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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. Nach dem Zweiten Weltkrieg. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1978.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
18. April 1961

Auf einem außerordentlichen Kongreß der SPD in Bonn verkündet der Kanzlerkandidat der SPD, W. Brandt, das Regierungsprogramm der Partei, das die Devise hat: Ausgleich nach innen, Ausgleich nach außen.
Die bisherige Regierung ist weder den Aufgaben unserer inneren Ordnung noch dem Wandel in der Welt gerecht geworden.
Wir werden dieser Pflicht genügen; aber unsere ganze Leidenschaft gilt der Zukunft. Wir brauchen eine neue Politik, damit wir unserer Zeit gewachsen sind, der Herausforderung durch die kommunistische Welt, den Erwartungen der jungen Nation und der wissenschaftlichen Revolution, die nach den Sternen greift. Wir brauchen die •kommunistische Herausforderung nicht zu fürchten. Wir nehmen sie an. Wir werden ihr militärisch widerstehen und sie mit der Stoßkraft unserer freiheitlichen Ordnung überwinden.
Die neue Regierung wird führen, aber nicht herrschen.
Wir wollen ein gesundes Volk in einem gesunden Staat. Das ist die Leitlinie für die gesamte Innenpolitik der von uns geführten Regierung.
Entscheidend ist, daß wir ein mündiges Volk werden.
Die SPD stellt fest, daß »reine Luft«, »reines Wasser« und »weniger Lärm« keine papiernen Forderungen bleiben dürfen. Es sei bestürzend, daß die Gemeinschaftsaufgabe des Umweltschutzes, bei der es um die Gesundheit von Millionen Menschen geht, bisher fast völlig vernachlässigt wurde. Der Himmel über dem Ruhrgebiet muß wieder blau werden.
Begriffe wie »Wettbewerb« und »private Initiative« sind zu demagogischen Schlagworten abgewertet worden.
Die neue Bundesregierung wird die Begriffe »Leistung« und »persönliche Tatkraft« wieder mit lebendigem Inhalt erfüllen. Der Selbständige, der Verantwortung trägt und persönlich haftet, ist uns wichtiger und willkommener Partner.
Die wirtschaftliche Entwicklung gibt uns Chancen, unseren Lebensstandard in weniger als einer Generation zu verdoppeln, wenn der Friede erhalten bleibt und Krisen verhindert werden. Die neue Bundesregierung wird gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank die Währung schützen und die Stabilität unserer D-Mark sichern. Die längst fällige große Aktienrechtsreform wird verwirklicht. Dabei ist besonderes Gewicht zu legen auf die Offenlegung der Unternehmensverhältnisse, auf den organischen Einbau des Mitbestimmungsrechts und auf einen wirksamen Schutz der kleinen Aktionäre.
Die neue Bundesregierung wird unser gegenwärtiges Steuersystem übersichtlicher und gerechter gestalten und dabei zugleich den Verwaltungsapparat vereinfachen. Die freiberufliche Tätigkeit soll der Umsatzsteuer nicht mehr unterliegen. Die Verbrauchssteuern für Zucker und Salz werden abgeschafft. Kaffee- und Teesteuer sollen schrittweise abgebaut werden. Bagatellsteuern wie Zündholz- und Süßstoffsteuer werden abgeschafft, denn ihr Aufkommen rechtfertigt nicht einmal den Verwaltungsaufwand.

Seit Jahren muß in der Bundesrepublik eine Finanzreform durchgeführt werden.

Unser Volk braucht die Aussöhnung mit sich selbst. Dazu ist ein neuer Stil in unserer inneren Ordnung erforderlich. Die Verketzerung Andersdenkender, die Hexenjagd auf politisch Mißliebige und Gesinnungsschnüffelei müssen endlich aufhören.
Die neue Bundesregierung wird dafür sorgen, daß ein neuer Geist durch unsere Lande geht, ein Geist der Achtung vor dem Nächsten und der Aussöhnung der Generationen.
Die Verwirklichung dieses neuen Stils in der Politik muß oben beginnen. Die Freiheit der Staatsbürgers ist wichtiger als die Bequemlichkeit der Regierenden. Die Regierung hat sich als Vorbild für jedermann zu verhalten.
Wir brauchen mehr freiheitlichen Geist und mehr Duldsamkeit in unserem staatlichen Leben. Aber wir brauchen auch Härte gegen alle Feinde der Demokratie.
Die neue Bundesregierung wird die junge Generation aufrufen, mehr Verantwortung zu tragen, und sie wird ihr die Wege dahin ebnen. Sie wird auch dafür sorgen, daß tüchtige Frauen in der Bundesregierung sind und auch sonst führende Stellungen übernehmen.
Die neue Bundesregierung wird jeden Versuch wehren, die Zweistaatentheorie in unser Denken aufzunehmen.
Die außenpolitische Stellung der Bundesrepublik auf der Seite des Westens ist unverrückbar. Das schließt die korrekte Erfüllung aller außenpolitischen Verträge und die Treue zum atlantischen Verteidigungsbündnis ein.
Die neue Regierung wird die Verteidigungspolitik in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der NATO führen.
Die neue Bundesregierung wird die notwendigen Lasten auch dem eigenen Volk zumuten müssen. Die Bundeswehr muß den in der NATO beschlossenen Umfang haben. Dazu kann derzeit, auf die Wehrpflicht nicht verzichtet werden.
Das Werk der europäischen Einigung ist unvollkommen geblieben. Die neue Bundesregierung wird darauf hinwirken, daß die Zersplitterung innerhalb der bestehenden Gemeinschaften beseitigt wird und die parlamentarischen Kontrollen verstärkt werden.



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net edition fes-library | Juni 2001