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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
1. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1975.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
10./16. Sept. 1911

Parteitag in Jena, 338 Delegierte. Tagesordnung: Die Reichsversicherungsordnung (H. Molkenbuhr); die Reichstagswahlen (A. Bebel); die Maifeier (W. Pfannkuch).

In seiner Eröffnungsrede sagt A. Bebel zur Marokkokrise: »Wir werden einem Zustand entgegengehen, der meiner Überzeugung nach nur noch mit einer großen Katastrophe enden kann und enden muß«.

In der Diskussion über den Marokkokonflikt wird dem Parteivorstand vorgeworfen, er habe es in dieser Situation an Initiative mangeln lassen. Bei der drohenden Kriegsgefahr habe er nicht schnell genug eine Friedensaktion entfaltet, ein Vorwurf, der von den Parteivorstands-Mitgliedern zurückgewiesen wird.

Der Parteitag erhebt nachdrücklichsten Protest gegen jeden Versuch, einen männermordenden Krieg zwischen Kulturvölkern hervorzurufen, der notwendig ein Weltkrieg werden müßte und mit einer allgemeinen Katastrophe enden würde. Der Parteitag erwartet, daß insbesondere die deutsche Arbeiterklasse jedes mögliche Mittel anwendet, um einen Weltkrieg zu verhindern. Er fordert die sofortige Einberufung des Reichstages, damit der Volksvertretung Gelegenheit gegeben werde, ihre Meinung zu äußern und den volksfeindlichen Machinationen entgegenzutreten. Die Fraktion wird darüber hinaus ersucht, einen Antrag einzubringen, wonach die Reichsregierung verpflichtet werden könne, in Fällen internationaler Verwicklungen den Reichstag einzuberufen und die gewählte Volksvertretung über die Verhandlungen mit den auswärtigen Regierungen zu unterrichten. Unter stürmischer Zustimmung des Parteitages erwähnt A. Bebel, daß er schon 1904 gegenüber Reichskanzler B. v. Bülow gesagt habe, wenn ein großer Krieg komme, stehe die Existenz der bürgerlichen Gesellschaft auf dem Spiele, und nicht die Sozialdemokraten seien es, die das herbeigeführt hätten. Der Parteitag beschließt die Richtlinien für das Verhalten bei den Stichwahlen. Gewählt werden dürfen nur die Kandidaten, die sich unter Zeugen oder schriftlich verpflichten, einzutreten für die Aufrechterhaltung des Reichstagswahlrechts, gegen eine Beschränkung des Vereins-, Versammlungs- und Koalitionsrechts, gegen eine Verschärfung der sogenannten politischen Paragraphen des Strafrechts, gegen Ausnahmegesetze, gegen jede Erhöhung oder Neueinführung von Zöllen und indirekten Steuern.

Gegen die Verfolgung der proletarischen Jugendbewegung durch Polizei, Schulaufsichtsbehörde und Justiz wird entschieden protestiert. Alle jugendlichen Arbeiter und Arbeiterinnen werden vor dem Eintritt in bürgerliche Jugendvereine und vor der Teilnahme an bürgerlichen Jugendbestrebungen gewarnt.

Die Reichstagsfraktion soll sofort bei Zusammentritt des Reichstages beim Reichskanzler über die Teuerung interpellieren. Der Parteitag verabschiedet Forderungen, die der Lebensmittelteuerung entgegenwirken sollen.

Der Parteitag beschließt, zwei weitere Parteisekretäre einzustellen und eine Kommission zu wählen, die eine Reorganisation des Parteivorstandes und der Kontrollkommission beraten und darüber dem nächsten Parteitag berichten soll.

Gegen alle Parteimitglieder, die sich weigern, dem Nürnberger Beschluß von 1908 nachzukommen, einen Tagesverdienst am 1. Mai zu zahlen, soll das Ausschlußverfahren eingeleitet werden. Zu Vorsitzenden der Partei werden bei 393 gültigen Stimmen A. Bebel (390) und H. Haase (283) gewählt. F. Ebert wurde vorgeschlagen, verzichtete auf eine Kandidatur, trotzdem werden für ihn 102 Stimmen abgegeben. Zum Kassierer wird A. Gerisch (392), zu Schriftführern (Sekretären) 0. Braun (373), F. Ebert (379), H. Molkenbuhr (389), H. Müller (170), W. Pfannkuch (390) und Ph. Scheidemann (355), als Beisitzerin Luise Zietz (389), ebenso L. Liepman und R. Wengels wiedergewählt. Zu Kontrolleuren werden gewählt: A. Kaden (368), W. Bock (363), E. Ernst (361), F. Brühne (354), J. Timm (298), A. Geck: (274), Clara Zetkin (264), H. Stubbe (261) und C. Hengsbach (247).


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net edition fes-library | Juni 2001