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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
1. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1975.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
13./19. Sept. 1908

Parteitag in Nürnberg, 312 Delegierte. Tagesordnung: Maifeier (R. Fischer); Sozialpolitik und der neue Kurs (H. Molkenbuhr); die Reichsfinanzreform (F. Geyer); Budgetbewilligung (A. Bebel). Der Parteitag beschäftigt sich mit der Maifeier; der Parteivorstand wird beauftragt, über die Unterstützungsfrage noch einmal mit der Generalkommission zu verhandeln. Die Angestellten der Partei und die Parteimitglieder, die am 1. Mai feiern und keinen Lohnausfall erleiden, seien verpflichtet, einen Tagesverdienst in die Aussperrungskasse zu zahlen.

Über die Budgetbewilligung wird lebhaft diskutiert. Mit 258 gegen 119 Stimmen werden die Resolutionen von Lübeck und Dresden bestätigt: Jeder gegnerischen Regierung ist das Staatsbudget bei der Gesamtabstimmung zu verweigern, es sei denn, daß die Ablehnung die Annahme eines für die Arbeiterklasse ungünstigeren Budgets zur Folge haben würde. Zu dieser Abstimmung geben 66 süddeutsche Delegierte eine Erklärung ab, in der sie dem Parteitag die oberste Entscheidung in allen prinzipiellen und in den taktischen Angelegenheiten, die das ganze Reich berühren, zuerkennen. In allen speziellen Landesangelegenheiten sei die Landesorganisation die geeignete und zuständige Instanz, den Gang der Landespolitik selbständig zu bestimmen. Die jeweilige Entscheidung über die Budgetabstimmung müsse dem pflichtgemäßen Ermessen der ihrer Landesorganisation verantwortlichen Landtagsfraktion vorbehalten bleiben.

Der Parteitag verlangt zur Sozialpolitik die baldige Verwirklichung der in München aufgestellten Forderungen zur Arbeiterversicherung, die Schaffung eines einheitlichen Arbeiterrechts und gesetzliche Vorschriften für Wohlfahrtseinrichtungen. Er wendet sich entschieden gegen die vorgesehene Reichsfinanzreform, die nur wieder die Erhöhung und Einführung neuer indirekter Steuern vorsehe. Die Einführung einer stufenweise steigenden Reichs-Einkommen- und -Vermögenssteuer und die Reform der Erbschaftssteuer werden gefordert.

Der Parteitag empfiehlt Rekrutenabschiedsfeiern, in denen die zum Militär einberufenen Parteigenossen an ihre innere Zusammengehörigkeit erinnert und über ihre militärischen Rechte und Pflichten aufgeklärt werden sollen.

Die Ausnahmegesetze gegen die Polen, besonders das Verbot der Muttersprache in öffentlichen Versammlungen, werden abgelehnt. Dem Proletariat Deutschlands wird es zur besonderen Pflicht gemacht, mit allen in Betracht kommenden Mitteln für die Überwindung des chauvinistischen Geistes und die Sicherung des Friedens einzutreten.

Der Parteitag spricht sich - wie die Gewerkschaften - für die Bildung von Jugendausschüssen aus.

Mit den Zielen und Bestrebungen der Parteimitglieder sei es unvereinbar, Mitglied der Deutschen Turnerschaft zu sein. Der Parteitag fordert zum Austritt aus der Deutschen Turnerschaft auf und empfiehlt die Mitgliedschaft im Arbeiter-Turnerbund.

Bei 363 gültigen Stimmen werden gewählt: A. Bebel (359), P. Singer (297), A. Gerisch (357), F. Ebert (331), H. Molkenbuhr (356), H. Müller (357), W. Pfannkuch (294), Luise Zietz (224); als Kontrolleure bei 363 gültigen Stimmen: A. Kaden (275), Clara Zetkin (274), W. Bock (249), H. Koenen (244), 0. Braun (214), A. Geck (241), E. Ernst (240), F. Brühne (240), J. Timm (169).

Beisitzer bleiben W. Eberhardt und R. Wengels.


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net edition fes-library | Juni 2001