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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
18. März 1966

Der Parteivorstand, der Vorstand der Bundestagsfraktion und die Kontrollkommission der SPD stellen zu dem offenen Brief der SED vom 7. Februar fest:
In den Grundfragen der Demokratie kann es zwischen Vertretern der SPD und der SED keine gemeinsamen Aussprachen geben, weil es die erklärte Politik der SED ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung durch eine monopolistische Parteiherrschaft zu ersetzen.
Der Vorstand der SPD hat sich dennoch entschlossen, auf den »Offenen Brief« der SED eine offene Antwort zu geben, um vor den Menschen in ganz Deutschland den Austausch von Argumenten über die Kernfragen der deutschen Politik in Gang zu bringen.
Wie soll jedoch in Deutschland offen und unbefangen diskutiert werden, wenn auf Menschen geschossen wird, weil sie einfach nur von Deutschland nach Deutschland wollen.
Eine Lösung der Deutschlandfrage - von der es abhängt, daß Europa zum Frieden kommt - wird aber erst dann und nur dann möglich werden, wenn keine politische Partei einer anderen politischen Partei unter Ausnützung von Gewalt ihre Auffassung aufzwingt, in allen Teilen Deutschlands jede Partei alle Möglichkeiten hat, offen und ungehindert ihre Vorstellung zu vertreten und das Volk frei entscheiden kann, wem jeder einzelne unbehindert seine Stimme geben will.
Die gegensätzliche Auffassung über die Staatlichkeit der Teile Deutschlands und die daraus hergeleiteten Ansprüche müssen kein Hindernis für Regelungen sein, durch die den Menschen in ganz Deutschland die Menschenrechte im Sinne der Charta der Vereinten Nationen gewährleistet würden.
Die SED versucht weiterhin West-Berlin zu isolieren. Ein solcher Kurs gegen Berlin stößt auf den Widerstand der SPD. Der rechtliche und politische Status von West-Berlin gilt bis zur Wiedervereinigung.
Die SPD ist im Gegensatz zur SED der Auffassung, daß die Festlegung der deutschen Grenzen in den Potsdamer Vereinbarungen bis zu einer friedensvertraglichen Regelung aufgeschoben worden ist und daß Deutschland völkerrechtlich bis dahin als Ganzes in den Grenzen von 1937 fortbesteht.
Ungeachtet aller Gegensätzlichkeiten der Standpunkte in der Deutschlandfrage sollten alle Seiten in Deutschland ihr Interesse beweisen, Deutschland nicht zu einem zusätzlichen Spannungsherd in unserer an Spannungen und Konflikten leider reichen Welt werden zu lassen.
Worum es jetzt geht, ist jedoch die Frage, ob unserem Volk die Möglichkeit eröffnet werden kann, in freier Aussprache Schritte zur Erleichterung der Auswirkungen der staatlichen Spaltung für die Menschen und Ansätze zur allmählichen Überwindung der Spaltung zu diskutieren. Die Vereinigung der Deutschen hängt von vielen Faktoren ab, die auf deutscher Seite nur mittelbar zu beeinflussen sind. Die großen Ziele dürfen jedoch nicht die Ausrede sein, praktisch mögliche Schritte zu unterlassen. Heute mögliche Schritte sind solche, die den Menschen im geteilten Deutschland das Leben erleichtern und das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit stärken.
Für eine Zusammenarbeit der beiden Parteien SPD und SED fehlen alle Voraussetzungen. Für Volksfrontmanöver sind die Sozialdemokraten nicht zu haben. Für die Menschen im geteilten Deutschland tätig zu sein, das heißt: Freizügigkeit in Berlin. Das heißt: Nachbarschaftsverkehr an der Zonengrenze. Das heißt: Austausch von Zeitungen und Büchern. Das heißt: von unnötigen Fesseln befreiter Austausch auf den Gebieten der Wirtschaft und der Kultur, einschließlich der Erfahrungen mit den Problemen der technischen Revolution.
Die SPD schlägt als nächstes vor, die offene Aussprache aller Parteien in allen Teilen Deutschlands einzuleiten. Das heißt: In allen Orten sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß Vertreter der im Deutschen Bundestag und in der Volkskammer vertretenen Parteien offen ihre Auffassungen über die Deutschlandfrage darlegen, vertreten und austragen können.



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net edition fes-library | Juni 2001