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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
18./20. Nov. 1971

Außerordentlicher Parteitag der SPD in Bonn-Bad Godesberg. 337 Delegierte sind anwesend.
Tagesordnung: Politische Aufgaben nach der Halbzeit (W. Brandt); Wirtschafts- und Finanzpolitik im internationalen Spannungsfeld (K. Schiller); Zwischenbericht über die Arbeit der Langzeitkommission (H. Schmidt); Bericht über die Beratungsergebnisse Steuerreform und Vermögensbildung (E. Schumann, E. Eppler, G. Leber).
Bundeskanzler W. Brandt fordert Standfestigkeit und Selbstbewußtsein für die noch härter werdenden Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner. Demokratischer Sozialismus sei zu verstehen als die dauernde Aufgabe, Freiheit und Gerechtigkeit zu erkämpfen, sie zu bewahren und sich in ihnen zu bewähren. Die SPD soll die Arbeit an den Grundwerten des Godesberger Programms wieder beleben und vertiefen; seine Aufforderung, mehr Demokratie zu wagen, bedeute vor allem, gegen die Zügellosigkeit bei der rücksichtslosen Vertretung von Gruppeninteressen Gegengewichte zu schaffen. Den Gewalttätigkeiten extremer Gruppen jeder Provenienz müsse entschlossen begegnet werden. Die SPD heißt Großbritannien in dem Europa der zu erweiternden Europäischen Gemeinschaft herzlich willkommen; als Beitrag zur Entspannung in Europa muß die Berlin-Regelung in Kraft treten und müssen die Verträge von Moskau und Warschau ratifiziert werden. Die Bundesrepublik ist keine Weltmacht, aber sie steht gegenüber der Atlantischen Allianz zu den Pflichten, die sich aus politischer Moral und industriellem Potential ergeben. Die SPD brauche niemand zu belehren; die ideologischen und prinzipiellen Gegensätze zum Kommunismus bestünden weiter.
W. Brandt betont seine Bereitschaft zum nationalen Miteinander bei allem sachlichen Gegensatz. Im Bundestag sollten alle Fraktionen in einer gemeinsamen Erklärung festhalten, welche Zielsetzungen nicht umstritten sind. Die aktuellen Probleme und Schwierigkeiten nehme ich nicht auf die leichte Schulter. Die Preissteigerungen liegen viel zu hoch. Die Abkühlung der Konjunktur führt zu Umstellungen, von denen manche nicht nur ungewohnt, sondern auch schmerzhaft sein werden. Die internationale Währungskrise konfrontiert uns mit beschwerlichen Ungewißheiten. Ich bin dagegen, die Lage zu verniedlichen. Ich wende mich an alle verantwortungsbewußten Kräfte, damit wir der Schwierigkeiten Herr werden. Aber unser Volk weiß, wie es in der Welt um uns herum aussieht. Es weiß, daß die D-Mark eine der härtesten Währungen der Welt ist; daß die Preise in vielen Ländern höher liegen als bei uns; daß viele andere Länder außerdem hohe Arbeitslosenziffern haben; daß bei mehr als zwei Millionen Gastarbeitern von Unterbeschäftigung keine Rede sein kann; daß es bei uns in den letzten zwei Jahren die höchsten Steigerungen der Realeinkommen in der ganzen Nachkriegszeit gegeben hat; daß die Exportziffern trotz verständlicher Klagen insgesamt gut sind und daß unsere Volkswirtschaft über starke innere Reserven verfügt. Wer aus partei- oder gruppenegoistischen Interessen Unsicherheit und Angst verbreitet, der handelt verantwortungslos.
Arbeitslosigkeit ist für uns kein Instrument der Konjunkturpolitik und kein Knüppel, um damit den Gewerkschaften zu drohen. Die Regierung hat niemanden im Zweifel darüber gelassen, daß hohe Lohnsteigerungen gegenwärtig gesamtwirtschaftlich nicht zu verkraften sind. Sie hat andererseits die Tarifautonomie ernst genommen und sich in die laufenden Lohnbewegungen nicht eingemischt. Deshalb sage ich: überzogene Ankündigungen hoher Steuern bringen kein Geld, weil sie sich nicht durchsetzen lassen und weil sie außerdem noch Vertrauen kosten könnten.
