Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. -
[Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
Kongreß des ADGB in Hainburg. 282 Delegierte. Tagesordnung:
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001
Stichtag:
3./7. Sept. 1928
Die Bildungsaufgaben der Gewerkschaften (O. Heßler); Vereinheitlichung und Selbstverwaltung in den Einrichtungen der sozialen Gesetzgebung (H. Müller/Lichtenberg); die Verwirklichung der Wirtschaftsdemokratie (F. Naphtali).
Der Kongreß erklärt, die Demokratisierung der Wirtschaft führe zum Sozialismus. Diesen Weg deutlich zu zeigen und die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung auf diesen Weg zu führen, sei eine Aufgabe, die in erster Linie den Gewerkschaften zufalle. Nicht als fernes Zukunftsziel, sondern als täglich fortschreitender Entwicklungsprozeß stelle sich die Umwandlung des Wirtschaftssystems dar. Diesen Prozeß als Gegenbewegung gegen die Autokratie der Unternehmer in den monopolistischen Machtzusammenballungen einzuleiten und »die Demokratie der arbeitenden Menschen« zu schaffen, sei eine Aufgabe der Gewerkschaften in der Gegenwart. Demokratisierung der Wirtschaft in solchem Sinne bedeute die schrittweise Beseitigung der Herrschaft, die sich auf dem Kapitalismus aufbaue.
Der Kongreß spricht sich für die Koalitionspolitik der SPD aus und betont die durch das »wirtschaftsdemokratische Programm« gegebene engere Bindung an die Politik der SPD.
Zu bildungspolitischen Fragen stellt der Kongreß fest:
»Die Arbeiterbewegung ist die größte aller bisherigen Kulturbewegungen. Indem die Gewerkschaften die Massen zusammenführen und in großen, mächtigen Verbänden organisieren, geben sie ihnen zugleich ein über die engeren gewerkschaftlichen Aufgaben hinausreichendes hohes Ziel.
Durch die Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen werden die Massen wirtschaftlich gehoben und der Wunsch nach Teilnahme an den Kulturgütern geweckt. Hohe Löhne und kurze Arbeitszeit sind die Vorbedingungen zu einer noch nie erreichten Gesamtkultur.
Die Erfüllung dieser Aufgaben der Gewerkschaften ist in hohem Maße davon abhängig, daß die Arbeiterschaft eine gute Allgemein- und Berufsausbildung erhält. Der Kongreß fordert daher einen Ausbau des Volks- und Berufsschulwesens.«
Daneben betont der Kongreß die Notwendigkeit und den hohen Wert der eigenen Bildungsbestrebungen der Gewerkschaften. Die beständig wachsende, vielverzweigte Tätigkeit der Gewerkschaften verlangt von jedem Mitglied Vertiefung des Wissens auf zahlreichen Gebieten.
»Der Kongreß verpflichtet die angeschlossenen Verbände und ihre Mitglieder, der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Organisation schafft Macht, aber Wissen vervielfältigt und lenkt sie.«
»Der Kongreß erneuert die Beschlüsse der früheren Kongresse, die auf Vereinheitlichung und Vereinfachung der Sozialgesetzgebung hinzielten. Er fordert mit allem Nachdruck, daß die Reichsregierung endlich beginnt, der nur geschichtlich zu erklärenden Zersplitterung und der damit verbundenen Verschwendung an Zeit und Mitteln in der Sozialversicherung ein Ende zu machen. Er fordert territorial aufgebaute Versicherungsträger, die, mit Ausnahme der Arbeitslosenversicherung, alle Zweige der Versicherung erfassen sollen.
Die Reichsverfassung verspricht den Versicherten maßgebenden Einfluß bei den Versicherungsträgern. Sie wird damit sowohl dem Zweck der Versicherung gerecht als auch dem Umstande, daß die Versicherung getragen wird von den Beiträgen der Arbeitnehmer, denn auch die Beiträge der Arbeitgeber stammen aus dem Arbeitsertrag der Versicherten. Der Kongreß fordert daher erneut Befreiung von der Vormundschaft der Arbeitgeber und der behördlichen Bürokratie. Die Versicherten haben ein Recht auf die Selbstverwaltung.
Auch die Gewerbeaufsicht ist zu vereinheitlichen. Sie ist, obgleich auf der Reichsgewerbeordnung aufgebaut, heute Sache der Länder. Der Einfluß des Reiches ist, als Träger der gesamten sozialen Gesetzgebung, dabei verschwindend gering. So entsteht von selbst die Forderung nach der Übernahme der Arbeitsaufsicht durch das Reich, die der Kongreß nachdrücklichst als seine Forderung erhebt.«
In den ADGB-Bundesvorstand werden gewählt: Th. Leipart
(Vors.); P. Graßmann u. H. Müller/Lichtenberg (stellvertr. Vors.); W. Eggert u. A. Knoll (Sekretäre); A. Kube (Kassierer); P. Umbreit (Redakteur); Beisitzer: N. Bernhard, C. Bruns, A. Janschek, H. Mahler, G. Reichel, G. Schmidt, K. Schrader und F. Tarnow.