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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
17./18. Dez. 1966

In Bad Godesberg findet eine Bundeskonferenz der SPD statt. Teilnehmer sind Parteivorstand, Parteirat, Mitglieder der Bundestagsfraktion, die Kontrollkommission, die Vorsitzenden und Geschäftsführer der Unterbezirke, der Bundesausschuß der Jungsozialisten, der der Falken und die Chefredakteure der der SPD nahestehenden Zeitungen.
W. Brandt erklärt: Die SPD hat keine zerbrochene Regierung leimen helfen. Sie ist in eine neue Regierung gegangen, und sie wird wesentlichen Bereichen der deutschen Politik ihren Stempel aufdrücken. Wir sind ein fairer Koalitionspartner, der weiß, daß auch Kompromisse notwendig sein werden. Es wird aber keine Kompromisse geben, bei denen wir unsere Überzeugungen, unser Wissen und Gewissen mißachten würden.
Wir wollen endlich Wirklichkeit werden lassen, was wir seit Jahr und Tag gefordert haben und wozu wir unseren anständigen Beitrag leisten müssen: eine redliche Politik machen, den Mitbürgern die Wahrheit sagen und sie ins Vertrauen ziehen.
Nicht wir tragen die Schuld an den düsteren Tagen unserer Geschichte. Aber wir haben sie, die düsteren Tage und Jahre auch nicht verhindern können. Es ist schmerzlich, aber wir müssen uns darüber klar sein: Die geistige, politische und moralische Kraft, die in diesen hundert Jahren von hervorragenden Frauen und Männern der deutschen Sozialdemokratie eingebracht wurde in das staatliche Leben unseres Volkes, wurde häufig und zumeist schlecht belohnt und weniger beachtet, als es hätte sein müssen.
Die Sozialdemokraten haben, jedenfalls nach 1945, nie in Opposition zum Staat als solchem gestanden. Sie haben, je nach Temperament, leidenschaftlich und beharrlich gegen Regierungen gekämpft, die immer wieder versucht haben, sich mit dem Staat zu identifizieren. Auch damit ist es jetzt vorbei. Auch gerade eine Partei, auch gerade eine Regierung, die die Sozialdemokraten entscheidend mittragen, darf sich nicht mit dem Staat gleichsetzen.
Nicht die Sozialdemokraten haben am 1. Dezember 1966 die Kontinuität ihres politischen Wollens unterbrochen oder abgebrochen. Wir deutschen Sozialdemokraten sind unseren Grundsätzen treugeblieben.
Soziale Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Frieden und Solidarität waren und bleiben ein Grunderfordernis jeder Politik, an der Sozialdemokraten mitwirken, auch in der Bundesregierung.
Die Partei soll und wird selbstverständlich nicht einfach nachreden, was die Regierung beschließt. Aber sie muß sich bewußt sein, daß 9 Bundesminister und 6 Länderchefs jetzt Sozialdemokraten sind. Ich denke trotz Bebel nicht daran, zu preußischer Disziplin aufzufordern. Aber ich bitte um loyale Unterstützung und verständnisvolle Kritik bei den schwierigen Bemühungen der neuen Regierung. Die CDU wird ja zumeist als eine konservative Partei beschrieben. Dies ist sie auch insofern, als sie es schon immer schwer hatte, von sich aus zu echten großen Reformen zu kommen. Aber wir sollten uns hüten, einem weithin konservativen Partner nicht auch eine Kraft zur Regeneration zuzutrauen. Konservativ muß noch lange nicht reaktionär sein. Reaktionär ist die CDU insofern nicht, als sie fähig war - wenn auch meist unter dem Druck der sozialdemokratischen Opposition -, bedeutende soziale Gesetzgebungen durchzuführen. Ähnlich ist es jetzt. Und es ist gut, daß es so ist; denn sonst kämen wir nicht zur Stabilität im Innern und nach außen und darüber hinaus zum Wachstum im Innern und zur Handlungsfähigkeit nach außen.
Die Sozialdemokratie hat die Pflicht und die Fähigkeit, den Menschen Antworten auf ihre besorgten Fragen zu geben. Sie muß nun imstande sein, ihre politische Stabilität und ihre geistige Mobilität deutlich zu machen und in das öffentliche Bewußtsein hineinzutragen. Ich bin sicher, daß uns das gelingen wird, ich bin zuversichtlich für 1969.
Auch wenn dies die beste Regierung wäre, könnte sie nicht in ein paar Jahren alles tun. Unsere Partei aber hat die Aufgabe, den Menschen nicht nur die unmittelbar vorliegenden Aufgaben lösen zu helfen, sondern hat den Menschen auch eine realistisch begründete Vision zu vermitteln.
In zwei Arbeitskreisen werden die wichtigsten Aufgaben der zukünftigen Politik diskutiert: »Stabilität und Wachstum im Inneren« und »Sicherheit und Handlungsfähigkeit nach außen«.



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net edition fes-library | Juni 2001