W. Brandt betont, die SPD tritt auch weiter für eine funktionstüchtige Marktwirtschaft ein. Ebenso klar soll auch sein, daß die Sozialdemokraten den Wirtschaftsprozeß nicht als etwas betrachten, was man von sozialen Inhalten und gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen abstrahieren könnte. Die Wirtschaft ist kein Naturschutzpark für die oberen Zehntausend, zu dem das Volk keinen Zugang und in dem alles unverändert zu bleiben hat.
W. Brandt weist vor dem Parteitag noch einmal darauf hin, daß die Regierungsmitglieder nicht in der Lage sind, alle Beschlüsse der Delegierten in die Tat umzusetzen. Wir können doch nicht bestimmen, was W. Scheel und seine FDP-Minister im Kabinett zu beschließen haben, mahnt der Parteivorsitzende. Alles, was geschehen soll, müsse mit dem Grundgesetz vereinbar sein. Als Bundeskanzler sei er »nicht ein einfaches Vollzugsorgan eines noch so wichtigen Parteitages«. Der Kongreß habe die Verantwortung für die programmatische Zielsetzung der SPD, betont W. Brandt. Er selbst trage die Verantwortung als Kanzler der Bundesrepublik von der er nichts abtreten könne.
H. Schmidt weist in seiner Rede darauf hin, daß es der Zweck des Langzeitprogramms sei, Orientierungsdaten aufzuzeigen, die von den konkurrierenden Ansprüchen zu den verschiedenen Bereichen der öffentlichen Fürsorge beachtet werden müßten. Der quantitative Rahmen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit spiegelt die Tatsache wider, daß die Leistungsfaktoren unserer Gesellschaft, gemessen an den bestehenden Aufgaben, knapp sind. Jede auf längere Sicht angelegte Projektion der Gemeinschaftsbedürfnisse muß daher zu der Forderung führen, den Staat finanziell und auch hinsichtlich der von ihm beschäftigten Arbeitskräfte besser auszustatten.
Bei der Begründung der Vorschläge zur Steuerreform erklärt E. Eppler, die Qualität des Lebens hängt zunehmend weniger vom Zuwachs des privaten Konsums, sondern immer mehr von den Leistungen und Investitionen der öffentlichen Haushalte ab. Die Einnahmen des Staates müssen rascher steigen als der private Verbrauch.
Die Steuern auf hohe Einkommen und große Vermögen sind zu erhöhen, weil nur bei einigermaßen gerechter Verteilung der Lasten geleistet werden kann, was geleistet werden muß. Es gibt aber auch gar nicht genug Reiche, als daß sie alle Investitionen mit ihren Steuern bezahlen können. Aber es gibt noch zu viele, die anderen das Steuerzahlen verleiden können.
Keine moderne Industriegesellschaft komme ohne ein hohes Aufkommen aus Verbrauchssteuern aus. Trotzdem dürfe auf absehbare Zeit der Schwerpunkt nicht von den direkten auf die indirekten Steuern verlagert werden. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sollte erst erwogen werden, wenn alle anderen Steuerquellen ausgeschöpft seien und das Interesse der Gesellschaft dies erfordere. Umschichtungen in der Vermögensstruktur seien nur beschränkt über die Steuerpolitik möglich, zumal die Abwälzung bei keiner Steuer ganz auszuschalten sei. Dies bedeute zugleich, daß die Vermögensbildung nur greift, wenn sie nicht durch zusätzliche steuerliche Belastungen finanziert wird, sondern unmittelbar Anteile am Produktivvermögen in Arbeitnehmerhand überführt. Vermögensabgaben, die sich nicht auf die Liquidität der Betriebe auszuwirken brauchten und deren Aufkommen der Wirtschaft nach wie vor zu Investitionen zur Verfügung stünden, können daher ein höheres Ausmaß erreichen als die Belastung durch Körperschafts- und Einkommensteuer. Steuerpolitik sei immer auch Gesellschaftspolitik gewesen. Das Steuerrecht sei der Ausdruck der Interessen, die in der Politik wirksam seien.
