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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
17./18. Dez. 1971

Der Außerordentliche Parteitag der SPD wird in Bonn-Bad Godesberg mit 320 Delegierten fortgesetzt. Tagesordnung: Reform der Parteiorganisation (H. Wehner).
Neben dem Entwurf einer Reformkommission liegen dem Parteitag 296 Anträge vor. Vor allem soll die Arbeitsfähigkeit der Parteitage durch eine Eindämmung der stark gewachsenen Antragsflut gesichert und die Rolle der Arbeitsgemeinschaften in der Partei klarer definiert werden, besonders die der Jungsozialisten.
Ein Teil der vorgeschlagenen Statutenänderungen, vor allem schärfere Disziplinarvorschriften, erhalten nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit.
Anträge der Jungsozialisten, als selbständige Unterorganisation mit eigener Satzung und mit eigener Wertung in den Parteigremien anerkannt zu werden, werden von der Mehrheit der Delegierten abgelehnt.
Der Parteitag stimmt zunächst der Änderung des Organisationsstatuts nicht zu, nach der künftig nicht nur derjenige aus der Partei ausgeschlossen wird, der in einer anderen Partei Mitglied ist, für sie tätig ist oder kandidiert, sondern auch schon bei Unterstützung einer anderen Partei. Erst am folgenden Tag kommt es zu einer Einigung, als der Parteitag nahezu einstimmig beschließt: Unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der SPD ist die gleichzeitige Mitgliedschaft in sowie die Tätigkeit oder Kandidatur für eine andere politische Partei. Entsprechendes gilt für Vereinigungen, die gegen die SPD wirken. Die Feststellung der Unvereinbarkeit trifft der Parteivorstand im Benehmen mit dem Parteirat. Er kann die Feststellung wieder aufheben. Diese Feststellung bindet auch die Schiedskommission. W. Brandt weist darauf hin, daß eine Ablehnung den Eindruck hervorrufe, daß die Unterstützung einer anderen Partei statthaft sei. Nach der Abstimmung werden auf Antrag des Vorsitzenden der Jungsozialisten, K. Voigt, die Anträge, die sich mit den Arbeitsgemeinschaften befassen, an den Parteivorstand überwiesen. Diese Anträge behandeln die für die Jungsozialisten wichtigen Fragen der Neufestsetzung der oberen Altersgrenze für Mitglieder; des Problems der Finanzhoheit; der Aufnahme von Nichtparteimitgliedern sowie der Neuregelung der Zugehörigkeit zu Arbeitsgemeinschaften.
Das Eintrittsalter in die Partei wird auf 16 Jahre festgesetzt. In Bundesländern mit mehreren Parteibezirken können Landesverbände gebildet werden, wenn alle Bezirke des Landes zustimmen.
Die Mitglieder der Kontrollkommission haben künftig auf den Parteitagen kein Stimmrecht mehr.
Die Schiedskommissionen bei den Unterbezirken, den Bezirken und dem Parteivorstand sind zuständig bei Entscheidungen in Parteiordnungsverfahren, Streitigkeiten über die Anwendung und Auslegung des Organisationsstatuts und der Satzungen, der Grundsätze und Arbeitsrichtlinien der Arbeitsgemeinschaften sowie den Verfahren bei Wahlanfechtung oder Nichtigkeit von Wahlen. Gegen ein Mitglied, das durch beharrliches Zuwiderhandeln gegen Beschlüsse des Parteitages oder der Parteiorganisation das Parteiinteresse schädigt oder sich einer ehrlosen Handlung oder eines groben Verstoßes gegen die Grundsätze der Partei schuldig macht, ist ein Verfahren durchzuführen. Die Zahl der Delegierten auf Parteitagen wird auf 400 erhöht. Den Ortsvereinen das Antragsrecht zu den Parteitagen zu entziehen, und das Präsidium der Partei vom Parteitag wählen zu lassen, wird abgelehnt.
Das Kontrollrecht des Parteivorstandes wird auf die Arbeitsgemeinschaften ausgedehnt.
Für die Parteimitglieder soll künftig eine Monatszeitschrift auf Bundesebene herausgegeben werden.
Die Beitragssätze werden erheblich erhöht.
Der Parteitag stellt fest: Bis zur Verabschiedung eines neuen Grundsatzprogramms ist das Parteiprogramm von Godesberg alleinige Richtschnur sozialdemokratischer Politik. Eine Verletzung der Prinzipien dieses Programms kann nicht hingenommen werden, gleichgültig, von welcher Person, Gruppe oder Richtung innerhalb der Partei dies versucht wird. Der Parteitag bekräftigt in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Feststellung vom 26. Februar 1971: Wer das Godesberger Programm nicht als verbindlich anerkennt, kann nicht Mitglied der SPD sein.
Der Parteivorstand wird aufgefordert, die innerparteiliche politische Bildung zu intensivieren und eine Kommission für politische Bildung einzuberufen.
Der Bundesgeschäftsführer der SPD, H.-J. Wischnewski, ersucht den Parteitag, das Amt des Bundesgeschäftsführers durch Direktwahl zu besetzen. Der Antrag erhält mit 165 Ja- gegen 122 Nein-Stimmen nicht die satzungsgemäße 2/3 Mehrheit und ist damit abgelehnt. Daraufhin erklärt H.-J. Wischnewski seinen Rücktritt.



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net edition fes-library | Juni 2001