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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
13./15. Nov. 1967

In Bad Godesberg beraten 870 Teilnehmer auf einer Bundeskonferenz der SPD das Thema »Die Sozialdemokraten in der Regierungsverantwortung«. Die Bundeskonferenz dient der Information und Diskussion innerhalb der Partei. Sie ist kein Beschlußorgan. Eingeladen wurden alle Mitglieder der Bundestagsfraktion und der Bundesregierung, der Parteivorstand, Parteirat und die Kontrollkommission, die Unterbezirks- und Kreisvorsitzenden, die Vorsitzenden der Ausschüsse beim Parteivorstand, die Landesminister bzw. Senatoren und die Landtagspräsidenten, die Vorsitzenden der Landtagsfraktionen, die Regierungspräsidenten, die Unterbezirks-, Kreis-, Landes- und Bezirksgeschäftsführer sowie die Referenten des Parteivorstandes und der Bundestagsfraktion.
Die Bundeskonferenz diskutiert in Arbeitsgemeinschaften »Die neue Wirtschaftspolitik«; »Die geistige Situation und die politische Wirklichkeit - Zur Diskussion mit der jungen Generation«; »Rechtsstaatliche Demokratie in Notzeiten«.
W. Brandt führt u. a. aus: Die Entscheidung für die Große Koalition fiel nicht, weil wir unbedingt einmal mitregieren wollten, sondern weil sie in der gegebenen Lage politisch notwendig war, um eine Krise der Wirtschaft und des Staates abzuwenden. In der Tat, es ist nach 1945 in Deutschland viel gearbeitet und wiederaufgebaut worden. Die große Chance des Aufbaus einer modernen gesellschaftlichen Ordnung ist nicht ergriffen worden. Diese Art von restaurativem Wiederaufbau mußte eines Tages scheitern. Die Große Koalition nenne ich weder eine Liebesheirat noch eine Zwangsehe. In der Bevölkerung hat man im vergangenen Herbst nicht gewußt, wieweit der Zerfall der staatlichen Autorität fortgeschritten war.
Die Große Koalition stand vor der doppelten Aufgabe, die Wirtschaft neu zu beleben und die finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates wiederherzustellen. Wir können feststellen, daß es ein neues Vertrauen in die Wirtschaft gibt; daß es den Übergang zu einer neuen Periode wirtschaftlichen Wachstums gibt; daß die Angst um den Arbeitsplatz wesentlich abgenommen hat; daß die Gesundung der öffentlichen Finanzen tatsächlich eingesetzt hat; daß die D-Mark gesichert werden konnte, und daß die Preise stabil geblieben sind.
Es darf kein Zweifel daran aufkommen, daß wir zielstrebig darauf hinarbeiten, den demokratischen und sozialen Rechtsstaat zu verwirklichen. Es geht für uns Sozialdemokraten zunächst und vor allem darum, daß die Stellung der Arbeitnehmer fundamental verändert wird, nämlich um einen vom Grunde her verbesserten Status der Arbeitnehmer.
Wenn wir von Modernisierung, Demokratisierung und Humanisierung unseres Staates sprechen und der Jugend nicht unsere Tore öffnen und nicht bereit sind, ihr Chancen und Verantwortung zu geben, dann werden wir zuletzt weder die Modernisierung noch die Demokratisierung noch die Humanisierung unseres Staates verwirklichen. Ich habe keine ausgefeilte Antwort auf die Frage, wie wir diese Aufgabe lösen. Ich weiß nur, daß wir sie lösen müssen. Wir, das ist die ganze Partei in allen ihren Gliederungen und Schattierungen.
K. Schiller erklärt, was heute im Gang sei, sei der Übergang von der naiven zur aufgeklärten Marktwirtschaft. Das Wettbewerbsprinzip soll durch eine verschärfte Antikartellpolitik konsequenter durchgeführt werden.
H. Wehner gibt zu, daß es für viele Menschen verwirrend sei, die SPD mit der CDU in der Bundesregierung zu sehen, und daß der Argwohn des Verrats eigener Grundsätze entstanden sei. H. Wehner verteidigt die SPD gegen den Vorwurf, sie habe sich mit dem Godesberger Programm angepaßt an Bürgerlichkeit und Behäbigkeit. Im Gegenteil, die SPD habe sich immer kämpferisch, fordernd, anregend und unternehmenslustig verstanden und bewegt. Deshalb kapituliere sie auch nicht, weder gegenüber Erscheinungen von Saturiertheit und selbstgefälligem Konservatismus noch gegenüber dem Versuch, die Entwicklung unseres Volkes unter Berufung auf die kommunistische Revolution in ein Getto einzupferchen.



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net edition fes-library | Juni 2001