Zur Frage der Steuerreform liegen 696 Anträge vor. Bei einigen dieser Anträge kommt es zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen zahlreichen Delegierten und dem Parteivorstand, so daß eine ganze Reihe von im Sinne der Bundesregierung formulierten Vorschläge des Parteivorstandes vom Parteitag abgelehnt und durch zum Teil wesentlich radikalere Anträge ersetzt werden. Der Parteitag beschließt einen umfangreichen Katalog für eine Steuerreform, der u.a. folgende Forderungen enthält:
Der Grundfreibetrag soll von derzeit 1680 auf 2024 DM erhöht werden. Es schließt sich eine proportionale Besteuerungszone (Steuersatz 20 Prozent, zur Zeit 18 Prozent) bis zu einem Einkommen von 12 000 DM für Ledige bzw. 24 000 DM für Verheiratete (zur Zeit 8000 bzw. 16 000 DM) an. Dann beginnt der Progressionstarif. Die Steuerprogression soll bis 60 Prozent bei einem Einkommen von 200 000 DM für Verheiratete steigen (vorgeschlagen waren 56 Prozent); der Arbeitnehmerfreibetrag soll verdoppelt, der Weihnachtsfreibetrag erhöht werden; die Steuervorteile beim Ehegatten-Splitting werden nur noch bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze aufrechterhalten. Die Vorschläge sehen weiter vor: keine Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen und der Vermögensteuer; Ersetzung der steuerlichen Kinderfreibeträge durch ein gestaffeltes Kindergeld; Vereinfachung des Lohnsteuerverfahrens; Steuerpflichtigkeit der Diäten; keine Abzugsfähigkeit von Bewirtungsspesen; Beseitigung der degressiven Abschreibung bei Abnutzung von Gebäuden; Geltung der Sonderabschreibung nur für eigengenutzte Häuser; Besteuerung der Gewinne aus der Veräußerung wesentlicher Beteiligungen an Kapitalgesellschaften; Verbot einer Einführung eines Verlustrücktrages; Schaffung eines einheitlichen Sparprämiengesetzes; keine Präferenz des Bausparens; alle Freibeträge, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen sollen nicht mehr vom Einkommen, sondern nur noch mit 20 Prozent von der Steuerschuld abgezogen werden; der Steuersatz bei der Vermögensteuer soll 1 v.H. betragen (vorgeschlagen waren 0,8 Prozent), der Freibetrag auf 60 000 DM erhöht werden.
Über die Höhe der Körperschaftsteuer kommt es zu langen Diskussionen: W. Brandt warnt die Befürworter einer erheblichen Erhöhung: Wir müssen die Kuh für eine ganze Menge von Dingen, die wir uns vorgenommen haben, melken. D.h. die Kuh muß in guter Verfassung gehalten werden und, was noch wichtiger ist, wir müssen dafür sorgen, daß sie auf der Weide oder im Stall bleibt und nicht woanders landet. J. Steffen antwortet darauf, wenn wir unter den gegebenen Bedingungen strukturverändernde Politik machen wollen, dann müssen wir auch den Mut haben, die Grenzen der Belastbarkeit zu erproben. H. Wehner weist darauf hin, daß gesellschaftspolitisch progressiv gemeinte Beschlüsse der politischen Rechten in die Hände arbeiten, obwohl das Gegenteil beabsichtigt ist. Es kommt weniger darauf an, was wirklich die Belastbarkeit ist, als darauf, ob der Vorwand ausreicht, für den Gegenstoß der Rechten und für die Umverlagerung von Unternehmen im Rahmen der EWG. Der Parteitag stimmt schließlich mit Mehrheit für eine Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes auf 56 Prozent (zur Zeit 52 Prozent).
Die Grundsteuer soll auf lange Sicht auf der Basis zeitnaher Werte berechnet werden - jetzt zum 1,4fachen Wert der Einheitswerte von 1964. Ferner wird beschlossen: Besteuerung des realisierten und nicht realisierten Wertzuwachses beim Grund und Boden; Beibehaltung der Gewerbesteuer; Erhebung der Kraftfahrzeugsteuer unter Zugrundelegung der PS-Zahl in vier Steuerklassen; Beibehaltung der Kilometerpauschale; die Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel sollen gleichgestellt werden; das Steuerrecht ist in verstärktem Maße für die Bekämpfung der Umweltverschmutzung einzusetzen; Erhöhung der Branntwein-, Tabak- und Mineralölsteuer; Befreiung der Schriftsteller und der öffentlichen Nahverkehrsbetriebe von der Umsatzsteuer.
