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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
1. Juni 1932

F. v. Papen, von P. v. Hindenburg auf Wunsch General K. v. Schleichers mit der Regierungsbildung beauftragt, stellt sein Kabinett der »nationalen Konzentration« zusammen. Die meisten Mitglieder des Kabinetts sind Angehörige der DNVP oder sympathisieren mit ihr. Vertreter des Mittelstandes und der Arbeiterschaft gehören nicht mehr der Regierung an, die den Kampf gegen »Staatssozialismus und Wohlfahrtshaushalt« ankündigt.
Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion erklärt:
»Der Sturz der Regierung Brüning, der außerhalb des Parlaments durch unverantwortliche Ratgeber des Reichspräsidenten herbeigeführt worden ist, eröffnet eine außerordentlich schwere innenund außenpolitische Krise.
Die Art der Bildung und Zusammensetzung der Reichsregierung ist gegen das Volksinteresse und gibt keine Gewähr für die Aufrechterhaltung der Sozialpolitik, insbesondere der Rechte der Arbeitslosen. Zugleich ist die Führung einer Außenpolitik gefährdet, die zu einer Wiederherstellung des Vertrauens und der notwendigen internationalen Zusammenarbeit führt.
Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion ist entschlossen, gegen alle sozialreaktionären Anschläge, gegen alle inflationistischen Experimente und gegen alle Angriffe auf die Verfassung und die Demokratie den Kampf zu führen, steht der sich bildenden Regierung mit schärfstem Mißtrauen gegenüber und wird daraus alle parlamentarischen Konsequenzen ziehen.
Der SPD-Parteivorstand veröffentlicht einen Aufruf: »Zum Kampf bereit!«: »Die Reaktion hat ihre Karten aufgedeckt! Dies Kabinett der »nationalen Konzentration« ist die erste Reichsregierung seit 1918, in der die organisierte Arbeitnehmerschaft, in der die Gewerkschaften der Arbeiter, Angestellten, Beamten, ganz gleich welcher Richtung, ohne jede Vertretung geblieben sind.
Mit dem Sturz der Regierung Brüning soll die Bahn freigemacht werden:
für die Aufhebung des Versicherungscharakters der Arbeitslosenversicherung, d. h. für die Ersetzung der gesamten Arbeitslosenversicherung durch die Wohlfahrtspflege;
für die Beseitigung eines bindenden Tarifvertragsrechts, d. h. für die Herabsetzung der Löhne im größten Maßstab.
Zerschlagen werden soll durch den Sturz des Kabinetts Brüning das Projekt der Arbeitsbeschaffung im Wege einer aufzulegenden Prämienanleihe. Zerschlagen werden soll der Plan einer großzügigen Besiedelung des bankrotten und nicht mehr sanierungsfähigen ostelbischen Großgrundbesitzes.
Die durch die Krisenpanik und die Kopflosigkeit eines Teils der Bevölkerung genährten reaktionären Hoffnungen sollen erfüllt werden, indem das Steuer des Reichs nach rechts gedreht wird.
Diesen Plan der Reaktion zu durchkreuzen ist die Aufgabe der organisierten Arbeiterklasse, ist die Aufgabe der Sozialdemokratie. Es besteht hierzu auch die volle Möglichkeit, wenn die Arbeiterklasse das Spiel der Reaktion rücksichtslos entlarvt!
Die Sozialdemokratie tritt in die schärfste Opposition in einem Augenblick, in dem die reaktionäre Demagogie gezwungen ist, sich selber zu entlarven.
Es kommt darauf an, auch die von Kommunisten und Nazis irregeführten Teile der Arbeiterschaft in die Front der Sozialdemokratie gegen die Reaktion zurückzuführen. Das gilt namentlich von jenen Verblendeten und Irregeführten, die sich jahrelang von den Kommunisten einreden ließen, daß die Sozialdemokratie der >Hauptfeind< sei!
Der alte Kampfgeist der Sozialdemokratie lebt! Für uns gibt es keinen Kleinmut und keine Entmutigung!
Denn wir wissen: Die politische Krise Deutschlands ist nur eine Auswirkung der Weltkrise des kapitalistischen Systems.
Vergebens sucht die Kapitalistenklasse Deutschlands beim Faschismus ihre Rettung. Alle Flickarbeit der kapitalistischen Helfer wird vergeblich bleiben. Der Umbau der versagenden Wirtschaftsordnung mit dem Ziel sozialistischer Gemeinwirtschaft ist zur Gegenwartsaufgabe gereift.
Die Macht der Monopole muß gebrochen, der Einfluß des Staates auf Warenerzeugung, Warenverteilung, Bank- und Kreditwesen verstärkt werden. Besitz und Verfügungsgewalt der öffentlichen Hand müssen erweitert werden, um die Grundlage für die Planmäßigkeit der Gesamtwirtschaft zu schaffen.«



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net edition fes-library | Juni 2001