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TITEL/INHALT

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918 / Von Dieter Schuster. Mit einem Vorw. von Rüdiger Zimmermann und Registern von Hubert Woltering. - Bonn : Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1999

Stichtag:
19./22. Juni 1916

Der Verbandstag der Schuhmacher in Stuttgart diskutiert über den Streit in der SPD. Der Verbandsvorsitzende und Reichstagsabgeordnete J. Simon stellt zunächst fest, daß das wirtschaftliche Ergebnis des Krieges sein wird, auf der einen Seite riesige Gewinne und Konzentration des Kapitals und auf der anderen Verarmung, was eine Verschärfung der Gegensätze und Steigerung des Klassenkampfes zur Folge haben wird. An eine Neuorientierung im vielfach erwarteten Sinne kann J. Simon nicht glauben. Darum bedauert er den entstandenen Streit, der geeignet sei, die Kraft der Arbeiterklasse zu schwächen. Auf dem Verbandstage könne aber nicht untersucht werden, durch wessen Schuld der Parteistreit entstanden; und ebensowenig die grundsätzliche Frage, die dem Streit zugrunde liege. Die Gewerkschaften dürfen sich in diesen Streit nicht hineinmischen und dürfen durch ihre Organe auch nicht hineingezogen werden. Bedauerlich sei es, daß die Generalkommission und das "Correspondenzblatt" die erforderliche Neutralität nicht gewahrt haben. Diese Organe und die Vorständekonferenz vom Juli 1915 haben einseitig für die Fraktionsmehrheit Stellung genommen und dadurch werde der Parteistreit in die Gewerkschaften getragen. Die Gewerkschaften können der Partei nicht die Richtung vorschreiben, ebenso dürfe die Partei nicht die Handlungen der Gewerkschaften bestimmen. Deshalb bleibe als einziger Weg, daß die Gewerkschaft sich von diesem Streit fernhalte und jeder Parteigenosse in seiner Parteiorganisation seine Ansicht zum Ausdruck bringe.
Nach ausführlicher Diskussion nimmt der Verbandstag einstimmig eine Resolution an, nach der er "in der Stärke und Geschlossenheit der Gewerkschaftsbewegung nicht bloß des eigenen Berufs, sondern auch der aller klassenbewußten Arbeiter Deutschlands eine wichtige Voraussetzung für die Ueberwindung der nach dem Kriege die Arbeiterbewegung bedrohenden wirtschaftlichen machtpolitischen Gefahren" sieht. "Der Verbandstag betont deshalb, daß niemals mehr als jetzt die Einheit der Gewerkschaftsbewegung ein hohes Gut sei, das zu gefährden oder in Frage zu stellen mit aller Macht und Vorsicht vermieden werden soll.
Der Verbandstag verhehlt sich nicht, daß die tiefen Meinungsverschiedenheiten in der politischen Arbeiterbewegung auch auf die Mitglieder unserer und der anderen Gewerkschaftsorganisationen wie auch auf ihre leitenden Männer einwirken mußten. Aber die Kämpfe sollen auf dem Boden der politischen Organisation ausgefochten werden. ...
Die vor dem Kriege stets betonte Neutralität der gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung in politischer Beziehung darf heute nicht gering gewertet oder gar beiseite geschoben werden, wo der Streit in der politischen Arbeiterbewegung zerstörend hinüberzugreifen droht auf die gewerkschaftlichen Arbeiterorganisationen.
Der Verbandstag fordert alle Organe der Gewerkschaften auf, im Rahmen der Gewerkschaftsbewegung unbedingte Neutralität zu halten in dem politischen Streite, der die Arbeiterbewegung zerklüftet. Er beauftragt den Verbandsvorstand, bei der Generalkommission ... zu beantragen, daß die Frage 'Fernhaltung des Parteistreits von den Centralverbänden' auf die Tagesordnung der nächsten Vorständekonferenz gesetzt wird...
Der Verbandstag verlangt von dem Vorstand die Fortsetzung seiner bisherigen neutralen Haltung in allen Streitigkeiten der sozialdemokratischen Partei, um so diesen Streit von unserer Organisation fernzuhalten."



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net edition fes-library | 1999