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34. IALHI-Konferenz in Dublin : ein Tagungsbericht / Rüdiger Zimmermann - [Electronic ed.] - 23 KB, Text
Erscheint in: Mitteilungen des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung. - Nr. 25 (2004)
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2003

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT


34. IALHI-Konferenz in Dublin.
Ein Tagungsbericht

Vom 03. bis zum 06. September 2003 tagte in der Liberty Hall in Dublin die 34. Konferenz der International Association of Labour History Institutions (IALHI). Die Konferenz wurde von der Irish Labour History Society (ILHS) organisiert. Die ILHS besteht seit 1973; sie ist institutionell unabhängig. In der Society haben sich Historiker, Gewerkschafter und an der Arbeiterbewegung Interessierte zusammengeschlossen. Die ILHS unterhält ein eigenes Archiv und eine kleine Bibliothek. Mit der Gründung fand sich erstmals in der irischen Geschichte eine Organisation zusammen, die sich ausschließlich für die Sicherung und Erschließung der Quellen der irischen Arbeiterbewegung verantwortlich fühlte.

Die Irish Labour History Society wird von großem Engagement getragen. Es gibt keine hauptamtlich Beschäftigten. Ehrenamt und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind die Säulen der Arbeit. Die Gesellschaft gibt ein wissenschaftliches Fachorgan "Saothar" heraus.

Die IALHI-Tagung fand mit finanzieller und organisatorischer Unterstützung der irischen Gewerkschaftsbewegung statt. Hauptsponsor war die Services Industrial Professional Technical Union (SIPTU), die als größte und bedeutendste Gewerkschaft (sie organisiert 95% der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes) ihr Tagungszentrum in der traditionsreichen "Liberty Hall" zur Verfügung stellte.

Die Vorträge bestanden aus einem "irischen Block" und einem Vortragskranz, der ausschließlich von Beiträgen über den ,Einsatz digitaler Techniken in den verschiedenen internationalen Bibliotheken und Archiven' gespeist wurde.

Im "irischen Vortragszyklus" präsentierten der vormalige "Financial Secretary" der irischen Labour Party Aidan McNamara und Barry Desmond, ehemaliger stellvertretender Parteivorsitzender, Gesundheitsminister und Europaabgeordneter, eine CD-ROM "The Irish Labour Party - 100 Years Remembered", die ausschließlich für die Konferenz produziert worden war. Für die Zuhörer wurden die historischen Besonderheiten der irischen Arbeiterbewegung deutlich, die sich zwischen nationalem Emanzipationskampf, sozialrevolutionärem Nationalismus und dem Kampf um die Verbesserung der Lebensbedingungen völlig anders positionieren musste als die traditionellen Organisationen Westeuropas.

Francis Devine vom SIPTU-College Dublin führte mit seinem Vortrag "Labour Archives in Ireland" in die spezifische Archivproblematik des Landes ein. Irische Arbeiterbewegung fand über viele Jahrzehnte ausschließlich ihren Niederschlag in den Polizeiakten staatlicher Archive in Großbritannien und der irischen Republik. Für die genuinen Organisationsakten fand sich keine qualifizierte Sammelstelle. Die meisten alten Gewerkschaftsakten müssen als verschollen gelten. Eine reiche Überlieferung bilden indes die erhaltenen Zeitschriften der irischen Arbeiterbewegung.

Jack McGinley, Präsident der Irish Labour History Society und amtierender Vorsitzender der Konferenz, instruierte die Teilnehmer über die radikale Veränderung der irischen Gesellschaft in den letzten zwanzig Jahren und die Auswirkungen des sozialen Wandels auf die irische Gewerkschaftsbewegung.

Der "digitale" Vortragszyklus wurde von Lucas Bevil vom Labour Research Service aus Südafrika eröffnet. Er präsentierte den bemerkenswerten Internetauftritt seines Instituts zur Geschichte der südafrikanischen Arbeiterbewegung (www.Labourhistory.org.za). Das "weltweite Netz" soll nach dem Willen der südafrikanischen Kollegen nicht nur Wissenschaftler miteinander vernetzen, sondern soll auch als Element umfassender Erwachsenenbildung der südafrikanischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung dienen. Präsentiert und dokumentiert werden Plakate, programmatische Dokumente und autobiographische Zeugnisse (z.B. Erlebnisberichte über den jüngsten Streik im südafrikanischen Hotelgewerbe).

