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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
20. Juli 1932

Die preußische Regierung wird durch eine Notverordnung des Reichspräsidenten abgesetzt und Preußen der kommissarischen Gewalt des Reichskanzlers F. v. Papens unterstellt. Über Berlin und Brandenburg wird der militärische Ausnahmezustand verhängt, nachdem C. Severing erklärt, daß er von seinem Amt nur der Gewalt weichen werde. C. Severing verläßt erst seine Amtsräume nachdem der neuernannte Reichskommissar F. Bracht mit Reichswehr- und Polizeioffizieren erscheint, um ihn mit Gewalt zu entfernen.
Die Mitglieder der preußischen Regierung erklären sich mit der Haltung C. Severings solidarisch.
Die Reichsregierung begründet ihre Maßnahmen damit, daß die blutigen, von kommunistischer Seite hervorgerufenen Unruhen in Preußen nicht in dem notwendigen Umfang bekämpft würden; die Planmäßigkeit und Zielbewußtheit der Führung gegen die kommunistische Bewegung fehlten. Daher habe die Reichsregierung von sich aus für Ruhe, Ordnung und Sicherheit im größten Land Deutschlands zu sorgen.
Nachdem noch am 20. Juli der Berliner Polizeipräsident A. Grzesinski, der Vizepräsident B. Weiß und der Kommandeur der Schutzpolizei M. Heimannsberg abgesetzt und vorübergehend verhaftet werden, wird in den kommenden Tagen eine Reihe von hohen Ministerial- und Verwaltungsbeamten durch genehmere Beamte ersetzt, darunter vier Ober- und sieben Regierungspräsidenten. Im ganzen werden 94 höhere Beamte zur Disposition gestellt und weitere elf zwangsweise beurlaubt.
In der Reichsleitung der »Eisernen Front« sprechen sich nur K. Holtermann und A. Grzesinski für einen Widerstand aus. Die anderen Vertreter weisen auf die militärische Überlegenheit der anderen Seite und die Tatsache von 6 Millionen Arbeitslosen hin.
Die preußische Regierung ruft das Reichsgericht an, weil die Einsetzung eines Reichskommissars der Reichsverfassung widerspreche und beantragt eine einstweilige Verfügung gegen die Maßnahmen der Reichsregierung. Dieser Antrag wird aber am 25. Juli abgewiesen.

Der SPD-Parteivorstand veröffentlicht einen Aufruf: »An die Partei!«
»Der Kampf um die Wiederherstellung geordneter Rechtszustände in der deutschen Republik ist zunächst mit aller Kraft als Wahlkampf zu führen. Es liegt beim deutschen Volke, durch seinen Machtspruch am 31. Juli dem gegenwärtigen Zustand ein Ende zu bereiten, der durch das Zusammenwirken der Reichsregierung mit der Nationalsozialistischen Partei entstanden ist. Die Organisationen sind in höchste Kampfbereitschaft zu bringen. Strengste Disziplin ist mehr denn je geboten. Wilden Parolen von unbefugter Seite ist Widerstand zu leisten!«

Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB), der Allgemeine freie Angestelltenbund (AfA-Bund), der Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften Deutschlands, der Gesamtverband deutscher Verkehrs- und Staatsbediensteter, der Gewerkschaftsring deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände, der Allgemeine deutsche Beamtenbund und der Deutsche Beamtenbund erlassen einen Aufruf, in dem es u. a. heißt: »Die neuesten politischen Vorgänge haben die deutschen Arbeiter, Angestellten und Beamten in große Erregung versetzt. Sie müssen trotzdem ihre Besonnenheit bewahren. Noch ist die Lage in Preußen nicht endgültig entschieden. Der Staatsgerichtshof ist angerufen. Die entscheidende Antwort wird das deutsche Volk, insbesondere die deutsche Arbeitnehmerschaft am 31. Juli geben. Es ist die Pflicht aller gewerkschaftlichen Organisationen und aller Volksschichten, die auf dem Boden der Verfassung und des Rechts stehen, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür zu sorgen, daß diese Reichstagswahl stattfindet.
Die vorbildliche Disziplin der deutschen Arbeiter, Angestellten und Beamten ist auch in diesen schweren Tagen unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Wir lassen uns die Stunde des Handelns von Gegnern der Gewerkschaften nicht vorschreiben.«



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net edition fes-library | Juni 2001