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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
Sept./Okt. 1934

Der »Arbeitskreis revolutionärer Sozialisten«, aus dem die Gruppe »Revolutionäre Sozialisten Deutschlands« (RSD) hervorgeht, veröffentlicht ein ausführliches Diskussionsprogramm: »Der Weg zum sozialistischen Deutschland, Plattform für die Einheitsfront«. Zu den Verfassern zählen F. Böchel, S. Aufhäuser, F. Bieligk, M. Seydewitz, und F. Sternberg.
Für den illegalen Kampf gegen das nationalsozialistische Regime müsse in Deutschland ein »Netz von Kaderorganisationen« aufgebaut werden. Diese »revolutionäre Kerntruppe« soll in der nächsten Phase eine »Volksbewegung« mobilisieren und dann führen.
»Alle aktiven revolutionären Kräfte sollen in ihren verschiedensten Organisationen, die aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und die Aufgabe der Zeit erkannt haben, weiter wirken, damit sich eine einheitliche Ideologie des revolutionären Proletariats formt. Diese Gruppen sollen durch >Einheitsaktionen< ihre Isolierung überbrücken und schließlich über die >Einheitsfront< zur revolutionären Einheitspartei gelangen.
Überwindung des Faschismus bedeutet unerbittlichen Kampf zur Beseitigung der bürgerlich-kapitalistischen Herrschaft. Die Realisierung des Sozialismus ist auf die Tagesordnung gesetzt. In den kommenden Entscheidungskämpfen wird um die ganze Macht -
um das ganze System gerungen werden müssen. Die faschistische Gewaltherrschaft in Deutschland kann nur durch eine Revolution gestürzt werden.
Die SPD und die KPD sollten bei dem ideologischen Neuaufbau der Gesamtbewegung nicht den Ehrgeiz haben, unter allen Umständen zwei neue Theorien zu gestalten: Schluß mit der Spaltung!
Noch stehen wir am Anfang der revolutionären Entwicklung, auch wenn die jetzt schon sichtbar gewordene Zersetzung des Hitler-Regimes vielfach die Hoffnung auf seinen Zusammenbruch erweckt.

Die Nationalsozialisten haben Deutschland nach 20 Monaten brauner Barbarei zugrunde gerichtet. Dennoch wäre es eine Illusion zu hoffen, daß die faschistische Diktatur an ihren inneren Schwierigkeiten automatisch scheitern und mechanisch in sich zusammenbrechen müßte. Trotz innerer Zersetzungserscheinungen und immanenter Widersprüche wird das Regime nicht freiwillig abdanken, mit ihm muß gekämpft werden.

Von der Arbeiterklasse, ihrem Wissen und Wollen und ihrer Kampfbereitschaft, von ihrer Fähigkeit, spontan aufbrechende Unzufriedenheit der Massen zu nutzen, zu steigern und zu führen, hängt es ab, wann die faschistische Diktatur gestürzt werden wird. Der Sozialismus ist der einzig dauernde Ausweg aus der furchtbaren Katastrophe, aber die Menschen müssen ihn wollen und erkämpfen.

Eine Voraussetzung zur Gestaltung der neuen revolutionären Kraft ist eine neue revolutionäre Doktrin.

Der Reformismus ist nicht jetzt erst unter dem Diktat des Faschismus zur Unmöglichkeit geworden, sondern war ein verhängnisvoller Irrweg von Anfang an.

Der Reformismus hat die Demokratie verspielt, weil er nie ernsthaft den Kampf um die Demokratie führte und weil er stets davor zurückgeschreckt ist, die Massen auch nur für die Erhaltung und den Ausbau der Demokratie einzusetzen.

Der Verlauf der Geschichte der KPD ist die Geschichte einer politischen Bewegung, die sich nie in der Gesamtbewegung des Proletariats vollzog, sondern immer neben dieser herlief.

Die Möglichkeit, die vom Reformismus enttäuschten Arbeiter für die kommunistische Bewegung aufzufangen und den proletarischen Zustrom zum Faschismus abzustoppen, scheiterte an der Einstellung des kommunistischen Parteiapparates, der dem Diktat Moskaus unterstand, keine eigene Entschlußfreiheit, keine Kontrolle und Mitbestimmung der Mitglieder hatte. Trotzdem ist die Verteidigung der Sowjetunion für die revolutionären Sozialisten eine Selbstverständlichkeit.

Nach der revolutionären Eroberung der Macht wird die Diktatur des Proletariats die unerläßliche Herrschaftsform zur Erkämpfung des klassenlosen sozialistischen Gemeinwesens sein. Träger in der Diktatur wird die geeinte revolutionäre Partei sein und unter deren Führung werden die von den werktätigen Massen gewählten Räte die Macht ausüben, in deren Händen gleichzeitig Legislative und Exekutive liegen.«

Im gleichen Heft antworten C. Geyer und P. Hertz. Sie lehnen diese Plattform entschieden ab. Nach C. Geyer ist das Programm vom autoritären Geist des Leninismus heimgesucht und mit dem gleichen »pervertierten« Sozialismus durchsetzt, der zum »stalinistischen Caesarismus« geführt habe. Der Kampf gegen den Faschismus könne nur der Kampf für die Freiheit, für demokratische Rechte... für die Wiedererrichtung der Demokratie sein. P. Hertz lehnt die Einheitsfront-Kampagne als ein kommunistisches Manöver, sich die sozialdemokratischen Massen einzuverleiben, ab.
Die Mehrheit des Sopade-Vorstandes könne die »systematische Anwendung der Prinzipien und Erfahrungen Sowjetrußlands« auf Deutschland nicht billigen; sie wolle nicht die eine Diktatur durch die andere ersetzen, sondern Deutschland »ein System der wirklichen Freiheit und der sozialistischen Erneuerung« bringen. Wenn daher die Sopade jede Art der Zusammenarbeit mit den Kommunisten ablehne, dann tue sie das, erklärt P. Hertz, weil sie glaube, daß solche Zusammenarbeit im Kampf gegen A. Hitler nur ein unnötiges Handicap sei.
Das Programm wird zunächst auch von den Kommunisten abgelehnt. Die »Rote Fahne« schreibt, um der wirklichen proletarischen Einheit willen müßten diese »linken Manöver« der bankrotten reformistischen Führer schnell und gründlich zunichte gemacht werden und W. Ulbricht erklärt, echte Einheit verlange, daß alle, die es anginge, die Prinzipien und die Autorität der Kommunistischen Internationale (Kl) rückhaltlos billigen.



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net edition fes-library | Juni 2001