Donald Weber vom Institute of Social History (AMSAB) in Gent stellte das ambitionierte Projekt "Odis. A Database of Intermediary Structures" vor. Gesponsert wird das weitgefächerte Vorhaben von der "Flemish Foundation for Scientific Research". Neben dem AMSAB nehmen noch drei weitere "bürgerliche" flämische Forschungseinrichtungen teil. Herzstück des Gemeinschaftsprojekts ist eine Datenbank (www.odis.be), die nachhaltig Informationen zur sozialen Bewegung Flanderns und Belgiens im weitesten Sinne dokumentieren soll. Sie wird Informationen zu Organisationen ebenso erhalten wie biographische Details handelnder Personen, soweit die Informationen sich mit dem belgischen Recht in Übereinklang befinden.

Marcus Sommerstange von der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung skizzierte in seiner Präsentation "Socialist Internationals - a Bibliography. The Database" die Konversion der gedruckten Bibliographie von Gerd Callesen in einer eigenen Datenbank:

(http://library.fes.de/library/english/si.html.)

Der Vortrag, der bei allen internationalen Teilnehmern großen Anklang fand, stellte vor allem auf den "informatorischen Mehrwert" ab, der durch die Datenbankstruktur gewonnen wird. Die Bibliographie ist nun ein lebendiges Projekt, dessen Weiterführung in der Zukunft fachlich kompetent von der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung betrieben wird.

Barbara Richter vom Archiv der sozialen Demokratie (www.fes.de/archive/index_gr.html) führte in die neue Struktur des Internetangebots der diversen Sammlungen des Archivs ein. Der neue ,E-Server' auf der Basis der neuesten Version der Archivverwaltungssoftware "Faust" ermöglicht einen benutzerfreundlichen Zugriff. Die Zugriffszahlen von 255.000 Hits pro Monat dokumentieren ein explosionsartiges Wachstum der Benutzung "aus der Ferne" und bestätigen den eingeschlagenen Weg des Archivs.

Rüdiger Zimmermann von der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung legte ein Papier über die erfolgreiche Digitalisierung zweier sozialdemokratischer Pressedienste vor. Der Beitrag "Post-war history at a glance; retrospective digitisation of social-democratic press services" beschreibt den zusätzlichen Benutzerkomfort, der durch die beiden Projekte der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die moderne Forschung erzielt werden konnte. Beide retrodigitalisierten Pressedienste sind im Netz abrufbar:

Christine Coates konnte in ihrem Beitrag den erfolgreichen Abschluss eines pädagogisch-historischen Projekts vermelden. Mit Geldern aus dem "New Opportunities Fund" und einschlägigen Lotteriemitteln konnte in der Zwischenzeit das Internetprogramm "The Union makes us strong" vollständig und erfolgreich zum Abschluss gebracht werden (www.unionhistory.info).

Die TUC-Library - heute ein Teil der London Metropolitan University - wertete für ihr gut gesponsertes Projekt folgende zentrale Quellen aus:

  • TUC Library

  • Workers' Educational Association

  • Gertrude Tuckwell Collection

  • Marjorie Nicholson Papers

  • TUC Museum Collection

Mit Multidimensionalen Zugängen und einführenden Texten britischer Arbeiterbewegungshistoriker versehen bietet das Projekt u.a. Onlinezugang zum bekannten "Register from the 1888 Matchworkers' Strike", dem "1926 General Strike Archive" und allen Volltexten der "TUC Congress Reports 1869-1968".

