Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. -
[Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
R. Hilferding tritt als Finanzminister zurück, weil seine Politik der fortschreitenden Konsolidierung der schwebenden Schuld durch Auslandsanleihen und der Verwendung der Ersparnisse aus dem Young-Plan zur Beseitigung des Defizits und zur Senkung der Steuern, durch Eingriffe von außen - durch H. Schacht als Reichsbankpräsident - gestört worden sei und deshalb von ihm nicht weitergeführt werden könne. Sein Nachfolger wird P. Moldenhauer (DVP). R. Schmidt (SPD) wird Wirtschaftsminister, P. Hertz (SPD) lehnt die Übernahme des Finanzministeriums ab. Mit der Erklärung »Keine Katastrophenpolitik« antworten ADGB und AfA-Bund auf die Denkschrift der Industrie vom 2. Dezember.
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001
Stichtag:
21. Dez. 1929
»Mit den Schlagworten >Sicherung der Rentabilität und >Kapitalbildung< wird von der vereinigten sozialen Reaktion eine Panikstimmung erzeugt, als wäre die deutsche Wirtschaft unter der jetzigen Steuer- und Sozialpolitik in eine Katastrophe hineingeführt worden. Der Aufstieg der Wirtschaft im letzten Jahrfünft beweist aber, daß Sozialpolitik und Sozialversicherung den wirtschaftlichen Fortschritt nicht gehemmt, sondern gestützt haben.
Die Gewerkschaften erkennen selbstverständlich die Notwendigkeit ausreichender Kapitalbildung an. Sie bekämpfen aber jene Politik, die einseitig die wirtschaftliche und politische Macht des Unternehmertums stärkt und die Kapitalbildung in den Sparkassen sowie bei den öffentlichen Körperschaften hemmt.
Unter dem Schlagwort >Finanzreform< wird einseitige Besitzentlastung gefordert, die andererseits eine Mehrbelastung der besitzlosen Volksmassen zur Folge haben muß.
Ausgangspunkt der Finanzreform muß die schwierige Lage der öffentlichen Finanzen sein. In erster Linie ist der ständige Fehlbetrag, der das Reich in entwürdigende Abhängigkeit von den Banken gebracht hat, unbedingt zu decken. In der Zukunft darf der Haushalt nicht >am Rande des Defizits< stehen. Er muß die Mittel sicherstellen für die Aufgaben, die der Gesellschaft durch den technischen Fortschritt auf sozialem und kulturellem Gebiete dauernd erwachsen.
Die unberufenen Eingriffe des Reichsbankpräsidenten in Fragen der Regierungspolitik haben die bestehenden Schwierigkeiten noch verschärft.
Im vollen Bewußtsein ihrer Verantwortlichkeit erkennen die Gewerkschaften an, daß im Interesse der Arbeiterschaft auch den Lebensnotwendigkeiten der Wirtschaft Rechnung getragen werden muß. Im Gegensatz zu einer solchen Verantwortlichkeit schrecken maßgebende Kreise des Unternehmertums gegenwärtig nicht zurück, eine unbegründete Krisenstimmung zu erzeugen, die geeignet ist, die Wirtschaft in erheblichem Umfang zu erschüttern.
Indem die Gewerkschaften eindringlichst vor der Fortsetzung einer solchen begehrlichen Politik warnen, sehen sie sich verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß eine unsoziale Umlagerung der wirtschaftlichen Lasten aus der Einkommensverteilung nicht vor sich gehen kann, ohne eine Ära neuer schwerer sozialer Kämpfe heraufzubeschwören. «