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Perspektiven der internationalen Zusammenarbeit : Unterstützung eines IALHI-Projektes durch die Erich Brost Stiftung ; Vortrag auf der 31. IALHI-Tagung am 8. September 2000 in Oslo / Rüdiger Zimmermann. - [Electronic ed.]. - 15 Kb, Text
In: Mitteilungen des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung. - 19 (2001), S. 3 - 6
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

© Friedrich-Ebert-Stiftung


Aufsatz in englischer Übersetzung






INHALT




Perspektiven der internationalen Zusammenarbeit.
Unterstützung eines IALHI-Projektes durch die Erich-Brost-Stiftung

Vortrag auf der 31. IALHI-Tagung am 8. September 2000 in Oslo

1996 unterbreitete Gerd Callesen vom dänischen Arbejderbevaegelsens Bibliotek og Arkiv (ABA) den Mitgliedern der International Association of Labour History Institutions den Vorschlag, eine Bibliographie der Zweiten Internationale, der Sozialistischen Arbeiterinternationale und der Sozialistischen Internationale zu erstellen.

Er schlug ferner vor, die geplante gemeinsame Bibliographie erst ab dem Erscheinungszeitraum 1914 zu realisieren, da mit der bahnbrechenden Arbeit von Georges Haupt, La Deuxieme Internationale, 1889-1914 : Etude critique des sources ; Essai bibliographique, Paris 1964 eine perfekte Dokumentation bis zum Ausbruch des I. Weltkrieges vorliegt.

Außerdem regte Gerd Callesen in seinem ersten Projektpapier an, dass die vier leistungsstärksten Einrichtungen den Kern eines Bestandsverzeichnisses erstellen sollten, welches anschließend die übrigen IALHI-Einrichtungen ergänzen sollten. Durch viele Standortnachweise solle die internationale Zusammenarbeit dokumentiert und den Forschern nützliche Anregungen und Hinweise gegeben werden. Als endgültiger Veröffentlichungstermin wurde das Jahr 2001 ins Auge gefasst. Somit sollte auch der 50. Geburtstag der Wiedergründung der Sozialistischen Internationale in Frankfurt am Main im Jahre 1951 gewürdigt werden.

Alle Mitglieder wurden eingeladen, sich an dem Projekt zu beteiligen. Auf verschiedenen Konferenzen hat Gerd Callesen über die Fortschritte des interessanten Projektes berichtet. Er formulierte auch die Editionsrichtlinien für das Projekt. Auf der 29. IALHI-Konferenz in Mailand traf sich eine kleine Arbeitsgruppe, um Gerd Callesens Arbeitsergebnisse auf seinen Wunsch hin zu diskutieren.

In der Zwischenzeit hatte sich herauskristallisiert, dass es wenig opportun war, sich ausschließlich auf die politischen Zusammenschlüsse der sozialistischen Parteien zu konzentrieren. Die internationalen Kooperationen der Arbeitersportler, der Arbeitersänger, der Naturfreunde und der Lehrer zählen ebenfalls zum Erbe der internationalen Arbeiterbewegung. Die weitestgehende Erweiterung des Projektes nahm die kleine Arbeitsgruppe auf Vorschlag Gerd Callesens vor, indem sie beschloss, die Zusammenschlüsse sozialdemokratischer und sozialistischer Parteien auf EU-Ebene einzubeziehen.

In der Ende 1999 vorgelegten Arbeitsversion der Bibliographie wurden 37 Organisationen genannt, die knapp 200 periodische Veröffentlichungen (ohne Jahrbücher und Kongressprotokolle) publiziert haben und noch publizieren. Die Zahl der nachgewiesenen Monographien lag bei knapp 1800 Titeln. Viele Zeitschriften sind nur mit wenigen Nummern erschienen. Einige davon nur mit einer einzigen Ausgabe. Einige Titel müssen restlos als verschollen gelten. Dies gilt besonders für die späten dreißiger Jahre.

Keine große Einrichtung der IALHI verfügt auch nur annähernd über einen vollständigen Bestand. Interessanterweise fallen die größten Lücken nicht bei den "alten" Veröffentlichungen ins Auge. Vielmehr sind es die , im Rahmen der EU-Zusammenarbeit in Straßburg, Brüssel und Luxemburg erschienenen Publikationen, die von den nationalen Einrichtungen nur ungenügend gesammelt wurden.

Bei den großen Lücken innerhalb der Bibliotheken der IALHI lag deshalb der Gedanke nahe, die Materialien nicht nur gemeinsam bibliographisch zu verzeichnen, sondern auch in einem kooperativen Verfilmungsprojekt zusammenzutragen und für alle Mitgliedsorganisationen und andere Nutzer preisgünstig zugänglich zu machen. Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung stellte deshalb bei der Erich-Brost-Stiftung einen Antrag, Mittel für die Verfilmung der Periodika des IALHI-Projektes zu bekommen.