Der Internetauftritt der IALHI selbst wird vom IISG Amsterdam betreut (www.iisg.nl). Jaap Kloosterman und Marien van der Heyden gaben zunächst einen Überblick über die "Dienste" der IALHI auf der Homepage (Serial-Service, Directory, Webmuseum). Im Rahmen der Umstellung des Serial-Service auf ein datenbankgestütztes Angebot wurde kritisch die Verschlechterung des Dienstleistungsangebots angesichts der Veränderung des EU-Urheberrechts diskutiert.

Völlig neue Perspektiven zeigten die beiden holländischen Kollegen bei der Ausgestaltung des seit langem geplanten "Labour History Index Program" auf. Diskussionen über ein Index Programm finden unter den Spezialisten der IALHI seit der Osloer Tagung 2001 statt. Gedacht ist an eine gemeinsame Datenbank, die die vorhandenen digitalen Erschließungsmittel aller IALHI-Einrichtungen zusammenführt und den Nutzern einen ersten großen Überblick ermöglicht.

(Welche Publikationen von und über Paul Levi sind im Bibliotheksbestand? Welche Archivalien haben Bezug zu Paul Levi?)

Das Amsterdamer Institut möchte einen Weg einschlagen, den auch in Deutschland erfolgreiche Bibliotheks- und Dokumentationsprogramme genommen haben (z.B. KVK und KOBV). Mit Hilfe einer verteilten Suche sollen die Metadaten in einer Datenbank im XML-Format gespeichert und weltweit nutzbar gemacht werden. Erfahrungen konnte das IISG Amsterdam in einem ähnlich gelagerten Projekt bereits erfolgreich sammeln. Sollten die nötigen Projektmittel bewilligt werden, werden verschiedene Partner in eine Pilotphase einsteigen (IISG Amsterdam, Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn, ARAB Stockholm, ABA Kopenhagen, National Archives Scotland). In Workshops und Arbeitssitzungen sollen dann Fragen von Formaten, Schnittstellen und Standards diskutiert werden. Von vielen Delegierten wurde die Diskussion als zentraler Meilenstein der IALHI-Arbeit gewertet.

Abgerundet wurde die Tagung durch ein Besucherangebot, das die Delegierten je nach Interessenlage "annehmen" konnten. Fakultativ konnten sich die TeilnehmerInnen für das National Archive, die National Library oder das Trinity College entscheiden.

Die besondere Bedeutung der Tagung spiegelte sich im "Empfangsprogramm" für die Delegierten wider. Der Vorsitzende der irischen Labour Party (Pat Rabbitte) und der Dubliner Oberbürgermeister empfingen die KonferenzteilnehmerInnen. Höhepunkt war der Besuch des irischen Premierministers (Bertie Ahern), der im Gebäude der Irish Labour History Society alle Anwesenden persönlich begrüßte.

Die nächste IALHI-Tagung wird im September 2004 in Frankreich stattfinden. Gastgeber wird der neue französische Forschungsverband Codhos (Collectif des centres de documentation en histoire ouvrière et social) sein. Hinter Codhos verbirgt sich der Zusammenschluss aller Pariser Forschungsinstitute, Archive und Bibliotheken der Arbeiterbewegung. Die Tagung wird in Paris und Roubaix stattfinden. Erste Programmüberlegungen der französischen Kolleginnen und Kollegen hörten sich vielversprechend an.

Irland präsentierte sich den anwesenden Experten und Expertinnen der Arbeiterbewegung als eine Dienstleistungsgesellschaft, die einen rasanten Modernisierungsprozess durchlaufen hat und noch durchläuft. Gewinner und Verlierer des Strukturwandels gibt es gleichermaßen. Von den zusätzlich geschaffenen 600.000 Jobs der letzten Jahre, davon nicht wenige im "Billigsektor", hat auch die irische Gewerkschaftsbewegung nominell profitiert.

Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung wird auf Grund der Erkenntnisse und Erfahrungen dieser IALHI-Konferenz künftig eine Sammlung der irischen Gewerkschaftsbewegung aufbauen. Die Konferenz bat eine ausgezeichnete Möglichkeit, alle relevanten Kontakte zu knüpfen.


Dr. Rüdiger Zimmermann, Friedrich-Ebert-Stiftung



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