DIGITALE BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

DEKORATION DIGITALE BIBLIOTHEK DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG DEKORATION


TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
1. Februar 1918

Der Oberbefehlshaber in den Marken gibt bekannt, daß 7 Betriebe unter militärische Leitung gestellt werden. Den Arbeitern wird befohlen, die Arbeit bis zum 4. Februar wieder aufzunehmen; Zuwiderhandelnde würden nach den Strafgesetzen des Belagerungszustandes bestraft, die Wehrpflichtigen unter ihnen außerdem eingezogen.

Nach einer ausführlichen Diskussion bekunden die Vertreter der Verbandsvorstände auf einer Konferenz in Berlin gegen 3 Stimmen "die Auffassung, daß für die jetzigen politischen Streiks in erster Linie die innerpolitischen Verhältnisse und die Haltung der Regierung verantwortlich zu machen sind.
Die Gewerkschaften stehen diesen Streiks fern, ihre Leitungen sind an ihnen in keiner Weise beteiligt. Wohl aber sind von den Gewerkschaftsleitungen die entscheidenden Stellen im Reiche seit Monaten mündlich und schriftlich ersucht worden, die Ursachen zu beseitigen, welche die steigende Erbitterung der arbeitenden Bevölkerung hervorgerufen haben. Leider haben diese Warnungen keine genügende Beachtung gefunden.
Die Anordnungen der stellvertretenden Generalkommandos, die der Arbeiterschaft die Ausübung des Vereins- und Versammlungsrechts beschränken oder völlig unmöglich machen sowie die freie Meinungsäußerung durch die Presse verhindern, sind nicht gemildert, sondern zum Teil verschärft worden.
... Die unzureichende Ernährung der großen Masse des Volkes ist nicht allein auf den Mangel an Nahrungsmitteln, sondern zum großen Teil auf die ungenügende Organisation zu ihrer Erfassung zurückzuführen.
Auch dem Verlangen nach einem baldigen Frieden der Verständigung, das die große Mehrheit des deutschen Volkes mit der Arbeiterschaft teilt, hat die Regierung nicht ausreichend Rechnung getragen. Sie hat unterlassen, den annexionistischen Bestrebungen der sogenannten 'Vaterlandspartei' und ähnlicher Gruppen eine unzweideutige Absage zu erteilen.
Die Verhandlungen im Verfassungsausschuß des Preußischen Landtages über die Wahlrechtsvorlage haben die Empörung in der Arbeiterschaft schließlich so gesteigert, daß es zu den Arbeitseinstellungen gekommen ist.
Das jetzige Verbot aller Versammlungen der Streikenden durch die Militärbehörden trägt weiter zur Vermehrung der Erbitterung bei und macht es zugleich unmöglich, eine geregelte Wiederaufnahme der Arbeit herbeizuführen.
Um so entschiedener müssen die Gewerkschaften gegen die von den militärischen Stellen gegen die streikenden Arbeiter getroffenen Maßnahmen den schärfsten Protest erheben. Nicht durch Gewaltdrohungen und Gewaltmaßnahmen, sondern nur durch ein offenes Verständnis für die seelische und wirtschaftliche Bedrängnis der arbeitenden Volksschichten können innere Konflikte vermieden werden.
Die Vertreter der Gewerkschaften werden nach wie vor ihre Kraft einsetzen, die Landesverteidigung zu sichern und halten es deshalb für ihre Pflicht, in dieser Stunde nochmals die ernste Mahnung an die Regierung und die Militärbehörden zu richten, den Wünschen und Bedürfnissen der Arbeiterschaft in dem erforderlichen Umfange Rechnung zu tragen."
Zuvor wird ein Antrag des Handlungsgehilfenverbandes, die Mitglieder der Generalkommission sollen wegen ihrer Haltung beim Massenstreik zurücktreten, gegen eine Stimme abgelehnt.
Auf Anordnung der Militärbehörden wird die Veröffentlichung dieses Beschlusses verboten, da der Text geeignet ist, den Streik nicht zu beenden, sondern vielmehr ihn "neu anzufachen".



Vorhergehender StichtagInhaltsverzeichnisFolgender Stichtag


net edition fes-library | 1999