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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
6. Mai 1945

K. Schumacher hält auf der Gründungsversammlung des Ortsvereins Hannover der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ein Referat.
Er leitet es mit der Feststellung ein, daß der Marxismus »kein starres, zeitgelöstes Dogma« sei, »sondern eine Methode, mit der wir die Gegebenheiten zu untersuchen haben«.
Den deutschen Imperialismus versteht er »als eine Politik, die mit den Mitteln der Macht, auch der militärischen, wirtschaftliche Expansionsbestrebungen durchzusetzen bereit ist«.
K. Schumacher schildert die Nationalsozialisten als die »Knechte des Großkapitals«, deren Herrschaft eine »moralische Zersetzung und Deklassierung unseres Volkes« mit sich bringen mußte. Vor der Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung hätten die demokratischen Sozialisten gewarnt, aber das Volk habe das »aus Kurzsichtigkeit und Mangel an politischer Vorstellungskraft« nicht ernst genommen.
»Die Mitschuld großer Volksteile an der Blutherrschaft der Nazis liegt in ihrem Diktatur- und Gewaltglauben! ... Weil die Deutschen sich die Kontrolle über ihre Regierung haben entziehen lassen, deswegen werden sie heute von anderen kontrolliert.«
In dieser Einsicht liege die Voraussetzung zur geistigen und moralischen Umkehr. Auch wenn es 1945 nur viel schlechter werden könne, als es 1918 hinsichtlich der politischen und der ökonomischen Ausgangsposition gewesen sei, setzten die Sozialdemokraten »alle Kräfte ein für ein neues Leben mit einem neuen Inhalt«, wozu sie keine Patentlösung, wohl aber die »Waffen der Einsicht, der Ehrlichkeit und Ausdauer« besäßen.
Als das politische und gesellschaftliche Prinzip des Wiederaufbaus sei vom Ausland wie von der inneren Entwicklung die Demokratie als fester Rahmen bestimmt. Sie werde von den demokratischen Sozialisten als »die tragende Idee unserer Vergangenheit und Zukunft« bejaht.
Dann spricht K. Schumacher von der Frage, die »uns Sozialisten am meisten in der Zusammenarbeit mit anderen Parteien am Herzen liegt«, dem Verhältnis zu den Kommunisten. Jeder habe den Wunsch, »daß die starken Spannungen aus der Zeit vor 1933 nicht wiederkehren mögen«. Auch schwebe vielen deutschen Arbeitern eine einheitliche Arbeiterpartei als ideale Lösung vor. Aber die innere Logik der Entwicklung sei gegen eine Einheitspartei.
»Sie ist nicht möglich kraft der machtpolitischen Gegebenheiten und der außenpolitischen Bindungen. Die Trennungslinie ist dadurch gezogen, daß die Kommunisten fest an eine einzige der großen Siegermächte und damit an Rußland als Staat und an seine außenpolitischen Ziele gebunden sind. Wir demokratischen Sozialisten dagegen gehen nicht von der Auffassung ab, daß wir uns nach den politischen und sozialen Notwendigkeiten der deutschen arbeitenden Klassen zu richten und von diesem Standpunkt aus die internationale Zusammenarbeit mit allen Arbeiterparteien der Welt zu betreiben haben, die dazu bereit sind. Wir können nicht und wollen nicht das autokratisch gehandhabte Instrument eines fremden imperialen Interesses sein.«

Nach dieser entschiedenen Absage an den Gedanken einer Einheitspartei mit den Kommunisten reduziert sich für K. Schumacher die Frage der einheitlichen Arbeiterpartei auf die »Allianz mit den Absplitterungen« der Jahre vor 1933 und der Emigrationszeit. Er erwähnt das »Aktionsprogramm« der »Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien« aus dem Jahre 1943, will aber »mit Rücksicht auf die notwendige Verschmelzung« kein festumrissenes Parteiprogramm entwerfen, sondern die organisatorischen Voraussetzungen schaffen und eine »grundsätzliche geistige Ausrichtung« vornehmen.
Denn es gebe »unter den besonderen deutschen Verhältnissen ein Funktionieren der Demokratie und damit die Erhaltung des Friedens nur . .., wenn gewisse sozialistische Voraussetzungen erfüllt sind«.
Deshalb müsse, wenn Deutschland ein Hort des Friedens werden solle, die Lahmlegung des Rüstungsapparates von einer Verstaatlichung derjenigen Produktionszweige, die für eine Rüstung in Frage kämen, begleitet sein. Das schließe nicht nur eine Anzahl von Industrien ein, sondern auch den ganzen Apparat des Geld- und Kreditwesens und jene Zweige der Wirtschaft, »deren Kartellierung und Vertrustung eine private einigermaßen schöpferische Unternehmertätigkeit unmöglich« mache. Das gelte schließlich auch für das Agrarkapital des Großgrundbesitzes.
K. Schumacher schließt sein Referat:
»... wenn die Welt ihr Ziel einer grundlegenden und dauernden Veränderung des deutschen Reiches erreichen will, kann sie auf die deutsche Mitarbeit nicht verzichten. Gewiß sind wir schwach, aber wir werden stärker! Je größer unser Erfolg bei der Bekehrung unserer durch die Tyrannei verwilderten und richtungslos gewordenen Mitbürger ist, desto mehr Vertrauen werden wir in der Welt erringen. Wir sagen das ohne Aufgeblasenheit, aber auch ohne Winselei.

Für unsere Ziele, für die unteilbare Dreiheit von Friede, Freiheit und Sozialismus, erstreben wir die Zusammenarbeit mit den vorwärtsdrängenden Kräften in der ganzen Welt, mit der großen Internationale, - der Internationale der Arbeiterklasse und der Internationale aller Menschen des Friedens und der Freiheit.

Wir verzagen vor dieser Aufgabe nicht, und wenn wir in diesem Geiste unserem Volke helfen können, dann nutzen wir der ganzen Menschheit!«


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net edition fes-library | Juni 2001