Den Delegierten ist die Vorlage des Parteivorstandes über die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen für eine Beschlußfassung nicht genügend ausgereift.
Der Parteivorstand wird aufgefordert, einen neuen umfassenden Vorschlag zum Thema Vermögensbildung durch eine Kommission erarbeiten zu lassen.
Die Delegierten lehnen mit 155 zu 135 Stimmen ab, die Empfehlung der Medienkommission des Parteivorstandes zur Grundlage der Diskussion zu machen, sondern stimmen für einen Antrag des Bezirks Hessen-Süd, der einen Passus über die Entflechtung von Presseunternehmen enthält, deren Marktanteile die Meinungs- und Informationsfreiheit gefährden.
Der Parteitag ist der Auffassung, das Grundrecht der Meinungs- und Informationsfreiheit wird seit Jahren durch eine fortschreitende Konzentration im Pressewesen und durch Versuche, private Rundfunk- und Fernsehanstalten zu gründen und für kommerzielle und politische Zwecke zu nutzen, eingeschränkt.
Die unterschiedliche Organisations- und Finanzierungsform beider Medien muß erhalten bleiben: die privatrechtlich organisierte Presse einerseits und das öffentlich-rechtliche Rundfunkwesen andererseits. Die Unabhängigkeit der journalistischen Arbeit muß institutionell gesichert werden; der Verleger darf nur wegen seiner Haftung in die Redaktionsarbeit eingreifen. Den Redakteuren sind spezifische Mitbestimmungsrechte einzuräumen. Die Mitbestimmung in Tendenzbetrieben ist auszuweiten. Die Verleger von Zeitungen und Zeitschriften müssen verpflichtet werden, die publizistische Haltung ihrer Presseerzeugnisse zum Bestandteil der Anstellungsverträge ihrer Mitarbeiter zu machen.
Kein Redakteur darf gezwungen werden, etwas gegen seine Überzeugung zu schreiben oder presserechtlich verantworten zu müssen. Redaktionsmitglieder und ständige Mitarbeiter einer Zeitung wählen einen Redaktionsrat. Dieser hat bei der Ernennung des Chefredakteurs ein Vorschlagsrecht. Die Mehrheit der Delegierten des Parteitages lehnt die Zustimmung des Redaktionsrates bei der Einstellung eines Chefredakteurs ab, der Rat muß aber bei der Abberufung des Chefredakteurs zustimmen. Der Redaktionsrat soll nur bei Versetzungen und Entlassungen, nicht bei der Einstellung von Redakteuren ein Mitbestimmungsrecht haben. Redaktionsstatute müssen Bestandteil des Arbeitsvertrages, das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten und Verleger muß auch in der Strafprozeßordnung abgesichert werden. Um eine größere Mobilität der Journalisten zu gewährleisten, ist ein einheitliches Versorgungswerk für den gesamten Medienbereich zu schaffen.
Wirtschaftliche und publizistische Macht ist zu kontrollieren und zu begrenzen, um Meinungsvielfalt im Pressewesen zu erhalten. Unternehmenszusammenschlüsse von Zeitungs- oder Zeitschriftenverlagen unterliegen der Meldepflicht. Die Entflechtung von Presseunternehmen, deren Marktanteile die Meinungs- und Informationsfreiheit gefährden oder beeinträchtigen, wird mit 153 gegen 125 Stimmen abgelehnt. Abgelehnt wird auch die Einführung einer Anzeigensteuer, deren Aufkommen zur Unterstützung kleiner und wirtschaftlich schwacher Presseorgane verwendet werden soll. Das publizistische Gleichgewicht im regionalen und lokalen Bereich kann durch zeitliche Ausweitung, regional und lokal gezielte Streuung von Hörfunk und Fernsehsendungen erhalten, die wirtschaftliche Lage der Zeitungen darf nicht durch Inanspruchnahme lokaler und regionaler Werbekapazität für Hörfunk- und Fernsehprogramme gefährdet werden. In den kommenden Jahren wird der Ausbau des Kabelnetzes neue Möglichkeiten für lokale Kommunikation bringen. Im Rundfunkprogramm muß der hierarchische Aufbau im Redaktionsbereich durch Formen des Kollegialprinzips ersetzt und das Weisungsrecht des Intendanten eingeschränkt werden. Für den