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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
1. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1975.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
14 /20 Okt. 1891

Parteitag in Erfurt 230 Delegierte Tagesordnung Die parlamentarische Tätigkeit der Reichstagsfraktion (H Molkenbuhr) ,die Taktik der Partei (A Bebel); Beratung des Programmentwurfs (W Liebknecht). Im Bericht des Parteivorstandes wird auf die zahlreichen Provinzial- und Landesparteitage oder Konferenzen des letzten Jahres hingewiesen. Im Mittelpunkt der Beratungen stehen die Annahme des Programms und die Auseinandersetzungen über die Taktik der Partei. Die Kritik richtet sich gegen G. v. Vollmar und die Angriffe der oppositionellen »Jungen«, die vor allem mit außerparlamentarischen Parolen gegen die »Führer« polemisieren Die Berliner Gruppe der »Jungen« wird aus der Partei ausgeschlossen Gegen G. v. Vollmar nimmt der Parteitag eine von A. Bebel vorgelegte Resolution an, daß kein Grund vorliege, die Taktik der Partei zu ändern.

Der Parteitag verabschiedet ein neues Programm, das sogenannte »Erfurter Programm«. Den theoretischen Teil hat K. Kautsky ausgearbeitet: »Die ökonomische Entwicklung ... trennt den Arbeiter von seinen Produktionsmitteln und verwandelt ihn in einen besitzlosen Proletarier, indes die Produktionsmittel das Monopol einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Kapitalisten und Großgrundbesitzern werden ... Immer größer wird die Zahl der Proletarier ... immer schroffer der Gegensatz zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, immer erbitterter der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat... Nur die Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln ... in gesellschaftliches Eigentum und die Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische, für und durch die Gesellschaft betriebene Produktion kann es bewirken, daß der Großbetrieb und die stets wachsende Ertragsfähigkeit der gesellschaftlichen Arbeit für die bisher ausgebeuteten Klassen aus einer Quelle des Elends und der Unterdrückung zu einer Quelle der höchsten Wohlfahrt und allseitiger, harmonischer Vervollkommnung werde. Diese gesellschaftliche Umwandlung bedeutet die Befreiung nicht bloß des Proletariats, sondern des gesamten Menschengeschlechts... Aber sie kann nur das Werk der Arbeiterklasse sein...

Der Kampf der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Ausbeutung ist notwendigerweise ein politischer Kampf. Die Arbeiterklasse kann ihre ökonomischen Kämpfe nicht führen und ihre ökonomische Organisation nicht entwickeln ohne politische Rechte. Sie kann den Übergang der Produktionsmittel in den Besitz der Gesamtheit nicht bewirken, ohne in den Besitz der politischen Macht gekommen zu sein.

Diesen Kampf der Arbeiterklasse zu einem bewußten und einheitlichen zu gestalten und ihm sein naturnotwendiges Ziel zu weisen - das ist die Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei. . . .

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands kämpft... für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst und für gleiche Rechte und Pflichten aller ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung . . .«

Den praktischen Teil hat E. Bernstein bearbeitet. In ihm fordert die SPD vor allem die Erweiterung der politischen Rechte, Gleichberechtigung der Frau, Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung; Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit; Volkswehr; Weltlichkeit und Unentgeltlichkeit der Schulen; Unentgeltlichkeit der ärztlichen Hilfeleistung; Abschaffung der indirekten Steuern und eine wirksame nationale und internationale Arbeiterschutzgesetzgebung.

Der Parteitag verlangt von den Vertretern der Partei, daß sie fest und entschlossen im Sinne des Parteiprogramms wirken und - ohne auf die Erlangung von Konzessionen seitens der herrschenden Klassen zu verzichten - immer das ganze und letzte Ziel - die Eroberung der politischen Macht - im Auge haben sollen.

Die Reichstagsfraktion wird beauftragt, im Reichstag die Abschaffung des in Elsaß-Lothringen existierenden Diktatur-Paragraphen und der Presse-, Vereins- und Versammlungsgesetze zu beantragen.

Als Parteivorsitzende erhalten P. Singer 221, A. Gerisch 220, als Sekretäre I. Auer 219, R. Fischer 165 und A. Bebel als Kassierer 220 Stimmen. Als Kontrolleur wird H. Meister für C. Behrend gewählt; die anderen Mitglieder werden bestätigt.


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net edition fes-library | Juni 2001