Wer ist nun der Geldgeber für unser Projekt? Erich Brost wurde 1903 in Elbing in Ostpreußen geboren. Er war Herausgeber der sozialdemokratischen "Danziger Volksstimme" und Mitglied des Danziger Parlaments in den dreißiger Jahren. Als ein ausgesprochener Gegner des Nationalsozialismus musste er Danzig 1936 verlassen und emigrieren. Als Emigrant verdiente er sich seinen Lebensunterhalt in Polen, Finnland, Schweden und zum Schluss in England. Er gründete 1948 die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" ("WAZ"), die in Deutschland zur Zeitung mit den meisten Abonnenten aufstieg.. Die nach ihm benannte Stiftung wurde ein Jahr nach dem Tode Erich Brosts im Jahr 1996 gegründet. Die Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, Projekte zur Vertiefung der deutsch-polnischen Freundschaft und zur Heranführung Polens an die Europäische Union zu fördern.

Der Beirat der Erich-Brost-Stiftung stimmte im Januar 2000 dem IALHI-Projekt einer kooperativen Verfilmung von Zeitschriftentiteln zu und stellte erste Mittel zur Verfügung. Als "Begünstigter" des Projektes soll das jüngste IALHI-Mitglied, die Bibliothek des polnischen Parlaments [The Sejm Library, Department of Social History Collection], kostenlose Lesekopien aller verfilmten Bestände erhalten. Die Verfilmungen werden von der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung gesteuert. Alle Mitgliedseinrichtungen, die Bestände in das kooperative Verfilmungsprojekt einbringen, erhalten ebenfalls eine Lesekopie des entsprechenden Titels.

Innerhalb des Co-ordination Committees der IALHI wurde Einigung erzielt, die Verfilmungen nicht über eine kommerzielle Firma zu realisieren. Die Verfilmungen erfolgen international und dezentral. Die Mutterfilme werden in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn

verwahrt. Der Vertrieb der Mikrofilme soll über das Mikrofilmarchiv der deutschsprachigen Presse (MFA) erfolgen. Das MFA ist eine gemeinnützige Organisation auf genossenschaftlicher Basis. Die Organisation macht keine Gewinne. Eventuelle Gewinne werden wieder in Neuverfilmungen investiert. Das MFA hat seinen Sitz in Dortmund. Die Geschäftsführer stehen in der Regel der Arbeiterbewegung nahe. Der vorletzte Geschäftsführer, Kurt Koszyk, hat beispielsweise eine Bibliographie der Presse der deutschen Sozialdemokratie veröffentlicht.

Normalerweise vertreibt das MFA nur deutschsprachige Titel oder Titel, die in Deutschland erschienen sind. Das MFA hat sich jedoch bereit erklärt, alle internationalen Titel, die im Rahmen des IALHI-Projektes verfilmt werden, zu vertreiben. Auf der nächsten IALHI-Konferenz in Stockholm wird die Bibliothek einen kleinen Katalog vorlegen, aus dem die verfilmten Titel zu ersehen sind. Auf der Basis des Kataloges kann dann in Dortmund bestellt werden.

Der Grundpreis für eine Filmrolle beträgt zur Zeit für die Rolle DM 59 (ca. 25 EURO). Aus technischen Gründen muss jedoch jeder neue Titel auf eine neue Filmrolle aufgenommen werden.

Im Jahr 2000 hat die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung bereits eigene Verfilmungen in Kooperation mit anderen Archiven und Bibliotheken vorgenommen. Darüber hinaus wurden von einer niederländischen Firma alle Titel verfilmt, die im International Institute of Social History (IISG) in Amsterdam vollständig erhalten sind. Das ABA in Kopenhagen hat ebenfalls damit begonnen, Verfilmungen von vollständigen Exemplaren vorzunehmen. In der Zwischenzeit haben Kollegen vom IISG unvollständige Bestände von Amsterdam nach Bonn gebracht. Wir versuchen in Bonn jetzt - auf der Basis der Dokumentation von Gerd Callesen -möglichst vollständige Mikrofilmtitel zu erstellen. Es zeichnet sich allerdings schon ab, dass viele Zeitschriftentitel unvollständig bleiben werden.

