Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
Auf dem 10. Kongreß der Sozialistischen Internationale in Stockholm werden durch Delegierte über 15 160 000 Mitglieder vertreten. W. Brandt erklärt: Heute ist blutiger Krieg in Vietnam, und die stärkste Belastung des Weltfriedens geht gegenwärtig von dort aus. Dort wird auch sichtbar, daß der »klassische« Konflikt zwischen Ost und West überlagert worden ist durch die Dreiecks-Spannungen zwischen den Mächten China, Sowjetunion und USA. Das vietnamesische Volk im Süden und Norden ist das beklagenswerte Opfer dieser Spannungen. Die sozialdemokratischen Parteien finden ihren natürlichen Platz auf der Seite derer, die ehrlich um eine friedliche Lösung bemüht sind. Ich habe keinen Zweifel daran, daß die amerikanische Politik an einem friedlichen Ausweg interessiert ist. Der Rückzug der Vereinigten Staaten ohne politische Lösung und ohne Sicherheitsgarantien würde weder den Völkern Asiens noch dem Frieden der Welt helfen.
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001
Stichtag:
5./8. Mai 1966
Der europäische Kommunismus, der mittlerweile bemerkenswerte Differenzierungen aufweist, bemüht sich seit einiger Zeit wieder in verstärktem Maße und in teilweise abgewandelter Form um sogenannte Einheitsfronten und Volksfronten. Es gibt kein für alle Länder gültiges Rezept, wie man darauf am besten reagiert. Aber ich meine, daß folgende Leitlinien allgemeine Beachtung verdienten: 1. Es sollte kein Verwischen der prinzipiellen Gegensätze geben, und die Sozialdemokraten sind gut beraten, wenn sie vor den kompromittierenden Anbiederungsversuchen der Kommunisten auf der Hut sind; 2. Es kann keine sozialdemokratischen Vorleistungen auf Wandlungen im kommunistischen Bereich geben; 3. Die Sozialdemokraten haben jedoch alle Veranlassung, auf die taktischen oder weiterreichenden Veränderungen in der Politik der Kommunisten nicht furchtsam, sondern selbstbewußt zu reagieren.
Der Kongreß unterstreicht die Notwendigkeit, die wirtschaftliche Spaltung des demokratischen Europas zu überwinden, die Vorteile sowohl für Europa wie auch für die Möglichkeiten der Wirtschaftshilfe an Entwicklungsländer biete; er fordert die schnellstmögliche Aufnahme des Dialogs zwischen EWG und EFTA.
Er verurteilt die Haltung Portugals in Afrika, das illegale Smith-Regime in Rhodesien, das Apartheidsystem in Südafrika, das neuerliche Aufflackern von Unruhen im Nahen Osten, die Verweigerung von Menschenrechten in Spanien und Portugal, die Unterdrückung der Freiheit in den kommunistischen Ländern Osteuropas und erklärt wörtlich: Der Kongreß der Sozialistischen Internationale wird für die Stärkung der Vereinten Nationen wirken, die das wichtigste Instrument der Menschheit für die Erhaltung der Herrschaft des Rechts, für die Bekämpfung der Armut und die Herbeiführung friedlicher Änderungen sind. Der Kongreß fordert weiter alle demokratisch-sozialistischen Parteien auf, darauf hinzuwirken, daß die Volksrepublik China ihren legitimen Platz in den Vereinten Nationen erhält.
Der Kongreß drückt seine ernste Sorge über die Leiden des Volkes von Vietnam und über die Bedrohung für den Weltfrieden aus, die der grausame Krieg in Vietnam bedeutet; er ruft nach dem sofortigen Beendigen von Bombardierung und anderer Feindseligkeiten; dringt auf eine Regelung, die die Völker Nord- und Süd-Vietnams in die Lage versetzen würde, ihre eigene Zukunft zu bestimmen und die die Neutralität des ganzen Landes ohne ausländische Truppen oder Militärbasen sichern würde.
Die Sl fordert sämtliche Regierungen auf, sich mit Energie für die baldige Erzielung von Vereinbarungen über die folgenden Maßnahmen einzusetzen: a) Verhinderung der Ausbreitung von Kernwaffen; b) umfassendes Atomtest-Verbot; außerdem wäre es notwendig, die heute im Besitz von Kernwaffen befindlichen Mächte zum Maßhalten im Atomrüstungs- Wettbewerb zu veranlassen, c) Abbau der Kernwaffenrüstung. Man sollte den weiteren Bau von Trägerwaffen für Atomsprengköpfe verbieten und die Zahl der vorhandenen Trägerwaffen durch Vereinbarungen vermindern. Auch sollte die weitere Erzeugung von Spaltmaterial für Rüstungszwecke verboten werden.
Die Sl fordert außerdem sämtliche Regierungen auf, folgende weitere Maßnahmen ernsthaft zu prüfen: Die Schaffung von kernwaffenfreien Zonen; den Abschluß von Vereinbarungen zur Überwachung und Einschränkung des internationalen Waffenhandels; ausdrückliche internationale Vereinbarungen über den Verzicht auf militärische Betätigung im Weltraum und die Verbesserung und Ausdehnung des internationalen Inspektions- und Prüfungswesens für die gesamte Atomforschungstätigkeit und Atomtechnik.
Der Kongreß verzeichnet mit Genugtuung die ersten Schritte zu wirtschaftlichem Fortschritt, der in Lateinamerika durch die Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit und demokratischen Freiheit der demokratischen, populären und sozialistischen Parteien herbeigeführt und beschleunigt wurde. Der Kongreß bekräftigt seine Überzeugung, daß die national-revolutionären sowie die Volksparteien und der demokratische Sozialismus die einzigen politischen Kräfte darstellen, die die historischen Schwierigkeiten Lateinamerikas zufriedenstellend überwinden können.
Die allgemein akzeptierte Verwendung von 1 % des Nationaleinkommens der Industrieländer für Entwicklungsländer soll von allen in Betracht kommenden Regierungen ohne Verzug erreicht werden. Aufeinander abgestimmte internationale Aktionen sollen die internationalen Warenübereinkommen auf alle wichtigeren Rohstoffe erweitern, um die Stabilität und Prosperität der Produzentenländer zu fördern, besonders durch Festsetzung entsprechender Preise für die Produzenten. Eine abgestimmte internationale Aktion soll den Entwicklungsländern den Aufbau vor allem von arbeitsintensiven Industrien ermöglichen. Gleichzeitig sollten die entwickelten Länder aufhören, Waren zu erzeugen und zu schützen, die von den Entwicklungsländern unter günstigeren Bedingungen erzeugt werden können. Eine unkontrollierte Bevölkerungszunahme hindert das wirtschaftliche Wachstum. Darum soll eine abgestimmte internationale Aktion auf dem Gebiet der Familienplanung erwogen werden.
Präsident der SI wird wieder B. Pittermann (Österreich); als Vizepräsidenten werden bestätigt: H. Wilson (Großbritannien); T. Erlander (Schweden) und G. Mollet (Frankreich). Neu gewählt als Vizepräsident wird W. Brandt.