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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
18./20. März 1977

Auf dem Bundeskongreß der Jungsozialisten in Hamburg nennt die Vorsitzende Heidemarie Wieczorek-Zeul die Politik der Bonner Regierungs-Koalition programmatisch bodenlos. Die SPD habe zugelassen, daß die Arbeiterklasse einfach ausgeschaltet wird. Die Partei muß sich in Zukunft stärker zu den Gewerkschaften hinwenden. Viele können sich in dieser Partei nicht mehr zu Hause fühlen. Heidemarie Wieczorek-Zeul wendet sich scharf gegen die »Maulkorb-Richtlinien« für die Arbeitsgemeinschaften: Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen. Man werde jetzt in die Offensive gehen, da sich das lange Warten auf die staatsfixierte, apathische Partei nicht lohne. Die Zukunft der Jungsozialisten könne aber nur in einer Fortsetzung der kritischen Partnerschaft mit der Partei liegen. Sie kritisiert aber auch den derzeitigen Zustand der Jungsozialisten, bei denen es nur noch um interne Machtauseinandersetzungen gehe.
Die Jungsozialisten protestieren, unterstützt vom anwesenden Bundesgeschäftsführer der SPD, E. Bahr, gegen die Abhöraktion. E. Bahr erklärt: Der abwehrbereite und zur Abwehr fähige Staat könne das Vertrauen der Bürger nur auf der Basis des Rechts erhalten. Die Jungsozialisten fordern eine öffentliche Untersuchung der Abhöraffäre und der Aktionen der Geheimdienste auf ihre Gesetzmäßigkeit.
Der Bundeskongreß bekräftigt noch einmal die grundsätzliche Forderung der Jungsozialisten nach einer uneingeschränkten Abschaffung der Einvernehmensrichtlinien und aller damit verbundenen administrativen Eingriffe in die Arbeit der Jungsozialisten.
Auf unterschiedlichen Ebenen der Partei wurde in den vergangenen Jahren versucht, Aktivitäten von Jungsozialisten zu behindern oder gar völlig lahmzulegen. Anstelle des notwendigen und von den Jungsozialisten gewünschten politischen Dialogs zwischen der Gesamtpartei und den Jungsozialisten trat vielfach kleinkarierter Bürokratismus, der die auch im Interesse der SPD liegende Zielgruppenarbeit der Jungsozialisten im Bereich der arbeitenden und lernenden Jugend erheblich beeinträchtigt hat. Die Einvernehmensrichtlinien befinden sich im Widerspruch zu grundlegenden Normen der innerparteilichen Demokratie, die gerade von einem umfassenden Willensbildungsprozeß innerhalb der Partei ausgehen. Die Jungsozialisten werden sich auch in Zukunft nicht davon abbringen lassen, sozialistische, an den Interessen der Lohnabhängigen anknüpfende Alternativen zur gegenwärtigen sozialpartnerschaftlichen Realpolitik in die SPD einzubringen. Der Abbau der innerparteilichen Kommunikation durch Zensur von Parteigliederungen, ungerechtfertigte Parteiausschlüsse, das Verbot von Broschüren, Versuche, die Altersstruktur zu verändern sind nur einige Beispiele, an Hand derer die Diskussion verhindert werden sollte.
Der Bundeskongreß unterstützt den Aufruf des »Komitees für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit« und ruft alle Untergliederungen auf, sich an den Demonstrationen am 21. und 22. Mai zu beteiligen. Geschäftsgrundlage für eine Beteiligung auf gleichberechtigter Basis von Jungsozialisten ist dabei, daß Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung der Kampagne gewährleistet ist; daß Jungsozialisten an der organisatorischen Vorbereitung und Durchführung ausreichend beteiligt sind; daß Jusos im Rahmen der Aktionen ihre Position z.B. durch eigene Redebeiträge ungeschmälert einbringen können und zukünftig die Jusos auch frühzeitig an der Formulierung der Aufrufe beteiligt werden. Die Jungsozialisten werden weiterhin versuchen, ein gemeinsames Vorgehen, insbesondere mit der DGB-Jugend und den Falken zu erreichen, weil nur so die Beteiligung der wichtigsten fortschrittlichen Jugendorganisationen der Bundesrepublik erreicht werden kann.
Der Bundeskongreß solidarisiert sich mit den am 19. März 1977 in Grohnde demonstrierenden Bürgerinitiativen und Kernkraftgegnern und deren Forderungen nach sofortiger Einstellung aller Bauarbeiten, Baustopp aller geplanten bzw. im Bau befindlichen Kernkraftwerke, einer Wiederaufbereitungsanlage, Aufstellung eines neuen Energiebedarfsplanes und des Einsatzes und der Erforschung alternativer Energiequellen.
Der Bundeskongreß verurteilt den Einsatz von zirka 4000 Polizei-und »Sicherheits«-Kräften, deren Einsatz die Gefahr von Provokationen und Eskalation der Auseinandersetzung heraufbeschwört und dazu dient, die Atomkraftwerksgegner in den Bereich von Kriminellen bzw. Chaoten zu drängen.
K.-U. Benneter, ein Vertreter des sog. Stamokap-Flügels, wird mit 149 gegen 145 Stimmen für O. Schreiner zum neuen Vorsitzenden der Jungsozialisten gewählt.



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net edition fes-library | Juni 2001