Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag: 26./27. Nov. 1966

Die Bundestagsfraktion der SPD diskutiert in der bisher längsten Fraktionssitzung über die Bildung einer Großen Koalition, nachdem die Verhandlungskommission über den bisherigen Verlauf der Gespräche zwischen den Parteien berichtete.
W. Brandt erklärt, die SPD sei jetzt an einen ungewöhnlich wichtigen, historischen Punkt in ihrer Geschichte und in der Geschichte Deutschlands gelangt und müsse sich in der Ruhe des Nachprüfens, in der Nüchternheit des Abwägens und in der Klarheit der vernunftgelenkten Entscheidung dieser Lage würdig erweisen. Er kennzeichnet die Verhandlungen als sachlich und verantwortungsbewußt. Man habe offen und unvoreingenommen miteinander gesprochen. Das Programm der acht Punkte der SPD sei die Grundlage der umfangreichen und langandauernden intensiven Sachbesprechungen gewesen. Dem Auftrag der Fraktion entsprechend habe die SPD-Kommission sich bemüht, nicht nur um eine Beteiligung an der Regierung zu verhandeln, sondern zuerst um eine allgemeine Klärung der politischen Tatsachen, von denen ein künftiges Regierungsprogramm ausgehen müsse.
Wir sind im Begriff, ein Erbe aufzuarbeiten, eine gescheiterte Politik zu liquidieren. Um Deutschlands willen müsse baldigst eine neue Regierung entstehen und diese Regierung Stabilität und Klarheit zeigen. Die Fraktion beschließt:
Die Fraktion der SPD im Bundestag stimmt zu, daß die Kommission über die Bildung einer von CDU/CSU und SPD gemeinsam getragenen Regierung abschließend verhandelt.
Die Fraktion geht davon aus, daß ihr über die beabsichtigte organisatorische und personelle Struktur der neuen Bundesregierung berichtet werden wird. Die Billigung dieser Absichten ist eine notwendige Voraussetzung für die Wahl des Bundeskanzlers.