Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. -
[Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
3. AfA-Kongreß in Leipzig. 88 Delegierte vertreten 15 Verbände mit rd. 480000 Mitgliedern; das sind 12 % der Angestellten. Unsere Epoche steht zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Die Entwicklung der Produktivkräfte hat die gesellschaftliche Ordnung des Kapitalismus gesprengt; die Gesellschaft hat nun die Aufgabe, der Entwicklung neue Bahnen zu weisen, ihre Macht über die Wirtschaft zu errichten.« Der Kongreß sieht in dem Plane der Auflockerung oder Beseitigung der Unabdingbarkeit des Tarifvertrages einen Anschlag auf die verfassungsmäßigen Rechte der Arbeitnehmerschaft und fordert vom AfA-Bundesvorstand, alle derartigen Bestrebungen mit Entschiedenheit zu bekämpfen. In seinem Referat betont S. Aufhäuser, daß es Aufgabe der freien Angestelltenverbände sei, die Berufsangehörigen davor zu schützen, daß ihre ökonomische Lage von einer falschen Ideologie überblendet wird. Die Angestellten müssen begreifen, daß im Hochkapitalismus von heute kein Raum mehr zwischen den Klassen besteht. Die Not der Angestellten kann nur überwunden werden, wenn Arbeiter und Angestellte sich in solidarischem Handeln als eine Klasse zusammenfinden. Die Verwirklichung dieser Solidarität aller Arbeitnehmer setzt aber auch gegenseitiges Verstehen zwischen Arbeitern und Angestellten voraus. Zum Vorsitzenden des AfA-Bundes wird S. Aufhäuser, zu seinen Stellvertretern werden W. Stähr und O. Urban gewählt.
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001
Stichtag:
5./ 7. Okt. 1931
Tagesordnung: Gesellschaftsmacht oder Privatmacht über die Wirtschaft (R. Hilferding); Ideologie und Taktik der Angestelltenbewegung (S. Aufhäuser).
Mit aller Schärfe protestiert der Kongreß gegen den Versuch eines weiteren Abbaues der Leistungen der Sozialversicherung.
Zur Angestelltenversicherung wiederholt der Kongreß die Forderungen des Kongresses von Hamburg: »In dieser Versicherung ist die Durchrührung einer echten Selbstverwaltung, also die Übertragung der Mehrheit der Sitze an die Versicherten und die Ausschaltung der Beamten aus dem Direktorium ohne weiteres möglich. Bei den Ersatzkassen hat die geheime Wahl zu erfolgen.«
Der Kongreß fordert erneut die Zusammenfassung der Krisenfürsorge und Wohlfahrtspflege zu einer einheitlichen Reichsarbeitslosenfürsorge. Die Finanzierung muß vorwiegend aus Mitteln des Reiches erfolgen. Unter dem gegenwärtigen System sind die Erwerbslosen das Opfer der herrschenden Gemeindefinanznot.
Zum Referat von R. Hilferding nimmt der Kongreß eine Entschließung an, in der es u. a. heißt: »Die erste Aufgabe für die nächste Zukunft besteht in der Sicherung des Lebensspielraums der Massen und in der planmäßigen Arbeitsverteilung. Diese Aufgabe kann nur erfüllt werden, wenn neue Wege der unmittelbaren Verbindung zwischen Konsumenten und Produzenten gefunden werden. Die unerträgliche Zuspitzung des wirtschaftlichen Elends fordert mit unabweislicher Dringlichkeit den Umbau der Wirtschaftsverfassung. An die Stelle der Planlosigkeit der Wirtschaftsführung des Kapitalismus ist ein von der Gesellschaft getragener Wirtschaftsplan zu setzen. Seine Durchführung erheischt neben Förderung und Ausbau des Genossenschaftswesens eine planmäßige Bewirtschaftung der Kapitalverteilung durch ein Bankenamt, eine Kontrolle der Preise und Gewinne durch ein Monopolamt und eine Umstellung der Handelspolitik im Sinne internationaler Zusammenarbeit.
Damit ist aber der Augenblick gekommen, in dem eine planmäßige Ordnung der Produktivkräfte, ihre Unterordnung unter die Gesellschaftsmacht des demokratischen Staates zur zwingenden Notwendigkeit geworden ist. Nur die Staatsführung wird sich Kartellen und Trusts gegenüber auf die Dauer erfolgreich behaupten können, die sich selbst auf wirtschaftliche Machtmittel stützen kann. Die Voraussetzung des Erfolges der Wirtschaftspolitik ist letzten Endes bedingt durch die Änderung des Eigentums an Produktionsmitteln, durch den Ausbau der öffentlichen Wirtschaft, durch Förderung der Kapitalbildung der öffentlichen Hand.
Die Zusammenballung in der Großindustrie und die Vereinheitlichung ihrer Verwaltung hat entscheidende Voraussetzungen für die Sozialisierung geschaffen. Der einmal auf die Banken gewonnene Einfluß darf nicht wieder preisgegeben werden. Über eine formale Bankenkontrolle hinaus muß die Herrschaft des Staates
über die Banken gesichert werden.