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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
Juli 1945

K. Schumacher nimmt bei einer Reise nach Frankfurt a. M., Mannheim und Stuttgart, Verbindung zu den dort entstehenden Parteiorganisationen auf.

In einem Aufruf »Konsequenzen zur deutschen Politik« erklärt K. Schumacher:
Die Deutschen stehen in der schwersten Periode ihrer Geschichte. Es ist an der Zeit, dem deutschen Volk klarzumachen, daß es jetzt die unabwendbaren Folgen dessen erlebt, was es zu seinen großen Teilen selbst verschuldet hat.
Der Wille zur Demokratie lebt in großen Teilen des Volkes. Es ist eine Lebensfrage für Deutschland, daß es gelingt, die aufbauwilligen und in ihrer politischen Moral intakten Kräfte zu sammeln. Die Sozialdemokratische Partei kann und will nicht behaupten, daß ihr Kampf um die Gestaltung der Weimarer Republik in den Jahren 1918 bis 1933 ohne Fehler und personelle Versager gewesen ist.
Wenn die Sozialdemokratie jetzt den Anspruch auf die Führung beim Neubau des deutschen Staatswesens erhebt, dann tut sie das nicht aus einem selbstsüchtigen Parteimotiv. Sie denkt nicht daran, auch nur den Versuch zu machen, andere unbelastete und aufbauwillige Kräfte in Deutschland von dem Recht auf Mitgestaltung auszuschließen. Sie will aber eine klare Entscheidung darüber, ob wir in Deutschland einen Neubau oder einen Wiederaufbau vornehmen wollen.
Das Volk empfindet die Sozialdemokratie als den eigentlichen Gegenpol des Nazismus. Die KP ist in ihrer politischen Theorie und Praxis ebenso vollständig zusammengebrochen wie das Nazitum und der Militarismus.
Die Sozialdemokratie hat keine Veranlassung, für den geschwächten Parteikörper der KP den Blutspender abzugeben und auf irgendeinen Annäherungsversuch auch nur andeutungsweise einzugehen.
Genauso wie die Sozialdemokratie im Innern selbständig ist, bleibt sie unabhängig gegenüber den ausländischen Faktoren.
Sie ist nicht russisch und nicht britisch, nicht französisch und nicht amerikanisch, sondern die Vertretung des neuen Deutschlands.
Der Sinn der sozialdemokratischen Politik liegt darin, den Menschen ökonomisch zu befreien, um ihm die Voraussetzungen für die politische und moralische Freiheit zu schaffen.
Auf der Tagesordnung steht heute als der entscheidende Punkt die Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung und die Überführung der Produktionsmittel aus der Hand der großen Besitzenden in gesellschaftliches Eigentum, die Lenkung der gesamten Wirtschaft nicht nach privaten Profitinteressen, sondern nach den Grundsätzen volkswirtschaftlich notwendiger Planung.
Wie früher ist das Eigentum des kleinen und mittleren Besitzes von der Sozialdemokratie nicht bedroht.
Das Monopolkapital hat Hitler zur Macht verholfen, und in seinem Auftrag hat er den großen Raubkrieg gegen Europa vorbereitet und geführt. Solange es in Deutschland möglich ist, daß sich große Vermögen in der Hand verantwortungsloser Privater sammeln können, ist die Demokratie nicht gesichert.
Die Demokratie ist erst in einem sozialistischen Deutschland gesichert. Die deutsche Zukunft hängt davon ab, wie sich der Mittelstand zur Sozialdemokratie stellt. Der Kampf um die Gewinnung des Mittelstandes ist schwer, denn seine Angehörigen sind durch Angst um den Besitz verwirrt und durch nationalistische und militaristische Ideen traditionell gebunden.
Das Eigentum des selbstwirtschaftenden Bauern an Grund, Boden und Betriebseinrichtungen bleibt unangetastet. Großbetriebe sind vom Staat zu übernehmen und, soweit sie nicht für Zwecke der bäuerlichen Siedlung verwandt werden, genossenschaftlich zu bewirtschaften.
Da alle Deutschen den Verlust des Krieges zu tragen haben, muß ein Lastenausgleich durchgeführt werden.
In der Sozialdemokratie werden sich viele Menschen aus den verschiedenen geistigen, sittlichen und politischen Motiven zusammenfinden. Es ist gleichgültig, ob jemand durch die Methoden marxistischer Wirtschaftsanalyse, ob er aus philosophischen oder ethischen Gründen, oder ob er aus dem Geist der Bergpredigt Sozialdemokrat geworden ist. Jeder hat für die Behauptung seiner geistigen Persönlichkeit und für die Verkündung seines Motivs, das gleiche Recht in der Partei.
Die Sozialdemokratie ist gegenüber jeder Kirche und Weltanschauung neutral und unabhängig.
Ein so großes Volk ist ohne nationale Einheit und als bloßes Objekt der verschiedenartigsten fremden politischen Einflüsse ein Herd der Fäulnis und Zersetzung.
Die Sozialdemokratie kann sich Deutschland überhaupt nur als einen Bestandteil Europas denken.



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net edition fes-library | Juni 2001