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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
6./17. Febr. 1945

Weltgewerkschaftskonferenz in London. Die organisatorischen Vorbereitungen liegen beim britischen Trade Union Congress (TUC). Auf der Konferenz sind 46 Länder mit 63 Organisationen durch 204 Delegierte und Beobachter vertreten, die insgesamt etwa 60 Millionen Mitglieder haben. Hinzu kommen 13 Internationale Berufssekretariate, die Lateinamerikanische Föderation, eine Reihe christlicher Gewerkschaften und der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB).
Aus den USA nimmt nur die Congress of Industrial Organization (CIO) nicht aber die dem IGB angeschlossene American Federation of Labor (AFL) teil, die eine freigewerkschaftliche Gemeinsamkeit mit kommunistischen Gewerkschaften nicht für möglich hält.

Auf der Konferenz kommt es zu Meinungsverschiedenheiten. Die meisten Mitgliedsorganisationen des IGB wollen dessen Apparat in den Dienst der neuen Internationale stellen und seine Ausweitung zur Weltorganisation durch Aufnahme der bisher Außenstehenden, bei gleichzeitiger Reform der Satzung, erreichen, die Kommunisten dagegen eine völlig neue, von keiner Tradition belastete Internationale.

Die Konferenz entscheidet sich zugunsten der Anhänger einer völlig neuen Organisation; das Programm entspricht jedoch fast genau den IGB-Vorlagen. Die christlichen Gewerkschaften halten sich zurück, die AFL erklärt, daß sie an der geplanten Internationale nicht teilnehmen werde.

Die endgültige Gründung eines neuen internationalen Gewerkschaftsbundes soll auf einem späteren Kongreß vollzogen werden.
In einer Entschließung »Einstellung der Gewerkschaften zur Friedensgestaltung« wird die Liquidierung des Nazisystems, die Auflösung aller Naziorganisationen und die Beschlagnahme ihrer Vermögenswerte verlangt. Nicht nur die deutsche Schwerindustrie, sondern auch das Transportwesen, die Banken sowie landwirtschaftliches und anderes Eigentum, das sich im Besitz von »Trusts, Kartellen, Finanzgewaltigen und Junkern« befindet, sind unter alliierte Kontrolle zu stellen. Die deutsche Industrie und sonstige deutsche Hilfsquellen sollen für die Wiederaufrichtung aller geschädigten Länder Verwendung finden, und es soll dafür Vorsorge getroffen werden, daß die in anderen Ländern durch Zerstörung und Plünderung angerichteten Schäden wiedergutgemacht werden. Die Verwendung deutscher Arbeitskräfte beim Wiederaufbauwerk wird in Aussicht genommen, doch dürften die Arbeitsbedingungen nicht zu einer Herabwürdigung der Menschen führen.

Im Zusammenhang mit der Verwendung deutscher Arbeitskräfte heißt es: »Verbunden mit solcher notwendigen Organisation der deutschen Arbeiter ist die Aufgabe der vollständigen und unwiderruflichen Auflösung der Deutschen Arbeitsfront und – unter internationaler Gewerkschaftsüberwachung - die Aufrichtung einer demokratischen Gewerkschaftsbewegung in Deutschland so schnell wie möglich während der Periode der Besatzung«.

Die Entschließung betont die Notwendigkeit der Verfolgung der Kriegsverbrecher überall, nicht nur in Deutschland, und verweist auf die Hilfe, die die Gewerkschaftsbewegung auf den Gebieten der Erziehung und Bildung, der Propaganda sowie der Literatur und der Presseerzeugnisse zu geben imstande und bereit ist.
Die Ansprüche der Gewerkschaften, in allen internationalen Konferenzen vertreten zu sein, werden angemeldet, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um die Behandlung wirtschaftlicher, sozialer oder politischer Probleme handelt.
Die Konferenz verabschiedet einstimmig eine »Charta der Grundrechte der Gewerkschaften und Arbeiter«:
»a) Arbeiter sollen frei sein, sich in Gewerkschaften zu organisieren und sich frei zu betätigen in allen normalen gewerkschaftlichen Aktivitäten einschließlich des Abschlusses von Tarifverträgen.
b) Arbeiter sollen frei sein, Genossenschaften und andere gemeinsame Hilfsorganisationen zu gründen.
c) Freiheit der Rede, der Presse, des Versammlungsrechtes und die Freiheit des religiösen und politischen Zusammenschlusses soll bestehen.
d) Jede Form politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Diskriminierung, ganz gleich, ob aus Gründen der Rasse, der Hautfarbe, des Glaubens oder des Geschlechts soll ausgerottet werden. In diesem Sinne soll der Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche Arbeit verwirklicht werden. Wenn junge Leute die Arbeit Erwachsener verrichten, sollen sie auch ihre Löhne erhalten.
e) Allen Menschen soll Gleichberechtigung in Schule, Bildung und Berufswahl gegeben werden.
f) Geeignete Arbeitsmöglichkeiten bei angemessener Entlohnung sollen allen zur Verfügung stehen, die auf Arbeit angewiesen sind.
g) In allen Umständen und Wechselfällen des Lebens soll ausreichender Schutz bestehen, und soziale und wirtschaftliche Sicherheit soll für jeden garantiert sein.«

Bis zur Wiedereinberufung der Weltkonferenz soll als verantwortliche Körperschaft für die in London vertretenen Organisationen das »World Trade Union Conference Continuation Committee« sprechen und handeln.


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net edition fes-library | Juni 2001