verteidigt werden und über jedem Zweifel klar sein, daß Kritik an den vielerlei Obrigkeiten nicht nur statthaft ist, sondern daß sie für jeden demokratischen Staat prinzipiell erwünscht ist. Solche Kritik freilich legitimiert sich allein durch das vorbehaltlose Bekenntnis zu diesem freiheitlichen Rechtsstaat unseres Grundgesetzes, der den Wettbewerb der Ideen und Argumente garantiert.



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net edition fes-library | Juni 2001