Bereich der neu entstehenden Kassettenproduktion sind den privaten Interessen öffentliche und gemeinnützige Formen zu gewährleisten. Bei audio-visuellen Aufzeichnungs- und Wiedergabesystemen (z.B. Video-Kassette und Bildplatte) ist Mißbrauch publizistischer und wirtschaftlicher Macht auszuschließen. Eine Beteiligung der Bundesrepublik an der Planung und am Betrieb zukünftiger Verteiler- und Sendesatelliten ist sicherzustellen. Die Filmförderung ist zu ändern und zu ergänzen. Eine Bundeskommission für das Kommunikationswesen soll darüber wachen, daß der freie Fluß der Informationen nicht durch den Mißbrauch publizistischer und wirtschaftlicher Macht gehindert werden kann. Der Staat darf nur eingreifen, um die Bürger gegen die Einschränkung ihrer Informations- und Meinungsfreiheit zu schützen. Keine staatliche Institution hat darüber zu befinden, was gute oder schlechte Presse ist und ob die jeweilige Zeitung eine »öffentliche Aufgabe« erfüllt oder nicht. Diese Entschließung ist Grundlage der sozialdemokratischen Kommunikationspolitik und verpflichtet alle Sozialdemokraten, die Verantwortung im Bereich der Massenmedien zu tragen.
Der Parteitag nimmt zur Kenntnis, daß der Parteivorstand Schritte eingeleitet hat, die zu einer wirtschaftlich erfolgreichen Zusammenfassung der der SPD nahestehenden Druckereien und Verlage führt. Der Parteitag erwartet, daß im Rahmen dieser gemeinwirtschaftlichen Verlagsgruppe neue Aktivitäten im Massenmediengeschäft entwickelt werden.
Der Parteitag stellt fest: Jeder Schwangerschaftsabbruch wirft ernste Probleme auf. Er ist ein Eingriff in werdendes menschliches Leben und in die seelische und körperliche Integrität der Frau; er belastet den Arzt mit einer ernsten sittlichen Entscheidung. Staat und Gesellschaft sind daher aufgefordert, darauf hinzuwirken, daß Schwangerschaftsabbrüche möglichst unterbleiben. Insbesondere ist dafür Sorge zu tragen, daß jedermann Gelegenheit hat, von den Möglichkeiten zur Verhinderung ungewollter Schwangerschaft in freier Selbstbestimmung Gebrauch zu machen. Hierzu ist erforderlich, sachkundige und verantwortungsbewußte Sexualerziehung in allen Schulen, die auch gründliche Informationen über die Schwangerschaftsverhütung einbezieht.
Das geltende Recht ist nach folgenden Grundsätzen zu ändern: Ein Schwangerschaftsabbruch ist straffrei bis zum Ende des dritten Monats, wenn er mit Zustimmung der Frau von einem Arzt vorgenommen wird. Nach Ablauf der ersten drei Monate darf die Schwangerschaft nur noch unterbrochen werden, wenn ernste Gefahr für Leben oder Gesundheit der Mutter besteht (medizinische Indikation) oder wenn mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß das Kind mit schweren und dauernden geistigen oder körperlichen Schäden geboren werden wird (kindliche Indikation). Die Zustimmung der Frau ist erforderlich. Die medizinischen Voraussetzungen sind durch ärztliche Gutachter festzustellen. Der Arzt soll die Frau in allen die Schwangerschaft und den Schwangerschaftsabbruch betreffenden Fragen beraten. Kein Arzt ist zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs verpflichtet. Für jeden Sozialdemokraten ist es selbstverständlich, daß jede Stellungnahme zu diesen Problemen auf einer Gewissensentscheidung beruht.
Diese Entschließung wird gegen 16 Stimmen (u.a. E. Eppler und D. Posser) und 15 Enthaltungen (u.a. W. Brandt, H. Wehner und H.-J. Wischnewski) angenommen.
Der Parteivorstand und die Bundestagsfraktion werden aufgefordert, die Verstärkung der kommunalen Finanzkraft zu einem zentralen Programmpunkt sozialdemokratischer Reformpolitik zu machen. Die weitere Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung muß bereits mit der laufenden Steuerreform eingeleitet werden.



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