Bei der Verfilmung der Asian Socialist Conference, die mit der Sozialistischen Internationale eng verbunden war, haben wir einen interessanten Test gemacht, ob internationale Suchaufrufe zum Erfolg führen. Die Bestände der Asian Socialist Conference sind in Amsterdam in hoher Vollständigkeit erhalten. Über einen Aufruf in der europäischen Diskussionsliste Labnet und der amerikanischen Diskussionsliste H-Labor haben wir versucht, fehlende Nummern aufzutreiben. Das Ergebnis war eher bescheiden. Chris Coates von der University of North London konnte aus den TUC Collections eine Nummer zur Verfügung stellen. Weitere fehlende Nummern ermittelten wir nach vielen Datenbankrecherchen in der Datenbank der Hoover Institution on Peace, Revolution and War in Stanford, California. Unser kalifornisches IALHI-Mitglied stellte uns auf Anfrage selbstverständlich Kopien fehlender Ausgaben zur Verfügung. Über den Rahmen der IALHI hinaus konnten wir somit keinerlei fehlende Ausgaben bekommen. Ich denke, dieser Test spricht für sich.

Die Arbeit an dem relativ kleinen Verfilmungsprojekt erforderte bislang erheblich mehr Zeit- und Betreuungsaufwand als wir in Bonn ursprünglich geplant hatten, obgleich unsere Bibliothek reich an Erfahrungen bei entsprechenden Projekten ist. Wir denken jedoch, dass sich die Arbeit lohnt.

Nach Erscheinen der Arbeit von Gerd Callesen in Buchform wollen wir in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung das Projekt weiterhin betreuen. Wir werden ab 2001 die Bibliographie in eine Datenbank umsetzen und im Internet anbieten. Ergänzungen und Neuerscheinungen können somit weiterhin eingearbeitet werden. Bestellungen auf einzelne Artikel aus dem Internet sind danach möglich. Ebenso wird eine Versand als digitales Image über das Internet möglich sein.

Das vorgestellte Projekt trägt alle Vorzüge der internationalen Zusammenarbeit. Viele Einrichtungen profitieren davon. Ich denke, in der sehr konkreten praktischen Zusammenarbeit wird auch weiterhin die Zukunft der International Association of Labour History Institutions liegen.

Allerdings glaube ich auch, dass mit solchen Projekten in der Zukunft die Möglichkeiten internationaler Zusammenarbeit noch nicht ausgeschöpft sind. Das digitale Zeitalter stellt auch an Institutionen neue Herausforderungen, die Materialien der Arbeiterbewegung sammeln. Wichtige Zeitschriften, die selten und vom Zerfall bedroht sind, müssen digitalisiert werden und über das WWW angeboten werden. Bei diesem Verfahren bietet sich die einmalige Chance, die Zugriffsmöglichkeiten radikal zu verbessern. Register und Inhaltsverzeichnisse können als Datenbanken gespeichert werden. Viel Sucharbeit wird dadurch erspart.

Auf der anderen Seite publizieren zunehmend die Organisationen, denen wir nahestehen, ihre Veröffentlichungen ausschließlich im weltweiten Netz. Diese Materialien müssen wir sammeln, wollen wir unseren Auftrag nicht versäumen. Es gilt Normen und Standards zu entwickeln, um eine effektive Langzeitsicherung zu gewähren. Auch die entsprechenden Urheberrechtsfragen sind weitgehend ungeklärt. Bei den Konzeptionen, wie sie in Deutschland von den staatlichen Stellen entwickelt werden, sehe ich zur Zeit nicht, dass die elektronischen Veröffentlichungen von Parteien und Gewerkschaften hinreichend berücksichtigt werden. Diese Aufgaben sind alles andere als trivial.

Unglücklicherweise ist das Bewusstsein bei den Produzenten der elektronischen Literatur nicht besonders ausgeprägt, dass eine elektronische Langzeitsicherung "für die Ewigkeit" notwendig ist. Aber ich denke, dies ist eine Tatsache, die nicht besonders überrascht. Bereits in der Vergangenheit mussten wir damit leben, das die Herausgeber der Literatur der Arbeiterbewegung den Wert ihrer Publikationen selbst nur gering einschätzten. Von daher unterscheiden sich vielleicht die alten Aufgaben nicht so radikal von den neuen. Wir setzen nur andere Mittel ein.

Keine Einrichtung auf der Welt kann die elektronische Literatur von Parteien, Gewerkschaften, Bürgerrechtsgruppen und anderen emanzipatorischen Bewegungen auch nur ansatzweise vollständig sammeln. Vielleicht liegt der Schlüssel internationaler Zusammenarbeit darin, dass jede nationale Einrichtung ihre elektronische Quellen sichert und sie international zur Verfügung stellt. Es scheint, dass wir in Zukunft beides machen müssen: Durch kooperative Projekte konventionell die alten Quellen sichern und durch internationale Absprachen die neuen Quellen sichern.

Unser Verfilmungsprojekt ist ein guter Anlass, über beide Aufgaben nachzudenken.

(Rüdiger Zimmermann)


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