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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
Frühjahr 1945

Die endgültige Fassung der Vorschläge der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter in Großbritannien »Die neue deutsche Gewerkschaftsbewegung« erscheint, aber nicht als Dokument der Landesgruppe. Sie wird nur von den führenden nichtkommunistischen Mitgliedern der Landesgruppe herausgegeben, da die kommunistischen Vertreter das Programm als Unterstützung der reaktionären Kräfte des Westens ansehen.
In dem Programm heißt es u. a.:
»Wir setzen voraus, daß in Deutschland nach dem Sturz der Nazidiktatur der sofortige Wiederaufbau freier und unabhängiger Gewerkschaften für alle Arbeitnehmer in Angriff genommen werden kann.
Die ersten Formen gewerkschaftlicher Interessenvertretung werden sich aus den Kämpfen der illegalen Organisationen und Kräfte gegen Naziregime und Krieg entwickeln. Betrieblich und örtlich werden sich in Stadt und Land vom Vertrauen der Arbeitenden getragene Ausschüsse bilden.
Örtlich und bezirklich, nach Industrien oder Berufen, werden sich aus diesen Ausschüssen gewerkschaftliche Organisationen bilden.
Vertreter provisorischer Bezirksausschüsse werden die Arbeit der Bezirke zu koordinieren haben, mit dem Ziel der Bildung zentraler Industrie- oder Berufsverbände. Diese sind in einem einheitlichen allgemeinen deutschen Gewerkschaftsbund örtlich, bezirklich und zentral zusammenzufassen.

Alle Gewerkschaften und der Gewerkschaftsbund müssen von Anfang an unabhängig von Unternehmern, Staat und Behörden sein.

Gewerkschaften dürfen in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu politischen Parteien stehen. Mit sozialistischen und anderen demokratischen Parteien verbindet sie die gleiche Zielsetzung: Demokratische Umgestaltung von Staat und Gesellschaft, wirtschaftliche Sicherheit und soziale Gerechtigkeit und Völkerverständigung. Sie erstreben daher Zusammenarbeit mit allen Parteien, die diese Ziele vertreten und die bereit sind, gewerkschaftliche Forderungen in Parlamenten und Öffentlichkeit Geltung zu verschaffen.

Die ersten gewerkschaftlichen Aufgaben werden insbesondere sein:
Mitwirkung bei der Befreiung der politischen Gefangenen und der anderen Opfer des Naziterrors;
Kameradschaftliche Zusammenarbeit mit den noch in Deutschland befindlichen ausländischen Arbeitern zur Verbesserung ihrer Lage;
Mitwirkung bei der Unterstützung und bei der Wiedereingliederung der Opfer des Naziterrors, der Arbeitslosen und der Demobilisierten in den Arbeitsprozeß;
Mitwirkung bei der Liquidierung der DAF und aller anderen Naziorganisationen, bei der Säuberung des öffentlichen Lebens, der öffentlichen Verwaltung und des Wirtschaftslebens und bei Fernhaltung aktiver Nazis und Naziagenten aus den neuen demokratischen Organisationen, dem öffentlichen Leben, der öffentlichen Verwaltung und den wirtschaftlichen Schlüsselpositionen;
Mitwirkung bei der Anpassung der Lohn- und Arbeitsbedingungen an die veränderten Verhältnisse.

Besonders in der Übergangszeit werden die Gewerkschaften auch aktiv mitzuwirken haben bei der Sicherung der Lebensmittelversorgung und der Überwachung der Wohnungs-, Kleidungs- und Brennstoff-Bewirtschaftung; bei der Überwachung und demokratischen Umgestaltung des öffentlichen Lebens, der öffentlichen Verwaltung und des Wirtschaftslebens.

Über die Not- und Sofortmaßnahmen hinaus machen die Gewerkschaften Vorschläge mit dem Ziel des Aufbaus einer dem Frieden dienenden wirklich demokratischen Wirtschaft, in der privilegierte Schichten ausgeschaltet werden und in der Arbeitende und Verbraucher gegen Ausbeutung geschützt sind, der gerechten Verteilung der durch Wiederaufbau und Wiedergutmachung bedingten Lasten unter Verhinderung ihrer Abwälzung auf die Werktätigen.
Eine auf Vollbeschäftigung und Befriedigung des Massenbedarfs ausgerichtete staatliche Wirtschaftsplanung setzt die Lenkung des Kredits und des Außenhandels voraus.
Das Eigentumsrecht der kleinen und mittleren Besitzer und Unternehmer in Handwerk, Landwirtschaft, Handel, Industrie und Finanz wird ausdrücklich anerkannt; das Verfügungsrecht über dieses Eigentum bleibt grundsätzlich bestehen und kann nur durch planwirtschaftliche Maßnahmen im Gesamtinteresse beschränkt werden.
An Ausarbeitung und Durchführung wirtschaftspolitischer Maßnahmen nehmen die Gewerkschaften als unabhängige Vertreter der Arbeitnehmer aktiven Anteil. Sie müssen in den neu zu schaffenden Organen der staatlichen Wirtschaftsplanung und der wirtschaftlichen Selbstverwaltung vertreten sein, um aktiv am Aufbau eines freien demokratischen Deutschlands mitwirken zu können.
Gewerkschaften und Betriebsvertretungen sind an der Leitung größerer Betriebe zu beteiligen.
Sie sehen in der Anwendung genossenschaftlicher Grundsätze ein Mittel, um möglichst viele Arbeitnehmer an der Gestaltung des Produktions- und Verteilungsprozesses verantwortlich zu beteiligen.«



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net edition fes-library | Juni 2001