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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
28. Jan. 1934

Der »Neue Vorwärts« veröffentlicht die programmatische Erklärung der Sopade »Kampf und Ziel des revolutionären Sozialismus« (das sogenannte »Prager Manifest«):
Der Sieg der deutschen Gegenrevolution habe Wesen und Aufgabe der deutschen Arbeiterbewegung geändert. Im Kampf gegen die nationalsozialistische Diktatur gebe es keine Kompromisse, sei für Reformismus und Legalität keine Stätte. Die sozialdemokratische Taktik sei allein bestimmt durch das Ziel der Eroberung der Staatsmacht. Der revolutionäre Kampf erfordere die revolutionäre Organisation. Die alte Form, der alte Apparat seien nicht mehr, und Versuche zu seiner Wiederbelebung entsprächen nicht den neuen Kampfbedingungen. Neue Organisationsformen mit opferbereiten Kämpfern müßten entstehen. Kleine Gruppen sollten sich bilden, sie müßten in teuer erkauften Erfahrungen die Technik ihrer Arbeit erwerben - eine Elite von Revolutionären.

In den Dienst der revolutionären Organisation habe sich von Anfang an die Leitung der deutschen Sozialdemokratie im Ausland gestellt und für die Erfüllung dieser Aufgabe ihre Kräfte und Mittel eingesetzt.

Die Kämpfe um die Sicherung der Lebenshaltung der Arbeitenden und um die Wiedereingliederung der Arbeitslosen in den Produktionsprozeß mit allen Kräften zu fördern, die Front der kämpfenden Arbeiter zu verbreitern, den notwendigen inneren Zusammenhang dieser Kämpfe mit dem Ziel des Sturzes der Diktatur den Kämpfenden zum Bewußtsein zu bringen, sei eine der ersten Aufgaben der revolutionären Arbeit. Die Wiedereroberung demokratischer Rechte werde zur Notwendigkeit, um die Arbeiterbewegung als Massenbewegung wieder möglich zu machen und den sozialistischen Befreiungskampf wieder als bewußte Bewegung der Massen selbst zu führen.

Der Sturz der Despotie werde sich, wenn nicht äußere Katastrophen ihn herbeiführen, nur in der gewaltsamen Niederringung, nur durch den Sieg im revolutionären Kampfe vollziehen. Er werde sich ergeben, wenn die Bedingungen einer objektiv revolutionären Situation ausgenützt werden von einer entschlossenen, von radikalen Kampfgeist durchseelten von einer erfahrenen Elite geführten Partei des revolutionären Sozialismus. Er könne nur erwachsen aus der Tat der Massen selbst.

Es sei nicht Aufgabe der Sozialdemokratie, auf den Sturz der Despotie durch den Krieg zu hoffen. Es sei vielmehr ihre Aufgabe, den Krieg zu verhindern. Deshalb verwerfe sie alle militärischen Konzessionen an Hitler-Deutschland. Sie warne die Arbeiterparteien aller Länder, die Gefahr des deutschen Nationalismus zu unterschätzen. Gleichberechtigung der Demokratien, aber keinerlei Aufrüstung für eine kriegslüsterne Diktatur! Sollte der Krieg ausbrechen, so würden die deutschen Sozialdemokraten der Despotie unverändert in unversöhnlicher Feindschaft gegenüberstehen.
Die Sozialdemokratie werde sich mit Entschiedenheit gegen jeden Versuch von außen wenden, einen kriegerischen Zusammenbruch der Despotie in Deutschland zu einer Zerstückelung Deutschlands auszunutzen. Sie werde keinen Frieden anerkennen, der zur Zerreißung Deutschlands führe und eine Hemmung seiner freiheitlichen und wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten bedeute.

»Mit dem Sieg des totalen Staates ist die Frage seiner Überwindung mit grausamer Eindeutigkeit gestellt. Die Antwort lautet:
Totale Revolution, moralische, geistige, politische und soziale Revolution!

In diesem Kampfe wird die Sozialdemokratische Partei eine Front aller antifaschistischen Schichten anstreben. Sie wird die Bauern, die Kleingewerbetreibenden, die Kaufleute, die durch die Versprechungen der Nationalsozialisten betrogen sind, sie wird die Intellektuellen, die unter dem gegenwärtigen Regime ein bisher unvorstellbares Maß der Unterdrückung und Entwürdigung erleiden, zum gemeinsamen Kampf mit der Arbeiterklasse aufrufen.
Wir haben den Weg, wir haben das Ziel des Kampfes gezeigt. Die Differenzen in der Arbeiterbewegung werden vom Gegner selbst ausgelöscht. Die Gründe der Spaltung werden nichtig. Der Kampf zum Sturz der Diktatur kann nicht anders als revolutionär geführt werden. Ob Sozialdemokrat, ob Kommunist, ob Anhänger der zahlreichen Splittergruppen, der Feind der Diktatur wird im Kampf durch die Bedingungen des Kampfes selbst der gleiche sozialistische Revolutionär. Die Einigung der Arbeiterklasse wird zum Zwang, den die Geschichte selbst auferlegt.

Die Führung der deutschen Sozialdemokratie weiß sich deshalb frei von jeder sektenhaften Abschließung und ist sich ihrer Mission bewußt, die Arbeiterklasse in einer politischen Partei des revolutionären Sozialismus zu vereinigen. Wie sie die illegale Arbeit aller Gruppen, die den Kampf gegen die Diktatur und nicht gegen andere Parteien der Arbeiterklasse führen, zu unterstützen bereit ist, so öffnet sie ihre Zeitungen, Zeitschriften und Publikationen allen Diskussionen über die Probleme des revolutionären Sozialismus, der Machteroberung und Machtbehauptung in der Überzeugung, daß nur aus gemeinsamer geistiger Arbeit die Verwirklichung des einheitlichen revolutionären sozialistischen Bewußtseins der Arbeiterklasse erstehen kann. Aber sie lehnt es ab, die Selbstzerfleischung zuzulassen, die um der Frage der Ausnutzung noch nicht errungener Siege willen die Spaltung der Arbeiterklasse, den sichersten Schutz der Diktatur, verewigen will.

Gegen die faschistische Barbarei führen wir den Kampf für die großen und unvergänglichen Ideen der Menschheit. Wir sind die Träger der großen geschichtlichen Entwicklung seit der Überwindung der mittelalterlichen Gebundenheit, wir sind die Erben der unvergänglichen Überlieferungen der Renaissance und des Humanismus, der englischen und der französischen Revolution. Wir wollen nicht leben ohne Freiheit und wir werden sie erobern. Freiheit ohne Klassenherrschaft, Freiheit bis zur völligen Aufhebung aller Ausbeutung und aller Herrschaft von Menschen über Menschen:

Es lebe die deutsche revolutionäre Sozialdemokratie, es lebe die Internationale!«

Trotz dieses Manifestes wird indessen der Sopade-Vorstand vom linken Flügel der SPD-Emigranten- u. a. S. Aufhäuser, K. Böchel, A. Schifrin - in der folgenden Zeit heftig attackiert: Der Exilvorstand habe kein Mandat, ein neues Programm herauszugeben.
Der Rest des ehemaligen sozialdemokratischen Parteivorstandes sei nicht die Führung des revolutionären sozialistischen Kampfes in Deutschland, sondern nur die Vertretung des konservativsten Teiles der Reste der ehemaligen Partei, das politische Mandat des Vorstandes sei erloschen. Es müsse eine neue Führung eingesetzt werden, die über die Unterstützung der Widerstandsbewegung verfügen könne.



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net edition fes-library | Juni 2001